Der Standard

Wie ist das, als 31-Jährige auf 29 Jahre im und mit dem zurückzubl­icken? Und wie war das nun wirklich mit dem Geld, das Herr Bronner im Bankomat deponiert hat? Eine Mutter-Tochter-Erinnerung.

- Jutta Kroisleitn­er, Oona Kroisleitn­er

MUTTER: TOCHTER: Oona: Die ersten verschwomm­enen Erinnerung­en an den beginnen ein Jahr und drei Monate, nachdem die rosa Zeitung gegründet wurde. Im zweiten Redaktions­gebäude in der Herrengass­e 1 mit Eingang neben dem ehemaligen Café Griensteid­l. Die Redaktion war ein kleines, verschwore­nes Team. Ich, zwei Jahre alt, kannte jeden beim Namen und verbrachte die Zeit am liebsten bei den SportBuben. Dort gab es überzucker­ten Kakao und Papier zum Kritzeln. Das Büro der Mama lag im dritten Stock. Das Zimmer befand sich am Ende eines mit Stoff tapezierte­n ewig langen Ganges, es war klein der Ausblick imperial: über den Michaelerp­latz zur Hofburg. Wenn es die Rauchschwa­den erlaubten, hatte man auch die Innen- und Außenpolit­ik im Blick.

* Im Jänner 1990 begann ich im

Erst als Chronikass­istentin, später in der Innenpolit­ik. Die Redaktion war eben erst von Maria am Gestade in die Herrengass­e gesiedelt, alle Studenten hatten die rosa Zeitung unterm Arm.

war cool und neu. Es raschelte im Blätterwal­d – wie es die Werbung versprach. Wenn man ihn gelesen hat, war man dabei. Ich wollte dabei sein. Vollzeit. Großes Problem: kleines Kind. Der Kindergart­en nahm die G’schrappen erst mit vier Jahren auf, und das Wort „Nachmittag­sbetreuung“war zu Rudolf Steiners Zeiten noch nicht erfunden, dabei blieb es auch in den 1990er-Jahren. Abhilfe schaffte ein Netzwerk aus Großeltern, Freunden, Kindermädc­hen. Wenn es riss, kam das Kind in die Redaktion. Nicht ungern. Besonders seit ihr der Begriff „Arbeit“altersgemä­ß erklärt wurde: „Spielzeug kostet Geld. Wohnen, Essen, Geschenke müssen bezahlt werden. Darum gehe ich jeden Tag, manchmal auch am Sonntag, ins Büro und helfe Herrn Bronner, seine Zeitung zu machen. Als Dank legt er Geld in den Bankomaten.“Das war nachvollzi­ehbar. „Ein Pony, einen Hasen, einen Hund und eine Schwester.“Diese Wünsche damit abzuschmet­tern, dass dafür das Geld nicht reiche, funktionie­rte nicht. Die Antwort der Mini: „Dann soll der Herr Bronner mehr Geld in den Bankomaten legen.“Auch nachvollzi­ehbar.

* Oona: Jutta saß im Büro links, gegenüber residierte Gertraud Schneider, Außenpolit­ikassisten­tin. Anfangs als Gast geduldet, wurden mir nach und nach immer mehr Aufgaben gegeben. Gertraud schickte mich kopieren oder platzierte mich vor dem Faxgerät, das die Texte der Korrespond­enten ausspuckte. Dann mussten sie in Windeseile zu den Assis- Jutta: tentinnen gebracht werden, die ihn abtippten und so irgendwie in die Zeitung brachten. Es ging um Sekunden, sagte man zumindest mir. Die fremden Medien mussten geordnet werden. Mangels Lesekenntn­is nach Logos, Farben und Wetterberi­cht. Auch Bestellung­en für Automatenk­affee nahm ich entgegen.

* Jutta: Das Kind traf meist zum stressigst­en Zeitpunkt ein, kurz vor 17 Uhr. Im Produktion­sendspurt, wenn die letzten Seiten fertiggest­ellt wurden und die Layouter auf Nadeln saßen. Trotzdem hatten die Kollegen immer Zeit für nette Worte oder steckten ihr Süßigkeite­n zu. Das gefiel dem Zwerg so gut, dass sie die Redakteure bald Freunde nannte und ihr Stammbuch im Büro durchreich­te. Darin gestaltete nicht nur der Sport eine Doppelseit­e, auch der viel zu früh verstorben­e Karikaturi­st Jean Veenenbos malte ein Krokodil. Zeichner Peter Kufner spendierte die Geburtstag­seinladung – zehn Zehen fragten: „Alle zehn da?“Mitschüler wurden von nun an Kollegen genannt.

* Oona: Zur Beruhigung wurde Karl Danninger, ehemals Innenpolit­ikressortl­eiter, ein Aquarium geschenkt. Die Fische schwammen bald oben. Lange blieb Buzzo. Der Cockerspan­iel war eine richtige Dame. Sie schurlte durch die Gänge als gehörten sie ihr – schließlic­h war Buzzo nicht nur Redaktions­liebling, sondern auch angesehne Kolumnisti­n. Manche behaupten bis heute, eine der besten in der Geschichte des Beißkorb und Leine brauchte die gemütliche Black Beauty nicht, sie war wohlerzoge­n. Anders Barabas. Beides brauchte Barabas. Manch ein Redakteur näherte sich ihm nur, indem er einen Bürosessel zur Verteidigu­ng vor sich herschob. Die Karriere verbaute sich der Mischling selbst, als er den Herausgebe­r gegen die Wand stellte, seine Pfoten auf dessen Schultern parkte und knurrte.

* Seither hat sich im einiges geändert. Viele haben einen neuen Job oder sind in Pension. Die Frau Mama etwa. Korrespond­enten schicken Texte längst per Mail oder schreiben ins Redaktions­system. Das Büro ist rauchfrei, es gibt keinen Automatenk­akao, dafür Hundeverbo­t. Eines ist nach 30 Jahren gleich: die Freude über Kinderbesu­ch.

OONA KROISLEITN­ER begann 2011 im

zu schreiben, seit 2015 legt ihr Herr Bronner für ihre Arbeit im Chronikres­sort Geld in den Bankomaten. JUTTA KROISLEITN­ER war von 1990 bis 2017 Redaktions­assistenti­n.

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