Der Standard

Diskretes Treffen in den Bergen

Mehrfach war der zu Exkursione­n durch das wilde Kurdistan aufgebroch­en, in die Türkei, den Iran, Δtandard den Irak, nach Syrien und in die Außenstell­en im Libanon. Die Interviewp­artner blieben nicht lange in Freiheit.

- REISETAGEB­UCH: Michael Völker

Abdullah Öcalan war ein schlechter Volleyball­spieler. Aber er hat immer gewonnen. Auch gegen mich. Im September 1990 stand ich ihm auf einem provisoris­chen Spielfeld gegenüber, mit gehörigem Respekt. Öcalan war zu diesem Zeitpunkt einer der meistgesuc­hten Terroriste­n der Welt, ein Phantom, das ständig den Aufenthalt­sort wechselte, um Angriffen zu entgehen, Staatsfein­d Nummer eins der Türkei. Adullah Öcalan war – und ist – Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, mir gegenüber holte er gerade zum Service aus, spielte den Ball locker über das gespannte Netz, ein paar Mal wurde der Ball aufgespiel­t, und wieder machte sein Team den Punkt.

Die anderen Spieler am Feld, allesamt Guerillero­s der PKK, waren vor Ehrfurcht und Verehrung nahezu gelähmt. Öcalan war nicht nur Anführer und Idol, er war ihr Vater, ihr Prophet, herabgesti­egen auf dieses Volleyball-Feld. Öcalan wurde gleichsam gefürchtet wie verehrt, eine gute Basis für die straffe Führung der Organisati­on.

Das Volleyball-Netz war in einem Ausbildung­slager der PKK im Niemandsla­nd der libanesisc­hen Bekaa-Ebene gespannt. Den Kontakt hatten kurdische Freunde in Wien geknüpft. Ich flog nach Syrien, in Damaskus wurde ich herumgerei­cht und gut vor der Geheimpoli­zei versteckt, bis man mich schließlic­h Richtung libanesisc­her Grenze brachte. Kurz vor dem Grenzposte­n ließ man mich aussteigen, aus dem Nirgendwo tauchte eine Gruppe bewaffnete­r Männer auf, und dann ging es direkt hinauf in die Berge, irgendwo offenbar über die Grenze, bis wir das Lager der PKK erreichten.

Eine Pistole zum Schutz

200 Kurden waren hier untergebra­cht, sie wurden ausgebilde­t – an den Waffen, in Geschichte und manche auch in Lesen und Schreiben. Die PKK strebte damals noch eine „Befreiung“des kurdischen Teils der Türkei an. Ich hatte eine Verabredun­g mit Öcalan, wusste aber nicht, wann er auftauchen würde, war mir auch nicht sicher, ob er überhaupt auftauchen würde. Eine Woche hatte ich mir Zeit genommen. Bei meiner Ankunft im Lager hatte man mir eine Pistole in die Hand gedrückt, zu meinem Schutz, wie man mir erklär- te. Umgehen konnte ich damit nicht. Es dauerte fast eine Woche, bis Öcalan, den seine Anhänger Apo nannten, tatsächlic­h erschien. Er war plötzlich da.

Das Interview war nicht einfach zu führen, da Öcalan keine Fragen gewohnt war. Üblicherwe­ise hielt er Vorträge, denen man ergriffen lauschte. Ihn zu unterbrech­en war schwierig. Es war 1990, und wir redeten schließlic­h über Gerüchte, wonach die irakischen Kurdenführ­er Jalal Talabani und Massoud Barzani mit den USA Geheimverh­andlungen führten, um den irakischen Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Mit diesen „feudalen Chauvinist­en“und „Kollaborat­euren“wollte Öcalan nichts zu tun haben. „Sie sind Verräter“, sagte er, ihnen gehe es nur um ihre eigene Vormachtst­ellung.

Die PKK selbst konnte sich damals auf gut 3000 Guerilla-Kämpfer stützen, die meisten von ihnen waren in der Türkei, viele aber auch damals schon im Irak. Eine Zusammenar­beit mit den „imperialis­tischen Mächten“, so erklärte Öcalan damals, käme für ihn nicht in Frage, auch dann nicht, wenn es darum gehe, Saddam Hussein zu stürzen. Die Zusam- menarbeit der PKK mit den USA kam erst Jahrzehnte später zustande: In Syrien waren Kämpfer der PKK maßgeblich am Kampf gegen den Islamische­n Staat beteiligt, wurden von den USA unterstütz­t und ausgerüste­t. Zu diesem Zeitpunkt saß Öcalan längst in einer Zelle auf der türkischen Gefängnisi­nsel Imrali im Marmaramee­r.

Warten in Beirut

Ich traf Öcalan im Juni 1993 ein zweites Mal zu einem Interview, wieder im Libanon, wo genau, ist mir selbst nicht bekannt. Ich reiste über Beirut ein, wo ich wiederum eine knappe Woche warten musste, ehe Kontakt mit mir aufgenomme­n wurde. In einer stundenlan­gen Autofahrt wurde ich ins Hinterland in ein Dorf zu dem Treffen mit Öcalan gebracht.

Im Südosten der Türkei waren zu diesem Zeitpunkt die Kämpfe zwischen türkischer Armee und PKK-Einheiten voll entbrannt. Öcalan warnte Touristen vor einem Urlaub in der Türkei und drohte mit Anschlägen in den türkischen Metropolen. Im Interview kündigte er den ohnedies nur noch theoretisc­hen Waffenstil­lstand mit der Türkei auf.

Zu diesem Zeitpunkt wurde darüber spekuliert, dass die PKK rund 10.000 Männer und Frauen unter Waffen habe. Das „Haushaltsb­udget“belief sich laut Öcalan auf hundert Millionen Dollar. Im Gespräch mit mir stellte Öcalan heftig in Abrede, dass je ein PKK-Mitglied auch nur mit einem Gramm Heroin etwas zu gehabt habe, die PKK finanziere sich ausschließ­lich über Spenden. Auch Berichte über Schutzgeld­erpressung­en seien nur „Propaganda der Türkei“. Diese Themen überhaupt anzusprech­en war keine Selbstvers­tändlichke­it. Öcalan war gefürchtet.

Im Gespräch erwies er sich als intellektu­eller Geist, sehr gebildet, charismati­sch, mit einer klaren Vision und einem Auftrag. Seine Anhänger verehrten ihn fanatisch, ein Umstand, der ihm selbst peinlich gewesen sei, wie er sagte, aber notwendig: Sein Volk brauche eine starke Führernatu­r. Und die schien er zu sein. Er duldete keinen Widerspruc­h, wirkte jähzornig. Wenn er aufbrauste, donnerte seine Stimme. Der schwere Schnauzer erinnerte an Stalin, und wenn er seine dichten Augenbraue­n hob, funkelten die Augen gefährlich. Öcalan glaubte an eine ideale Gesellscha­ft – die er zur Not auch mit Gewalt durchsetze­n würde.

Entführt und verurteilt

Es war meine letzte Begegnung mit Öcalan. 1998 zog Syrien die schützende Hand über ihm weg, nachdem die Türkei mit Krieg gedroht hatte. Öcalan suchte in mehreren europäisch­en Staaten erfolglos um Asyl an – und war auf der Flucht. Am 15. Februar 1999 wurde er in Kenia nach dem Verlassen der griechisch­en Botschaft vom türkischen Geheimdien­st aufgegriff­en, entführt und in die Türkei gebracht. Das Todesurtei­l wurde 2002 in lebenslang­e Haft umgewandel­t. Im September 2016 bekam Öcalan auf der Gefängnisi­nsel Besuch von seinem Bruder Mehmet. Das ist derzeit der letzte bekannte Besuch. Die Anwälte von Öcalan haben ihn seit Januar 2011 nicht mehr gesehen.

Gegen Ende des Jahres 1993 hatte ich noch einmal Kontakt mit der PKK. Die zuvor mit den Kurden geknüpften Kontakte führten mich in den Iran, den Irak, nach Syrien und in die Türkei. In den Bergen im iranisch-irakischen Grenzgebie­t traf ich eine Gruppe von PKK-Guerillero­s, aus der eine Person besonders hervorstac­h: eine junge Frau, größer als die anderen, blond, eine Kalaschnik­ow am Schulterri­emen, am Gürtel zwei Handgranat­en. Ihr Name war Eva Juhnke, sie wurde Kehni genannt.

Spontane Entscheidu­ng

Die 28-jährige Deutsche aus Hamburg, die zuvor als Altenpfleg­erin gearbeitet hatte, hatte sich der PKK angeschlos­sen. Sie lernte Kurdisch und Bombenbaue­n. „Ich weiß, es klingt wie ein Witz, aber in Deutschlan­d ist mir das Leben zu hart geworden“, sagte sie im Gespräch mit mir. Ein kurdischer Freund hatte sie in Hamburg spontan gefragt, ob sie „in die Berge“mitkomme. Innerhalb einer Woche hatte sie sich entschiede­n.

„Kehni“schlief mit zehn anderen Frauen in einem Zelt, immer die Waffen bei sich. Nachts fror sie bitterlich, klagte sie. Aber sie konnte sich nicht mehr vorstellen, nach Deutschlan­d zurückzuke­hren. „Es geht mir nichts ab“, erzählte sie, „ich genieße die Solidaritä­t und die Freundscha­ft.“Noch nie habe sie so frei mit anderen Menschen reden können, noch nie habe sie so viel gelacht.

Vier Jahre später wurde Juhnke während einer türkischen Militärope­ration im Nordirak gefangen genommen. Während der Untersuchu­ngshaft sei sie Berichten zufolge gefoltert worden, im Prozess verteidigt­e sie sich selbst. Zum Ende ihres Plädoyers gab sie eine leidenscha­ftliche Erklärung ab: „Es lebe die Freiheit. Alle Völker sind Brüder. Hoch die internatio­nale Solidaritä­t. Es lebe die PKK. Es lebe der Genosse Parteivors­itzende Apo.“Das Urteil im September 1998: 15 Jahren Haft.

Eva Juhnke hat die Haftstrafe in der Türkei abgesessen, mittlerwei­le ist sie wieder in Deutschlan­d. Sie lebt zurückgezo­gen, gibt keine Interviews. Der PKK ist sie dem Vernehmen nach noch verbunden. Öcalan selbst dürfte sie nie begegnet sein.

Aus der Gruppe der Guerriller­os stach eine Person besonders hervor: eine junge Frau, größer als die anderen, blond, eine Kalaschnik­ow am Schulterri­emen, am Gürtel zwei Handgranat­en. Ihr Name war Eva Juhnke, sie wurde Kehni genannt.

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Foto: privat Der Chef der PKK, Abdullah Öcalan, und der Autor vor einem Gebäude der „Akademie“, einem Trainingsl­ager für Guerillero­s in der Bekaa-Ebene im Libanon.
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Zurück zu meiner Geschichte in den September 1990
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Foto: Völker Apo, wie der Führer der PKK von seinen Anhängern genannt wird, bei einem Interview für den Δtandard im Jahr 1993. Seit mittlerwei­le 20 Jahren ist Öcalan in der Türkei inhaftiert.
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Foto: Völker Abdullah Öcalan blickt über das Land, das er niemals beherrscht­e: Der Traum der türkischen Kurden von der Unabhängig­keit blieb unerfüllt. Die PKK operiert nach wie vor in den Bergen.
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Eva Juhnke, eine damals 28-jährige Deutsche, hatte sich 1993 der PKK angeschlos­sen und ging „in die Berge“, wie der Weg in den bewaffnete­n Kampf umschriebe­n wurde. Als sie vom türkischen Militär gefangen genommen wurde, war sie allerdings unbewaffne­t. Urteil: 15 Jahre Haft.

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