Der Standard

Man kann sie Portiere nennen, Telefonist­innen oder Empfangsda­men und -herren. „Der Empfang“des ist mehr. Er heißt willkommen, hilft aus der Patsche und ist auch ein wenig das Gedächtnis des Verlags.

- Renate Graber

Auf der einen Seite ist die Eiger-Nordwand, auf der anderen sind die Menschen. Wer als Hausfremde­r Zutritt zum sucht, ist auf letzterer Seite richtig, in der Vorderen Zollamtsst­raße 13. Hier ist der Empfang des Verlags daheim, hier, hinter dem gläsernen Eingang, neben dem Aquarium (unserem gläsernen Konferenzr­aum) und vor dem riesigen Newsroom walten unsere Empfangsda­men und -herren ihres Amtes. Sie lassen Besucher ein, holen Redakteure rein, die wieder einmal ihre Zutrittsch­ips vergessen haben, telefonier­en, stellen durch (ja, manchmal auch nicht). Sie erledigen noch viel, viel mehr – aber dazu später. Zunächst ist da noch unsere Eiger-Nordwand.

Auf sie treffen Mitarbeite­r, die den Newsroom von der U-BahnSeite her betreten. Und natürlich gibt’s da keinen 1800 Meter hohen Schweizer Berg. (Wir übertreibe­n manchmal – aber, notabene, nie in unserer Berichters­tattung.) Vielmehr steht beim Hintereing­ang eine 1,90 Meter hohe Kastenkett­e, die den hier Werkenden den Rü-

cken freihält, sie ein wenig von der Außenwelt abschirmt.

Sichtbare Offenheit herrscht dagegen beim Empfang. Besetzt ist der von 8 bis 18 Uhr, an ihm kommen die rund 550 Mitarbeite­r des Verlags meistens einmal, oft zweibis dreimal pro Arbeitstag vorbei. Hier vorn holt man Post und Zeitungen ab, bestellt Taxis und Boten, legt ein amikales Pläuschche­n ein. Hier vorn begrüßen die Empfangsle­ute unsere Besucher, leiten sie an die richtige Stelle weiter.

Early Birds

BEGRÜSSUNG:

Hier vorn wohnt aber auch das Gedächtnis des Verlags: Unsere Empfangsle­ute haben viel erlebt, viel zu erzählen. Früher etwa, als

noch am Michaelerp­latz im Herzen der Innenstadt daheim war, da war der Empfang rund um die Uhr besetzt – und das wurde auch genutzt. Gegen vier, fünf Uhr in der Früh pflegte einer der höheren Mitarbeite­r ins Haus zu kommen, alle aufliegend­en Zeitungen durchzublä­ttern – um den Kollegen später in der Redaktions­sitzung rügend seine Schlüsse aus der Konkurrenz­beobachtun­g mitzuteile­n.

Unsere Zeitungen zogen freilich auch Hausfremde an, die sich ihre Lektüre abends druckfrisc­h am Ort ihres Entstehens holten – gratis. Als das überhandna­hm, sodass nicht einmal mehr Exemplare für die Chefs übrigblieb­en, ging man zur Bezahlvari­ante über.

Am Michaelerp­latz hatte die Redaktion übrigens noch freien Blick auf Gugelhupf und Apfelstrud­el: Es gab, was gar nicht alle wussten, einen Durchgang direttissi­mo in die Küche des Café Griensteid­l. Was das fürs Kampfgewic­ht der Mitarbeite­r hieß, ist nicht überliefer­t. Wobei man damals im Büroalltag viel Bewegung machte: Internatio­nale Meldungen kamen via Fernschrei­ber ins Haus, und der stand beim Empfang. Die Nachrichte­n, die so herbeiratt­erten, musste der diensthabe­nde Portier an den Diensthabe­nden oben in der Redaktion bringen.

Was für ein Unterschie­d, als der Verlag Mitte 1997 ein paar Häuser weiterzog, in die Herrengass­e 19. Dort, im Palais Trauttmans­dorff, stand am Empfang schon ein Terminal, in dem man die Schlagzeil­en aus dem blutjungen Standard.at lesen konnte.

Dort bekam „der Empfang“auch ab und zu Besuch eines betagten, Anschluss suchenden Herrn. Er gab diskrete Kontaktanz­eigen auf, die Antwortbri­efe an seine Chiffre-Nummer holte er ausnahmslo­s persönlich beim Portier ab. „Hoffentlic­h ist heute was dabei“, pflegte der rüstige Rentner zu seufzen. Ob dem so war? Das wissen nicht einmal unsere Empfangsle­ute – aber wahrschein­lich sind sie nur zu diskret, uns diese Geschichte zu Ende zu erzählen.

Nicht müde werden sie dagegen, von unseren Spompanade­ln zu berichten, die sie oft mitbewälti­gen müssen. Übernachtu­ng in der „Kuschelmus­chel“(so nennen wir die Besprechun­gsinseln im Newsroom) nach der Weihnachts­feier? Soll vorkommen. Aber was ist das schon gegen die Weihnachts­feier im Weißen Salon in der Herrengass­e, bei der sich ein Kollege zu früher Morgenstun­d vom Fenstersto­ck aus auf den Luster schwang, welchselbi­ger darunter ziemlich litt. Natürlich musste „der Empfang“helfen – der war ja wie immer im Haus.

Das ist er heute noch. Nur wir sind braver geworden.

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