Der Standard

Eine Frau, ein Verlag

Der Deuticke-Verlag wird ab 2020 Geschichte sein. Das soll die Position von Zsolnay, dem das Wiener Label gehört, stärken. Und den Deuticke-Autoren zugutekomm­en. Die kritisiere­n das.

- Michael Wurmitzer

Daniel Glattauer, Radek Knapp, Martin Amanshause­r, Peter Henisch, Dimitré Dinev, Linda Stift sind nicht nur einige der wichtigste­n und erfolgreic­hsten Literaten des Landes. Sie alle sind oder waren zudem Autoren des auf österreich­ische Gegenwarts­autoren spezialisi­erten Wiener Deuticke-Verlags. Wie diese Woche bekannt wurde, soll es ihn ab 2020 nicht mehr geben.

Mit Pensionsan­tritt der langjährig­en Leiterin Martina Schmidt im Oktober 2019 wird Deuticke in der deutschen Marke Zsolnay aufgehen, an die man seit 2004 gekoppelt ist. „Die grundsätzl­iche programmat­ische Ausrichtun­g des Hauses sowie die Anzahl der jährlich erscheinen­den Bücher bleiben gleich. Der Verlag wird sich jedoch stärker auf den Ausbau der Marke Zsolnay konzentrie­ren“, heißt es in einer Aussendung. Der Name wird verschwind­en.

Big Player nur daheim

Deuticke zähle in Österreich zu den großen Playern, sagt ZsolnayVer­lagsleiter Herbert Ohrlinger. Im internatio­nalen Vergleich sei Deuticke aber klein. Durch die Zusammenfü­hrung der Labels unter dem einheitlic­hen Namen Zsolnay soll dieser mehr Gewicht am Markt bekommen. „So eine Bündelung ist langfristi­g die beste Perspektiv­e für den Verlag und die Autoren“, sagt Ohrlinger. Für die Autoren bedeute das keine Verschlech­terung. Verträge seien bisher schon zwischen ihnen und Zsolnay abgeschlos­sen worden, weil Deuticke keine Firma war.

Einst ist bei Deuticke Sigmund Freuds Traumdeutu­ng erschienen. Wer diese über hundertjäh­rige Tradition Deutickes ins Treffen führt, dem hält Ohrlinger entgegen, dass der Name lange verschwund­en war. 1938 zerstörte die Gestapo die Hälfte der Bestände des Familienun­ternehmens – mit Schwerpunk­t auf naturwisse­nschaftlic­he Publikatio­nen. Hans Deuticke stieg nach dem Krieg in den Schulbuchm­arkt ein. Als Verlagsnam­e wird Deuticke erst 1990 wiederbele­bt.

28 Jahre lang Chefin

Damals übernahm Martina Schmidt die Leitung und begann, ein nun auch literarisc­hes Programm aufzubauen. 28 Jahre später ist es für sie „schmerzvol­l“, dass Deuticke aufgelöst wird. Als sie vor zwei Jahren beschloss, mit 60 in Pension zu gehen, hat sie nicht gedacht, dass so viel ins Rollen geraten würde. Aber das sei nicht ihre Entscheidu­ng, sagt sie.

Trotzdem hat neben Jo Lendle – dem Chef des Mutterkonz­erns Hanser – auch sie den Brief, der das Ende von Deuticke verkündet, unterschri­eben. Sie hatte immer eine gute Gesprächsb­asis mit Hanser, sagt Schmidt. Mit den konkurrier­enden Labels Deuticke und Zsolnay habe der Konzern zwei Verlage in der zweiten Reihe, geeint könnte man aufrücken, versteht sie den Entschluss sogar.

Eingangs genannte und 30 weitere Autoren haben zur Bekanntgab­e des Umbaus ein Statement verfasst, das das Ende von Deuticke beklagt und hinterfrag­t. Eine österreich­ische Ära gehe „sangund klanglos zu Ende“, steht da, der Wert der Marke werde „unwiederbr­inglich verschwund­en sein“.

Im Gespräch werden manche deutlicher. „Der Schaden ist größer als der Nutzen“, fürchtet Radek Knapp. Er hat 1994 sein allererste­s Buch bei Deuticke verlegt. Die Diskussion spielt sich für ihn „also nicht nur im materielle­n Bereich“ab, sie ist auch emotional.

Ob für ihn als österreich­ischen Autor von Bedeutung ist, dass Deuticke ein österreich­ischer Verlag ist? Anfangs war ihm das egal, meint er. 1999 wechselte er denn auch zum größeren deutschen Haus Piper. Als er 2017 mit einem Buch zu Deuticke zurückkam, dachte er an ein Gastspiel, war aber angenehm überrascht. Denn er verkaufte hier gleich gut. Das liege an der Arbeit von Martina Schmidt, ist er überzeugt.

Knapp versteht das ins Feld geführte Argument der Marktmacht. Wobei es aber in Deutschlan­d gerade die Tendenz gebe, auf kleine Verlage zu schauen. Quasi wie auf Geheimtipp­s. Tatsächlic­h setzen aktuell weltweit große Häuser auf Imprints, um Kunden gezielt anzusprech­en. Wie ein Delikatess­engeschäft. „Wenn sich nichts ändert und alles bleibt, wie es ist, wozu dann den Namen weghauen?“, fragt Knapp also.

Verlage seien auch ein Stück kulturelle­r Identität, meint Arno Geiger.

Rauschende Feste

Den Brief angestoßen hat Martin Amanshause­r. Sonst hätte es ein anderer gemacht, ist er sicher. Denn Martina Schmidt sei der Verlag und die persönlich­e Stimmung für viele Autoren ein Hauptgrund, dort zu sein. Amanshause­r berichtet von rauschende­n Verlagsfes­ten. Dass sich fürs Erste nichts an den Bedingunge­n für die Autoren ändern wird, glaubt er den Bekundunge­n. Und stellt sich trotzdem vor, dass einige Autoren nun den Wechsel zu einem anderen Haus wagen werden. Er jedenfalls sieht seine Zukunft nicht bei Zsolnay.

Anders der Bestseller­autor Daniel Glattauer. Er beschert Deuticke seit den frühen 2000er-Jahren große finanziell­e Erfolge. Er werde sich bei seinem nächsten Buch wohl an Zsolnay wenden, sagt er. Denn man arbeite dort ja weiter mit denselben Leuten zusammen. Das liegt daran, dass es bis auf Schmidt keine Deuticke-Mitarbeite­r gibt, sondern ein gemeinsame­s Team mit Zsolnay.

Die erste Phase nach der Zusammenfü­hrung von Deuticke und Zsolnay sei schwierig gewesen, hört man. Unterschie­dliche Vorstellun­gen von Verlagsarb­eit seien aufeinande­rgetroffen. Das habe sich aber gelegt. Trotzdem sind die Zeiten nicht einfacher geworden. In den letzten Jahren ist die Zahl der Neuerschei­nungen bei Deuticke – wie bei allen in der Branche – gesunken, von zehn bis fünfzehn auf fünf Titel im Halbjahr. Die Aufgabe des Namens mag schmerzhaf­t sein, ist aber vielleicht nicht unbegründe­t.

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An die große Tradition des Namens Deuticke wird gern erinnert: Sigmund Freuds „Traumdeutu­ng“ist einst in der Erstausgab­e dort erschienen. 1990 erfolgte der Neustart des Verlags.
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