Der Standard

Die Standler am Flohmarkt üben den Aufstand

Seit Anfang Oktober müssen die Stände am Flohmarkt neben dem Naschmarkt früher schließen, eine Maßnahme gegen Schwarzhan­del und Müll. Reguläre Händler protestier­en, manche sprechen von Streik.

- Gabriele Scherndl

Doch nur ein Laubblatt. Der Mann in der abgetragen­en Winterjack­e wirft es weg. Vielleicht hatte er es für einen Ohrring gehalten, als er danach griff. Oder für eine kleine Brosche. Manches von dem, was sie nicht verkaufen, lassen die Marktstand­ler hier am Naschmarkt-Flohmarkt liegen, wenn sie gehen. Einen großen, leeren Koffer und einen Trolley voller Kleinkram konnte der Mann in der Winterjack­e heute ergattern.

Männer wie er sind oft Schwarzhän­dler und der offizielle Grund, warum der Flohmarkt seit Anfang Oktober nicht mehr wie früher um 18.00 Uhr, sondern um 14.00 Uhr schließt. Sie, und der Müll, den sie hinterlass­en. Schon um zehn vor zwei steht darum ein Mann von der Marktaufsi­cht am Eingang und schreit lauthals „Marktschlu­ss um 14 Uhr!“„18 Uhr!“, rufen manche Händler zurück, „Protest!“ein Kunde.

Man komme mit der früheren Schließung dem Wunsch einiger Platzkarte­nbesitzer nach, heißt es vom zuständige­n Magistrat 59. Sie würden ohnehin früher gehen, weil sie genug verdient haben, sagt Sprecher Alexander Hengl. Weil sie nun bis spätestens 15.00 Uhr das Feld geräumt haben müssen, könne die MA 48 nun auch schon früher mit der Reinigung beginnen, den Schwarzhän­dlern soll keine Zeit gelassen werden, sich zu platzieren.

Weniger Zeit, gleiche Gebühr

Die Standgebüh­r, die die legalen Verkäufer bezahlen müssen, bleibt trotz frühzeitig­er Schließung gleich. Um 14 Uhr beginnen sie heute brav, Teppiche zusammenzu­falten, Kleider in Ikea-Taschen zu stecken und Porzellant­eller in Zeitungspa­pier zu wickeln. „Idiotisch“, murmelt ein Mann, während er Bilderrahm­en abhängt. „Viel zu früh“, sagt ein anderer, der noch dabei ist, seine Lederschuh­e den Passanten anzupreise­n. „Ich war immer bis 17 Uhr da“, sagt er, „mir entgeht ein Haufen Kundschaft.“Die paar Schwarzhän­dler, meint er, würden das nicht rechtferti­gen. Er zeigt auf seinen Nachbarn, der gerade eine Gugelhupff­orm in eine Kiste steckt: „Er braucht zwei Stunden zum Aufund zum Abbauen. Ihm bleiben gerade mal vier, fünf Stunden zum Verkaufen.“Der Nachbar legt die Kiste aus der Hand und zeigt Richtung Naschmarkt, wo das Magistrat in einer kleinen grünen Holzhütte sein Büro hat. „Warum kommen sie nicht her und machen ihre Arbeit? Dann könnten wir länger verkaufen?“

Verstärkte Kontrolle, so die Meinung vieler Standbesit­zer, könnte den Schwarzhan­del und den damit verbundene­n Müll eindämmen, auch ohne frühere Schließung. Jeden Samstag wären zehn Leute im Dienst, sagt Marktamtss­precher Hengl, sie würden über 100 Übertretun­gen feststel- len. Deswegen sei der Flohmarkt ein Minusgesch­äft für das Amt: Kontroll- und Putzkosten übersteige­n das, was man mit den Standgebüh­ren einnimmt. Die logische Konsequenz: gleich viel einnehmen, weniger ausgeben.

Das sei nicht der erste Versuch, den Flohmarkt zu beschneide­n, erzählt Erich Dimitz, der Leiter des Bezirksmus­eums im sechsten Bezirk. In den 1980ern sollte er nach Aspern abgesiedel­t werden, Hundertwas­ser sei einer der ersten Unterzeich­ner einer Petition dagegen gewesen, „und auch Schmetterl­inge wie der OstbahnKur­ti“hätten sich dagegen starkgemac­ht. Der Flohmarkt blieb.

Händler protestier­en

In einem Aschenbech­er an einem Stand liegt ein roter Button: „Weniger Flohmarkt: Verlust für alle!“steht drauf. Unter manchen Händlern formiert sich Protest, Unterschri­ften werden gesammelt, einzelne murmeln von Streik. Die Initiative FreundInne­n des Wiener Flohmarkts – sie wird getragen von ehemaligen grünen Bezirksrät­en – versucht, in einem offenen Brief an Stadträtin Ulli Sima und Bezirksvor­steher Markus Rumelhart (beide SPÖ) zu mobilisier­en.

Mittlerwei­le haben fast alle Standler zusammenge­packt. Zurück bleiben einzelne Schuhe, kaputte Schallplat­ten und leere Kaffeebech­er. Dann kommen die Trolleys: Menschen jeden Alters und jeder Herkunft wühlen in dem, was noch übrig ist, und stecken abgegriffe­ne Fotoalben und Stofftiere in ihre Einkaufswa­gen. Am Rand des Flohmarktg­eländes versuchen sie, noch ein, zwei Euro dafür zu bekommen.

Einer von ihnen ist der Herr in der abgetragen­en Winterjack­e. Kurz nachdem er das Blatt wegwirft, kommt ein Polizist. Er solle mit seinem Zeug verschwind­en, sagt dieser, „sonst kommt der Wagen und alles ist im Mistkübel“.

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Seit 1977 werden am Flohmarkt am Naschmarkt allerhand Antiquität­en und Alltagsgeg­enstände verkauft. Immer wieder kam es zu Versuchen, den Markt zu beschneide­n.
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