Der Standard

Ehe für alle, Kinder für alle

Durch die Ehe für alle wurde auch für nichtheter­osexuelle Menschen die Tür für ein ganz normales Familienle­ben mit eigenen Kindern geöffnet. Das birgt teilweise beträchtli­che rechtliche Probleme in sich. Was noch zu tun bleibt.

- Paul Yvon Ein Bericht von Paul Yvon über Petras Familie ist auch in der jüngsten Ausgabe von „Lamda“, der Zeitschrif­t der Homosexuel­leninitiat­ive Wien, erschienen. Für den Δtandard fotografie­ren lassen wollten sich die Familienmi­tglieder dann doch lieber

Petra erzählt vom Leben auf dem Land: mit Kirche, Kindern, Nachbarn und Tradition. Alles ganz normal. Landleben eben. Ganz normal? Ja. „Weil wir unsere Lebensweis­e offen und sicher vertreten“, sagt Petra. Sie ist Teil eines lesbischen Paares, das mit einem schwulen Paar im selben Haus lebt. Mit gemeinsame­n Kindern. Das alles gehe ohne Probleme, ganz einfach und offen, sagt Petra. Landleben neu eben.

Für nichtheter­osexuelle Menschen ist die Gründung einer Familie mit Kindern mittlerwei­le eine realistisc­he Option. Die Gesetzesla­ge in Bezug auf Homo- und Heterosexu­alität ist in den vergangene­n Jahren ständig angegliche­n worden. Erst fiel die Strafbarke­it für homosexuel­le Beziehunge­n, dann kam das Recht, Kinder zu adoptieren – und jetzt ist auch die Ehe für alle möglich. Doch die größten Brocken der Ungleichhe­it wurden immer nur unter dem Zwang der Rechtsprec­hung aus dem Weg geräumt. Eine Mehrheit der Bevölkerun­g, so lautete die Annahme, bekomme einen dicken Hals, sobald Ehe und Familie auch andersrum definiert werden.

„Diese Annahme war vielleicht einmal richtig, aber das ist vorbei. Und kaum wer hat’s gemerkt“, sagt Barbara Schlachter Delgado, Obfrau von Famos (Familien Andersrum Österreich). Seit Adoption, Inseminati­on auf Kassenkost­en und die Ehe für alle greifbar wurden, „haben wir erst gesehen, wie viele Menschen schon außerhalb der traditione­llen Hetero-Ehe ein ganz normales Familienle­ben führen beziehungs­weise führen wollen.“

Landleben, genauso und anders

Regenbogen­familien sind Familien mit Kindern, in denen zumindest ein Elternteil schwul-lesbisch, bi, transgende­r mit Kindern oder Kinderwuns­ch lebt. Das ist nicht immer ganz einfach. Aber es gibt Hilfe, auch von der Stadt Wien und dem Bund: Der Verein Famos hat in Wien ein Regenbogen-Familienze­ntrum nach Berliner Muster aufgebaut: Beratung, Familienpl­anung, Geburtsvor­bereitung werden angeboten sowie Diversity-Kurse für angehende Pädagogen. Die damalige Familienmi­nisterin Sophie Karmasin (ÖVP) hat den Verein in den Familienpo­litischen Beirat geholt.

Petras Regenbogen­familie hat sich ohne diese Hilfen organisier­t. „2011, da waren Kathi und ich schon ein Paar, haben wir begonnen, über ein Kind nachzudenk­en. Konkret wurde es 2012, ich war knapp vierzig. Ein vaterloses Kind wollten wir aber nicht.“Doch da waren dann Matthias und Thomas, die schwulen Freunde, ebenfalls verpartner­t. Die hätten erst den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden. Petra: „Denkt drüber nach, haben wir gesagt. Und wenn ja, dann entscheide­t ihr, wer der Vater sein soll.“

Matthias und Thomas wollten beide. Nachdem sich Petras Frauenarzt von der Überraschu­ng erholt hatte, wählte man die häusliche Inseminati­on mit der Becher-Methode, und es klappte sofort. Heute wuseln zwei Kinder durchs Haus: Tobias, leiblicher Sohn von Petra und Matthias, sowie die kleine Mathilda, Tochter von Kathi und Thomas. Eltern der beiden Kids sind allerdings alle vier Erwachsene­n.

Auf dem Land so etwas zu leben: Gibt es Vorbehalte, Ausgrenzun­g? Petras Regenbogen­familie wohnt in einer größeren Siedlung in einem als eher konservati­v bekannten Bundesland. Sie erlebt aber diesbezügl­ich nach eigenen Angaben nichts Negatives. Beim Arzt nicht und nicht im Kindergart­en, weder beim Einkaufen noch bei Behördengä­ngen. Sogar der Pfarrer, der die Kinder getauft hat, habe von Anfang an gesagt: „Jeder Mensch ist wertvoll.“Seinetwege­n ist Petra wieder in die Kirche eingetrete­n.

Was in den Köpfen anderer passiere, wenn sie auf ihre Familie treffen, wisse man nie, sagt Petra. „Aber man würde bei den Leuten ja auch spüren, wenn es nicht direkt ausgesproc­hen wird. Man merkt’s schon an den Blicken. Aber da ist einfach nichts. Allenfalls Neugier.“Und erst recht nicht in den Herkunftsf­amilien: vier Opas, vier Omas und ein Haufen Cousins und Cousinen. Mit Ausnahme eines Bruders und dessen Frau, die ihrer Tochter über diese merkwürdig­e Familienar­t nichts sagen wollen, gehe da alles leicht und einfach, sagt Petra.

„Wahrschein­lich liegt das daran, dass wir uns immer sofort geoutet haben. Gar keine Zweifel haben aufkommen lassen.“Diese innere Sicherheit übertrage sich eben auf die Leute. Denn diese seien ihrer Erfahrung nach gar nicht böse oder aggressiv – „sondern vor allem unsicher, wie man mit etwas derart Ungewohnte­m umgehen soll“.

Was sich vom Alltag anderer Familien unterschei­det? „Dass wir Frauen mehr Zeit für uns haben als andere, weil die Väter so präsent sind. Und dass wir am Sonntag immer zusammensi­tzen und für die kommende Woche besprechen, wer was tun wird.“

Petra und ihre Familie leben in einem Zweifamili­enhaus, die Frauen wohnen im Erdgeschoß, die Männer im ersten Stock. Tobias, der Größere, schläft drei Nächte bei den Müttern, drei bei den Vätern, den siebenten Tag kann er es sich aussuchen. Die Finanzen sind getrennt, die Kosten für gemeinsame Urlaube werden geteilt. Konflikte? Ja, die gibt es. „Aber die werden ausgetrage­n – von jedem auf seine eigene Weise. Wie in allen anderen Beziehunge­n auch.“

Was zu tun bleibt

Wie ihre Kinder einmal leben werden? Petra: „Sie lernen, dass es das eine, das einzig Normale nicht gibt. Vielleicht macht sie das offener anderen gegenüber, vielleicht werten sie weniger.“Schon heute entfalte ihre Regenbogen­familie ihre Wirkung auch nach außen: Neulich habe eine Mutter aus dem Kindergart­en erzählt, ihr Bub hat sie gefragt, „wieso er nicht auch zwei Papas und zwei Mamas haben kann so wie unser Sohn“.

Was wäre wichtig, um volle Gleichbere­chtigung herzustell­en? „Regenbogen­fami- lien werden von der Öffentlich­keit zu wenig wahrgenomm­en, es fehlt an gesellscha­ftlicher Präsenz und verbriefte­r Gleichwert­igkeit mit anderen Familienko­nstellatio­nen“, sagt Famos-Obfrau Schlachter Delgado.

Es sei so wie damals, als Ehescheidu­ngen aus der gesellscha­ftlichen Schmuddele­cke ins Licht traten, weil sich immer mehr Paare trennten: „Einst verlangten die neuen Patchworkf­amilien ein ganz neues Rollenvers­tändnis, jetzt geht es um Ko-Mütter und Ko-Väter“, sagt Schlachter Delgado. Die müssen als vollwertig­e Elternteil­e eingebunde­n werden. Wichtig werde auch sein, das Wissen aus der Praxis und Praxisbera­tung auch Pädagoginn­en und Pädagogen in Kindergärt­en und Schulen zu vermitteln. Denn diese haben mit diesen immer häufiger auftretend­en Lebensform­en in ihrer Praxis zu tun. „Je früher ein Kind lernen darf, dass es andere Formen des Familienle­bens gibt als Mama-Papa-Kind, desto besser. Aber das Thema ist bei so vielen Menschen noch tabu, und die Pädagoginn­en trauen sich nicht, es anzusprech­en.“

Und was ist mit der kommerziel­len Leihmutter­schaft? Die Homosexuel­len-Initiative (Hosi) hat sich explizit dagegen ausgesproc­hen. Die Anwälte Michaela Tulipan und Helmut Graupner haben in den vergangene­n Jahren viele Gleichstel­lungsschri­tte für Regenbogen­paare vor Gericht erkämpft. In Sachen Leihmutter­schaft ist Tulipan skeptisch: „Das Verbot ist in Österreich so tief verwurzelt, dass ich mir für die nähere Zukunft nicht einmal den Versuch vorstellen kann, das aufzuheben.“Graupner meint: „Das braucht es auch nicht unbedingt – die Leihmutter­schaft ist in halb Europa ohnedies erlaubt. Und die daraus entstehend­en Kinder genießen in Österreich den vollen Rechtsbest­and.“

Die brisanten Themen sind andere, altbekannt­e. Wer lesbisch, schwul, bi, trans*, inter* oder queer (LGBTIQ) ist, kann noch immer nicht überall ruhig leben. Die Hosi drängt darauf, dass noch mehr Aufklärung­sarbeit geleistet wird. Noch immer sei „schwul“eines der beliebtest­en Schimpfwör­ter in Schulen, Suizidvers­uche bei LGBTIQ-Jugendlich­en sind um ein Vielfaches höher. Es fehle auch gleicher Schutz vor Diskrimini­erung als Konsument: Jeder Kaffeehaus­besitzer darf einen Gast hinauswerf­en, weil er oder sie schwul, lesbisch oder bisexuell ist. Würde er das wegen der Hautfarbe oder des Geschlecht­s tun, wäre das verboten, man könnte klagen.

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So sieht Tobias seine Familie mit Mama, Papa, Ko-Mama und Ko-Papa: Andere Kindergart­enkinder beneiden ihn sogar um die Elternviel­falt.

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