Bill Gates, Milliardär mit Gewissen
Der Gründer von Microsoft erklärt im Gespräch mit dem Δtandard, welche langfristige Strategie für Afrika das Migrationsproblem lösen könnte, wie er den „alten“Kontinent sieht und warum er sich für einen „Leftie“hält.
Δtandard:
Die EU will sich von Migranten aus Afrika abschotten. Sie sind nach Brüssel gekommen, um über die Chancen in Afrika zu reden. Warum sind Sie so optimistisch, die Europäer so furchtsam?
Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der ein Anwalt für unkontrollierte Migration sein will. Unkontrollierte Migration ist keine schöne Sache für alle Beteiligten. Die Menschen zahlen dafür sehr viel Geld, manche müssen großes Leid erfahren, werden auf dem Meer ausgesetzt. Viele verlieren ihr Leben.
Haben wir in Europa den falschen Fokus auf Afrika?
Ich will damit nur sagen, die meisten Leute wollen einfach, dass Migration unter kontrollierten Bedingungen abläuft. Das macht auch Sinn. Wir sind in unserer Stiftung keine Experten für Migration. Aber wir sind Experten für die armen Regionen Afrikas. Wir beschäftigen uns mit den enormen Krankheitsproblemen, mit der extremen Armut in Afrika. Wir investieren viel in der Sahelzone, in Burkina Faso, im Niger, im Tschad. Für die Lösung dieses kurzfristigen Problems der illegalen Migration habe ich auch kein Rezept. Auf lange Sicht aber brauchen wir mehr Stabilität. Warum gab es eine Welle unkontrollierter Migration? Der Bürgerkrieg in Syrien hat dabei eine Schlüsselrolle gespielt. Es gab eine Menge legitimer Ansuchen um Asyl, dann haben sich Wirtschaftsflüchtlinge draufgesetzt. Wenn man Kriege vermeiden und Stabilität erreichen will, muss man in Humankapital investieren, Bildung und Gesundheit.
Was ja geschieht ...
Europa hat die Geschichte, eine der großzügigsten Regionen der Welt zu sein. Mehr als 60 Prozent der Hilfsgelder weltweit kommen aus einer Kombination der Budgets der EU und der Budgets ihrer Nationalstaaten. Für unsere Stiftung ist Europa ein wichtiger Partner in der Entwicklungshilfe oder im Polioprogramm.
Sie haben mit Bundeskanzler Kurz als EU-Ratspräsident gesprochen. Was rieten Sie ihm? INTERVIEW:
Die gute Nachricht in der Entwicklungshilfe ist, dass das in Asien sehr gut funktioniert hat. Indien hat sich ökonomisch gut entwickelt, sogar in Bangladesch und Pakistan gibt es Fortschritte. Die wirklich problematischen Länder wie Afghanistan oder der Jemen haben nicht eine so große Bevölkerung. Das heißt, der größere Teil der Hilfe der Welt und Europas muss an den vergessenen Kontinent Afrika gehen, dort gibt es extremste Armut, das größte Bevölkerungswachstum, die schlimmsten ansteckenden Krankheiten.
Hat Kurz Sie zum Afrikagipfel nach Wien eingeladen?
Wir werden dabei sein als Stiftung. Es werden Länder dabei sein, die exemplarisch sind dafür, wie man helfen kann, Äthiopien zum Beispiel, da tun wir sehr viel. Die Armut ist dort noch immer sehr groß, aber sie haben das Gesundheitssystem sehr verbessert, auch die landwirtschaftliche Entwicklung. Äthiopien ist ein ideales Beispiel dafür zu zeigen, wie Entwicklungshilfe das entscheidende Element sein kann, damit in Humankapital investiert wird.
Nigeria und Kongo werden in den nächsten Jahrzehnten mit ihrer stark wachsenden Bevölkerung Schlüsselländer in Afrika sein, was heißt das für Europa?
Es braucht eine langfristige Strategie, wie das in Asien schon funktioniert hat, wie in Vietnam, wo es ein exzellentes Bildungssystem gibt. Früher hat man Hilfsbudgets oft verwendet, um sich in dieser Region Freundschaften zu erkaufen. Seit Ende des Kalten Kriegs hat sich das aber geändert.
Was hat sich geändert?
Nun, es gibt noch immer diesen Konflikt, dass Länder immer auch die wirtschaftlichen Beziehungen verbessern wollen. Aber im Vordergrund ist die Hilfe nun getrieben vom Ziel, die Kindersterblichkeit zu senken, der schlechten Ernährung entgegenzuwirken. Am besten sind die Resultate bei medizinischer Hilfe, im Gesundheitswesen. Wenn wir das Richtige tun, sinkt die Kindersterblichkeit sogar in einem sehr, sehr armen Land wie Ruanda dramatisch.
Wie wichtig ist es, auch Programme zu entwickeln, die die Demokratie stärken und der Korruptionsbekämpfung dienen?
Für uns in der Entwicklungscommunity ist eines klar: Wenn Sie ein Budget haben und überlegen, wie man die Hilfe am besten einsetzen kann, um die Gesundheit oder Bildung zu verbessern, dann gibt es ein klares Setting, wie man das Schritt für Schritt umsetzt, insbesondere wenn man es in dem Land mit einer funktionierenden Regierung zu tun hat. Korruption ist eine üble Sache, das wirft einen wirklich dramatisch zurück. Nehmen Sie Nigeria. Sogar die Wähler dort sind gegen Steuererhöhungen, weil sie nicht glauben, dass sie das als staatliche Leistungen zurückbekommen. Es gibt daher einen total unterfinanzierten Staat, das ist ein Teufelskreis.
Sie sagen, wir brauchten mehr Großzügigkeit. Muss man so reich sein wie Sie, um großzügig Entwicklungshilfe zu leisten. Gibt es da einen Leftie, der in Ihnen steckt?
Ich bin in gewisser Weise doch ein Leftie. Ich glaube zum Beispiel, dass die Steuern noch progressiver sein sollten als heute. Ich bin ein Linker, wenn es darum geht, dass reiche Länder viel großzügiger sein sollten gegenüber den armen Ländern. Ich bin sicher kein Linker in dem Sinn, dass gesagt wird, Konzerne seien schlecht, Gewinne seien schlecht
Ich bin sehr liberal, wenn es um soziale Dinge geht. Das passt alles nicht so gut in ein Links-rechts-Schema. Was kann Europa tun?
Europa ist schon sehr großzügig in der Entwicklungshilfe, das kann man nicht als selbstverständlich ansehen. Ich bin eine hocheffiziente Person aus dem Privatsektor, ich kann sagen: Schaut her, ich stecke da bei einem Projekt mein eigenes Geld hinein zum gleichen Anteil wie jenes aus dem EU-Budget.
Wollen Sie ein Vorbild sein, von dem andere lernen?
Ja, aber man kann daraus auch ableiten, dass ein Engagement nicht unsinnig ist, dass man darauf vertrauen kann, dass das Geld nicht in irgendwelche korrupten Kanäle geht. Wir retten Leben, wir verteilen Impfstoff. Es ist wichtig für die Welt, dass Europa großzügig bleibt. Die beste Motivation dafür ist, dass es humanitäre Gründe dafür gibt. Wenn wir Stabilität schaffen, ist das sehr viel wert, auch große Investments.
Was kann Europa in der rasanten Entwicklung von Digitalisierung und Globalisierung bewegen? Kann es seine Sozialstaatsidee behaupten?
Sogar die USA tendieren dazu, im sozialen Netz generöser zu sein, wenn man das über einen längeren Zeitraum betrachtet. Wir liegen natürlich zurück hinter Ländern wie Schweden oder Frankreich, auch hinter Europa als Ganzes. Je reicher Länder werden, desto mehr tun sie proportional bei den Transferleistungen, um die Einkommensverteilung auszugleichen. Die gute Nachricht für die Welt ist, durch diese Digitalisierung und die Globalisierung steigt die Produktivität. Das versetzt uns in die Lage, die Leistungen zu finanzieren, die die Menschen brauchen, und es ist dafür weniger Arbeit nötig. Wenn wir schlau sind, können wir diese gewonnene Arbeitszeit nehmen und sie für Erziehung, zur Betreuung der alten Menschen, von Behinderten verwenden. Vielleicht werden wir sogar so wohlhabend, dass wir weniger arbeiten müssen.
Bill Gates, der Optimist?
Ja, neue Technologien bringen Wandel. Und manchmal ist nicht alles positiv, denken Sie nur
„ Wenn man Kriege vermeiden, Stabilität erreichen will, muss man in Humankapital investieren, Bildung und Gesundheit. “
an Social Media. Es gibt positive und negative Dinge. Aber alles in allem glaube ich, dass diese großartigen neuen Technologien das Leben der Menschen verbessern und erleichtern. Da sollten wir mit Volldampf weitermachen.
Machen Computer und das Internet die Welt demokratischer, wie Sie vor 25 Jahren sagten?
Es ist mit Sicherheit eine gute Sache, dass es heute leichter als je zuvor ist, Informationen zu bekommen darüber, was in der Welt geschieht. Aber es gibt auch die Seite, dass Leute nur jenen in ihrer Blase zuhören, mit denen sie einer Meinung sind. Es gab Trends zur Polarisierung, bereits lange bevor digitale Medien aufkamen. Es scheint aber so zu sein, dass digitale Medien diesen Trend der Polarisierung verstärken, wenn dann Rechte nur auf Rechte hören, Linke nur mit Linken kommunizieren. Da stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen. Ich habe dafür keine technische Lösung.
Sie sprechen von einer zweiten Karriere, die Sie als Philanthrop gemacht haben. Was war Ihre Motivation dafür?
Als ich auf die 50 zuging, dachte ich, ich sei nicht mehr die richtige Person, um einen Technologiekonzern zu leiten. Dann habe ich an einem Punkt definitiv gesehen, dass ich besser meine Sachen packen sollte. Aber der Erfolg von Microsoft gab mir auf eine erstaunliche Weise diesen gigantischen Reichtum. Dann hatte ich die Idee: Kann ich diesen Reichtum hernehmen und dabei helfen, einen Impfstoff gegen Malaria und gegen HIV zu entwickeln? Zuerst wollte ich in die Wissenschaft investieren, um die Welt besser zu machen.
Wie sind Sie dann auf die Entwicklungshilfe gekommen?
Ich bin auf das Problem der Verteilung gestoßen, dass man zwar gute Impfstoffe hat, aber sich die Frage stellt: Wie kann man sie allen Kindern in Afrika zukommen lassen? So wurde ich da hineingezogen. Für mich ist dieser zweite Job ein bisschen wie mein erster. Ich arbeite mit Menschen zusammen, ich bin der, der optimistisch ist, schaue auf Messgrößen, ob das System funktioniert.
Das klingt nach harter Arbeit ...
Es ist ein Job. Ich stehe früh am Morgen auf, lese alle die Papiere, die man mir vorlegt. Ich muss ständig dazulernen, habe ein Team, bin sehr stolz darauf, dass die Exzellenz der Stiftung, die Qualität der Mitarbeiter, mindestens so gut ist wie bei Microsoft. Es geht darum, die Zahlen im Griff zu haben. Fehler einzuräumen, Partnerschaften schaffen.
Was bedeutet Geld für Sie, den zweitreichsten Menschen der Welt ist?
Wissen Sie, meine Kinder gehen in gute Schulen, wir haben eine gute Gesundheitsversorgung. Wir brauchen nur einen Bruchteil des Geldes. Ich möchte ein Beispiel geben für andere. 98 Prozent gehen in unsere Stiftung.
BILL GATES (62) Gründer von Microsoft, heute mit seiner Frau Melinda Vorsitzender der Gates-Stiftung. p Langfassung des Interviews derStandard.at/Agenda