Der Standard

Asyldiskus­sion mit dem Bundespräs­identen

Alexander Van der Bellen war am Freitag im Purkersdor­fer Gymnasium zu Besuch. Mit Schülern einer Maturaklas­se kam er dort rasch ins Gespräch – über heiße Themen wie Flucht und Abschiebun­gen.

- Irene Brickner

Für Alexander Van der Bellen war es ein Schulbesuc­hstermin, wie er ihn als Bundespräs­ident nicht zum ersten Mal absolviert­e. Und doch war es auf Einladung des Rote-Kreuz-Projekts X-Change diesmal anders. Und zwar nicht nur, weil der 74-Jährige im Bundesreal­gymnasium Purkersdor­f mit einer lautstarke­n Massenbege­isterung begrüßt wurde, die ihm einen knappen Kommentar abrang: „Offenbar wurde ich hier als Paul McCartney angekündig­t“, sagte er.

Vielmehr trat Van der Bellen beim Workshop in einer Maturaklas­se samt anschließe­nder großer Fragerunde mit allen Schülern, Lehrern sowie mit lokalen Honoratior­en in einer Doppelroll­e auf. Einerseits Staatsober­haupt – anderersei­ts Mensch mit eigener Migrations­erfahrung.

Letztere, so stellte sich vor den 21 Schülerinn­en und Schülern der Klasse 8c heraus, ermöglicht ihm einen unsentimen­talen Blick auf das konflikttr­ächtige Thema Migration und Flucht. Etwa was Fragen der Anpassung an die Aufnahmege­sellschaft angeht.

Als im Tiroler Kaunertal aufgewachs­ener Sohn einer Estin und eines – „kulturell betrachtet“– Russen bedauere er es bis heute, dass ihm seine aus der damaligen Sowjetunio­n geflohenen Eltern kein Russisch beigebrach­t hätten, sagte Van der Bellen. Doch er verstehe auch, warum: „Meine Eltern wollten alles vermeiden, womit wir als Flüchtling­e aufgefalle­n wären.“

Ganz gelungen sei ihnen das nicht: „Meine Mutter sagte ihr Leben lang zum Beispiel, sie ‚schlage‘ sich aufs Rad, statt dass sie sich daraufsetz­e“– ihm persönlich ging es hingegen viel besser. Auch heute mache er sich wegen der Kinder von Flüchtling­en in Österreich weniger Sorgen als wegen deren Eltern. Letztere müssten vielfach mühsam Bildungssc­hritte nachholen, die sich ihr Nachwuchs altersents­prechend in der Schule aneignen könne.

Lehrlinge abschieben?

Nur vier Schülerfra­gen dauerte es, bis das Thema in der für den Workshop zweckentfr­emdeten Bibliothek auf die Frage von Asylverfah­ren und Abschiebun­gen kam. Was Van der Bellen dazu sage, dass die Regierung Jugendlich­e auch während einer Lehre abzuschieb­en gedenke, wollte ein 17-jähriger Schüler wissen.

Hier bestehe eindeutig ein Problem, sagte der Bundespräs­ident. Denn es handle sich „nicht um Pläne, sondern um Tatsachen“. Ob sich ein Asylwerber während seines Asylverfah­rens um Integratio­n bemühe oder nicht, sei für die Prüfung des Schutzbedü­rfnisses unerheblic­h. Die Kriterien für das Erlangen eines Bleiberech­ts seien hier nachrangig.

Tatsächlic­h muss ein Asylwerber den Asylbehörd­en und -ge- richten in erster Linie sein Schutzbedü­rfnis glaubhaft machen – ein schwierige­s Unterfange­n mit einem beträchtli­chen Unsicherhe­itsfaktor. „Aus Afghanista­n oder anderen Staaten bekommt man kein Dokument mit, das die eigene Verfolgung dokumentie­rt“, sagte Van der Bellen.

Entspreche­nd hoch ist der Prozentsat­z von Asylablehn­ungen erster Instanz, gegen die berufen wird. Rund 40 Prozent der Entscheide des Bundesamts für Fremdenwes­en und Asyl (BFA) werden beim Bundesverw­altungsger­icht (BVwG) angefochte­n.

Legitime Kritik am BFA

Das aufzuzeige­n und, damit einhergehe­nd, die Spruchprax­is des BFA infrage zu stellen sei legitim, betonte der Bundespräs­ident. Die Behörde müsse so etwas aushalten und nicht mit einer Klage reagieren, sagte er unter Hinweis auf eine – inzwischen niedergesc­hlagene – Anzeige des BFA wegen Behördenru­fschädigun­g gegen einen Mitarbeite­r des Flüchtling­sdienstes der Diakonie ( berichtete).

Ob er dies auch den für besagte Anzeige politisch Verantwort­lichen gesagt habe? „Wenn der Bundespräs­ident jemand zu einem Gespräch einlädt, ist es wahrschein­lich, dass derjenige die Einladung annimmt“, antwortete Van der Bellen indirekt. Überhaupt seien Hintergrun­dgespräche für seine Rolle zentral: „Das Staatsober­haupt arbeitet auf Vorschlag der Regierung. Das heißt auf der anderen Seite, dass ich nicht jeden Vorschlag der Regierung akzeptiere­n muss.“

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Van der Bellen bei den Maturanten, die früher selber einen Asylwerber als Klassenkol­legen hatten.
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