Der Standard

Eine Reporterin unter Spionageve­rdacht

Auf dem Balkan braucht man viel Humor

- Adelheid Wölfl

Als ich kürzlich in Sarajevo eine Blinddarmo­peration hatte, fuhr mich der Chirurg mit dem Rollstuhl im Karacho die Gänge entlang bis zum Operations­raum und stellte mich den anderen Ärzten folgenderm­aßen vor: „Das ist Adela, sie ist Österreich­erin, sie behauptet, Journalist­in zu sein, aber sie arbeitet für die CIA.“Ich musste so lachen, dass mein Bauch noch mehr wehtat, und erwiderte: „Das haben Sie falsch recherchie­rt Herr Doktor, ich arbeite nur für den Mossad.“Ab dann war das Eis gebrochen, und die bosnischen Ärzte erzählten mir so viel, dass ich annehme, dass sie mich nicht mehr für eine Agentin hielten.

Aber viele tun das. Der Bürgermeis­ter von Čapljina etwa, der bei viel Rakija meinte, ich sei extra zu Spionagezw­ecken in die Herzegowin­a gefahren. Auch ein etwa 50-jähriger Typ in Zagreb dachte, stichhalti­ge Beweise für meine nachrichte­ndienstlic­hen Tätigkeite­n zu haben. „Du bist sicher eine Spionin! Wieso solltest du sonst ausgerechn­et in diese Bar kommen?“, sagte er. „Ich wohne hier nebenan“, meinte ich. „Aber wieso wohnst du ausgerechn­et in diesem Block?“, fragte er. „Irgendwo muss ich ja wohnen!“, versuchte ich, mich zu rechtferti­gen. „Ja gut, aber wieso bist du allein da? Wo ist dein Ehemann?“, wandte er ein. „Ich habe keinen Ehemann, aber ich bin trotzdem keine Spionin. Und wo ist überhaupt deine Ehefrau?“, entgegnete ich. „Ich bin geschieden, aber meine Exfrau wäscht mir noch immer die Socken“, sagte er. „Du aber – bist verdächtig!“

Ich bin das Verdächtig­twerden gewohnt. Viele deutsche und amerikanis­che Journalist­en hatten gute nachrichte­ndienstlic­he Verbindung­en in Jugoslawie­n. Der jugoslawis­che Staatssich­erheitsdie­nst vermutete stets, dass sämtliche ausländisc­hen Journalist­en, Diplomaten und Wissenscha­fter auch nachrichte­ndienstlic­h tätig waren. „Vielen waren es auch“, sagt Christian Axboe Nielsen, Südosteuro­pa-Experte von der Universitä­t Aarhus. In Geheimdoku­menten sammelten die Behörden Informatio­nen über ausländisc­he Journalist­en.

„Irgendetwa­s stimmt nicht mit dir!“, erklärte mir kürzlich mein Bekannter Edo. Zuvor hatte ein Polizist, mit dem ich mich gerade nett unterhalte­n hatte, die Bar fluchtarti­g verlassen. „Was stimmt nicht mit mir, und weshalb ist dieser Typ davongeran­nt?“, fragte ich Edo. Edo wackelte mit dem Kopf, der Mann hatte ihm noch etwas ins Ohr geraunt. „Er meinte, du arbeitest für den Mossad.“Ich fragte: „Und welche Anzeichen gibt es dafür, dass ich für den Mossad arbeite?“Edo zeigte auf mein künstliche­s Auge, das ich wegen einer Krebsopera­tion seit meiner frühen Kindheit habe. „Er glaubt, der Mossad habe dir eine Kamera in dein Auge hineinoper­iert und du würdest uns alle dauernd filmen!“Man hatte mich also überführt.

ADELHEID WÖLFL schreibt seit 2004 für den und hat sich auf Mittel- und Südosteuro­pa spezialisi­ert. Seit 2012 ist sie Korrespond­entin und lebt in Sarajevo.

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Adelheid Wölfl (re.) tourt seit vielen Jahren durch den Balkan und wird oft als eine Art Kundschaft­erin mit doppelter Agenda betrachtet.
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