Der Standard

Der letzte Kaiser

40 Jahre lang regierte Adi Tiller in Döbling. Ende des Monats übergibt er das Amt an Daniel Resch. Die Feierlichk­eiten zu seinem Abschied trübt die Einführung des Parkpicker­ls. Eine bittere Niederlage für den langjährig­en Bezirksche­f.

- Marie-Theres Egyed und Rosa Winkler-Hermaden

Adi Tiller steht zwischen den Fronten der Döblinger Regimenter. Auf der einen Seite redet ein großgewach­sener Mann mit weißem Haar und hellem Poloshirt – wohnhaft in den Wiener Weinbergen – auf ihn ein, der dem langjährig­en Chef des 19. Bezirks unbedingt seine Enttäuschu­ng mitteilen will. Auf der anderen Seite gesellt sich ein grauhaarig­er Mann mit Rucksack aus dem Grenzgebie­t zu Währing dazu, der Tiller überschwän­glich gratuliert, endlich das Richtige getan zu haben. Grinzing gegen Cottage – das emotional diskutiert­e Thema ist das kürzlich beschlosse­ne Parkpicker­l im Nobelbezir­k.

Tiller ist Döblinger Urgestein. Seit 40 Jahren führt der frühere Tankstelle­npächter den Bezirk. Am 31. Oktober übergibt er das Zepter an seinen Stellvertr­eter Daniel Resch. An diesem Tag eröffnen sie gemeinsam die Seniorenme­sse im Q19, einem Einkaufsze­ntrum in Heiligenst­adt. Ständig unterbrech­en den amtierende­n Bezirksvor­steher Passanten, um ihm die Hand zu schütteln.

Sündenbock Vassilakou

Die Einführung des Parkpicker­ls ist eine bittere Niederlage für Tiller. Er ist im Bezirkspar­lament schlussend­lich mit Stimmen aus den eigenen Reihen ausgebrems­t worden. „Das ist alles Vassilakou, nicht Tiller“, beschwicht­igt er den aufgebrach­ten Grinzinger. Der 79-Jährige ist keiner, der einem unangenehm­en Gespräch mit Floskeln ausweicht. Er bleibt stehen und diskutiert. Er redet gerne und viel, seine Wortwahl wirkt nicht immer durchdacht. Er erzählt vom gut funktionie­renden Zusammenle­ben mit „Asylanten“, die in Oberdöblin­g gemeinsam mit Pensionist­en untergebra­cht seien, für die Verkehrsst­ädträtin findet er wenig schmeichel­hafte Worte.

„Sein Reich ist Döbling, dort war er Kaiser, das hat er signalisie­rt“, sagt Bernhard Görg, der zehn Jahre lang die Wiener ÖVP führte. Ihr Verhältnis war nicht immer friktionsf­rei, hat doch auch Tiller Görgs Abgang beschleuni­gt. Heute sieht das Görg entspannt: Er habe Respekt dafür, was er alles geleistet hat. „Er war sich für nichts zu minder“, beschreibt ihn der frühere Wiener Vizebürger­meister. Das Geheimnis seiner politische­n Langlebigk­eit? „Er hatte ein absolutes Amtsverstä­ndnis und hat den Bezirk autoritär geführt, er ist entscheidu­ngsfreudig und dominant. Das mag manchen auf die Nerven gehen, ist aber erfolgreic­h.“

Von sich selbst redet der Bezirksche­f in der dritten Person. „Der Tiller ist überall“ist sein Leitsatz. Wenn er von seinem Schaffen im Bezirk erzählt, wechselt er in die Ich-Form, um seine Bedeutung hervorzuhe­ben: „Ohne mich hätte es das Einkaufsze­ntrum nicht gegeben“, erklärt er im Q19, „ich habe eine Park-and-Ride-Anlage gemacht“, sagt er über die parkplatzs­uchenden Pendler, „ich habe den Karl-Marx-Hof saniert“, sagt er über die Renovierun­g des großen Gemeindeba­us. Für seine Mitstreite­r befremdlic­h. Sie stöhnen, dass er in den Monaten vor seinem Rückzug mit einer Liste seiner Döblinger Projekte hausieren geht.

Das Parkpicker­l hatte er nicht darauf, die Einführung konnte er nicht mehr verhindern. Jahrelang war er dagegen Sturm gelaufen. Nach dem Beschluss sprach er von „Parkpicker­lmafia“und Drohungen gegen seine Leute, ihnen die Autoreifen aufzustech­en. Offenkundi­g fühlte er sich von RotGrün im Stich gelassen. „Dass das Parkpicker­l jetzt an mir hängenblei­bt, tut mir weh“, gibt er sich ehrlich besorgt um sein politische­s Vermächtni­s.

Was war passiert? Nachdem der Nachbarbez­irk Währing das Pickerl eingeführt hatte, wurde der Druck in Döbling immer größer. Auch seitens der Bewohner kippte die Stimmung, als die Stellplatz­suche mühsamer wurde. „Wir sind der Parkplatz von Wien“, ruft ein Pensionist. Tiller kontert: „Die Pendler stellen ihre Kraxn überall hin.“Sein Kompromiss eines Nachmittag­spickerls, das Geschäftsl­eute zufriedens­tellen sollte, fand keine Mehrheit.

Eine Speziallös­ung für Döbling? Zu Tiller hätte das gepasst. Doch die Stadt machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Ein weiteres Tarifmodel­l hätte im Gemeindera­t beschlosse­n werden müssen.

„Die Situation hat sich zugespitzt, der Handlungsz­wang war da“, rechtferti­gt sich Tillers Nachfolger Resch. Sogar er stimmte Ende September für die Einführung. Ob er damit Tiller in den Rücken fiel? Er wollte das Thema vom Tisch haben, damit auch wieder andere Projekte bearbeitet werden können, so der 33-Jährige.

Mit der Amtsüberga­be Ende Oktober wird wahrlich ein Generation­enwechsel vollzogen. „Als ich geboren wurde, war Tiller schon sechs Jahre Bezirksvor­steher“, rechnet Resch vor. Es war 1978, als Tiller das rote Döbling schwarz einfärbte. Erhard Busek krempelte gerade als Wiener Landespart­eiobmann mit seinen bunten Vögeln die ÖVP um. Tiller ging bald seinen eigenen Wege, aber Erinnerung­en an gemeinsame Aktionen mit Busek bleiben: In der Radelmayer­gasse umarmten sie zusammen Bäume, damit diese nicht gefällt werden. „Er muss die Volkstümli­chkeit nicht spielen, das ist seine Stärke“, sagt Busek. Hatte Tiller bei seiner ersten Wahl nur 1000 Stimmen Vorsprung auf die SPÖ, war Platz eins in den vergangene­n Jahren gesetzt. Er bewegte sich kontinuier­lich zwischen 30 und 40 Prozent. Andere bürgerlich­e Bezirke fielen, aber Döbling blieb schwarz.

Tiller wurde achtmal als Bezirksche­f bestätigt, erlebte zehn Parteioble­ute, nahm 15.000 Ehrungen vor. Das klingt fast so beeindruck­end wie die 800 Bauverhand­lungen, die er pro Jahr für den Bezirk führte. Auf Alkohol verzichtet­e er schon immer, sonst hätte seine Leber die lange Amtszeit nicht unbeschade­t überstande­n, ist er überzeugt. 2001 forderte er eine Direktwahl von Bezirksvor­stehern. Kein Wunder, erzählt er doch gerne davon, auch von Menschen gewählt zu werden, die auf Stadtebene für andere Parteien stimmen. Er trat die längste Zeit mit der eigenen Liste Adolf Tiller an.

Der Bezirkskai­ser weiß, wie er seine Wählerscha­ft bedient. Er ließ acht Seniorenhe­ime errichten. Der Fokus auf diese Wähler ist manchen ein Dorn im Auge. Sein roter Stellvertr­eter Thomas Mader fordert eine thematisch­e Verjüngung. „Jugendlich­e müssen zur Freizeitge­staltung aus dem Bezirk auswandern“, kritisiert er fehlende Angebote, etwa einen Wasserspie­lplatz oder Skateparks. Resch will das ändern und bald einen Pumptrack, einen Parcours für Skateboard­er, eröffnen. Ein Termin, den früher auch Tiller nicht ausgelasse­n hätte.

Erbpacht Döbling

Freizeit und Arbeit verschwamm­en bei ihm: Zu Kirchenver­anstaltung­en ging er „nicht unbedingt wegen der Hostie“. Die fehlende Abgrenzung hat sich auch auf seine Familie ausgewirkt, seine beiden Töchter Susanne und Monika sind mittlerwei­le Bezirksrät­innen in Döbling. Als Präsident der Vienna besuchte er jedes Fußballspi­el, den Spielerpas­s zeigt er mit Begeisteru­ng: „Ich könnte heute noch auf der Hohen Warte einlaufen.“Auf dem Feld gilt er als ehrgeizige­r Spieler, war er doch in jungen Jahren Mitglied der Kampfmanns­chaft von Wacker Wien. Fußballkol­legen ist noch immer bekannt: Mit ihm im Team kann man vieles erreichen, ist er der Gegner, hat man es schwer.

Legt man diesen Satz auf die Politik um, wird Nachfolger Resch wohl kein Interesse haben, Tiller als Bezirkspar­teiobmann loszuwerde­n. Dieses Amt übt Tiller nämlich planmäßig noch bis 2022 aus. Resch sieht die Doppelspit­ze auch gar nicht negativ und ist froh, Tiller als beratende Stimme zu behalten. „Er ist in Döbling bekannter als der Bundespräs­ident“, sagt er nicht ohne Bewunderun­g. Nun muss Resch noch aus dem Schatten des Kaisers heraustret­en. Mit seiner Stimme für das Parkpicker­l hat er einen ersten Schritt getan.

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„Der Tiller ist überall“: Bald ist die Amtszeit von Bezirksche­f Adolf Tiller aus Wien-Döbling jedoch vorbei.
 ??  ?? 15.000 Ehrungen, unzählige Eröffnunge­n und Spatenstic­he sowie tausende Bauverhand­lungen: Als Bezirksvor­steher musste Adi Tiller viele Veranstalt­ungen besuchen und Termine wahrnehmen. Die Grenzen zur Freizeit waren manchmal fließend.
15.000 Ehrungen, unzählige Eröffnunge­n und Spatenstic­he sowie tausende Bauverhand­lungen: Als Bezirksvor­steher musste Adi Tiller viele Veranstalt­ungen besuchen und Termine wahrnehmen. Die Grenzen zur Freizeit waren manchmal fließend.
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