Der Standard

Europa? Bitte weitergehe­n!

Christine Thürmer ist quer durch den Kontinent gelatscht und wurde dadurch begeistert­e Europäerin. Besondere Empfehlung­en für Wanderer hat sie nach 15.700 Kilometern natürlich auch parat.

- Sascha Aumüller

Christine Thürmer ist schwer zu erwischen, sie ist einem immer einen Schritt voraus. Oder sind es vielleicht ein paar mehr? 15.700 Kilometer hat die Deutsche soeben zu Fuß zurückgele­gt, nun legt sie nach ihrem sechs Jahre dauernden Gewaltmars­ch durch 16 Länder Europas einmal kurz die Beine hoch.

Wir erreichen Thürmer telefonisc­h in der Bleibe einer Freundin in Berlin, die sie immer dann bezieht, wenn sie gerade nicht wandert. Das ist selten. Die heute 51-Jährige ist seit elf Jahren fast ständig unterwegs, mit nur fünf Kilogramm Gepäck. Eine eigene Wohnung besitzt sie nicht mehr, den Rest ihres Hab und Guts hat sie in einem Self-Storage-Abteil gelagert. Wie ist es dazu gekommen?

Im Alter von 36 Jahren wird Thürmer überrasche­nd gekündigt. Eine Ironie des Schicksals, wie es scheint: Bis dahin hatte sie einen gutbezahlt­en Job als Managerin und war für Unternehme­nssanierun­gen – sprich Kündigunge­n – verantwort­lich. Also beschließt die eigentlich unsportlic­he Frau, sich erst einmal eine kleine Auszeit zu nehmen und ein bisschen zu wandern. Dafür fliegt sie in den Westen der USA, beginnt auf dem Pacific Crest Trail zu spazieren – und hört einfach nicht mehr auf zu gehen. Nach 4260 Kilometern hat sie das andere Ende des Fernwander­wegs erreicht.

Thürmer gilt heute als „meistgewan­derte Frau“der Welt, 43.000 Kilometer hat sie bis dato zu Fuß zurückgele­gt. Man gab ihr den Spitznamen „German Tourist“, irgendwo unterwegs, zwischen Kalifornie­n und Neuseeland. Aber das „Europa-Projekt“, wie sie ihre Wanderung von Westen nach Osten und von Norden nach Süden durch den Kontinent nennt, scheint ihr besonders am Herzen zu liegen. Von ihrem Matratzenl­ager in der Berliner Bleibe aus sagt sie ins Telefon: „Schon nach ein paar Hundert Kilometern bin ich zur begeistert­en Europäerin geworden!“Alles klar, Frau Thürmer. Aber wo in Europa würden Sie unsereins für eine gemütliche Herbstwand­erung hinschicke­n – und wohin nicht?

Rumänien

„Die Schönheit Osteuropas hat mich am allermeist­en überrascht“, sagt Thürmer. Dort war sie überwiegen­d auf dem europäisch­en Fernwander­weg E3 unterwegs, der in Zukunft von der Iberischen Halbinsel bis zum Schwarzen Meer führen soll. Doch an vielen Stellen weist er noch Lücken auf. Eine davon wurde 2017 vom Siebenbürg­ischen Karpatenve­rein in Rumänien geschlosse­n. Diese 683 Kilometer durch das rumänische Westgebirg­e und die Banater Berge hat Thürmer vermutlich als Erste zur Gänze begangen. Die landschaft­lich reizvollst­en Abschnitte liegen bei Dubova an der serbischen Grenze und bei Baia de Criș (Deutsch:

Altenburg) in Siebenbürg­en. Noch etwas hat Thürmer an Rumänien fasziniert: „Wenn du dort alleine unterwegs bist, bleibst du nicht lange alleine. Irgendwer hält immer mit dem Auto an und fragt, ob er helfen oder dich mitnehmen kann.“

Norwegen

„Skandinavi­en ist der Traum vieler Wanderer, weil es dort so einsam ist. Aber ehrlich gesagt, war es mir dort zu einsam – man lernt unterwegs nur selten Menschen kennen“, meint Thürmer. Nach ihren Wanderunge­n durch die USA war sie grundsätzl­ich überrascht, dass man in Europa vielerorts gar niemanden begegnet. Das liegt daran, hat sie herausgefu­nden, dass in den USA jeder auf den markierten Wegen bleibt, in Europa dagegen gibt es immer Alternativ­en. Während andere von Wanderunge­n durch Norwegen schwärmen, zählte der norwegisch­e Abschnitt des E1 vom Nordkap bis nach Schweden für Thürmer zu den schlimmste­n Erfahrunge­n: „Bei Regen wanderst du kilometerw­eit nur durch Schlamm, und unterwegs fressen dich die Gelsen auf.“

Belgien

„An welches Land in Europa denken Sie garantiert nicht, wenn es ums Wandern geht? Genau, Belgien!“, scherzt Thümer. Die Wanderwege GR14 und GR16 führen mitten durch die Ardennen und ziehen vor allem historisch Interessie­rte wegen der gleichnami­gen Offensive der Deutschen zwischen Dezember 1944 und Jänner 1945 an. „Solche Orte sollte man als Europäer kennen, zumal das Baugnez Historical Centre ein wirklich informativ­es Geschichts­zentrum ist.“Auch landschaft­lich gibt es dort außerorden­tlich schöne Abschnitte: Die Wege entlang des Flusses Semois haben es Thürmer besonders angetan.

Spanien

„Ach, in den letzten Jahren wurde so viel über den spanischen Jakobsweg geschriebe­n. Aber ich kann die Begeisteru­ng nicht im Geringsten nachvollzi­ehen“, sagt Thürmer. Vor allem die klassische­n Abschnitte des Camino del Norte empfand sie als „Mas- senabferti­gung für Wandertour­isten“, die Wege verlaufen viel zu oft auf asphaltier­ten Straßen. Thürmer: „Dabei gibt es gerade in Spanien wirklich traumhafte­s Terrain für Wanderunge­n. Die Wege durch den andalusisc­hen Naturpark Sierras de Cazorla zählen zu den schönsten, die ich kenne.“ Von Christine Thürmer ist im März 2018 das zweite Buch über ihre Outdoor-Erlebnisse erschienen. Es trägt den Titel „Wandern. Radeln. Paddeln – 12.000 Kilometer Abenteuer in Europa“. Verlag Malik, 304 Seiten, € 17,50. Das gesamte EuropaWand­erprojekt hat sie erst nach Erscheinen des Buchs im September 2018 abgeschlos­sen.

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Norwegen ist für viele Outdoorfre­unde ein Traumziel. Die „meistgewan­derte Frau“der Welt beklagt dort häufig schlechtes Wetter und zähes Weiterkomm­en.
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Foto: Christine Thürmer Christine Thürmer am Beginn des 7000 km langen Fernwander­wegs E1 am Nordkap.

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