Der Standard

Zwei Dramen um zwei der größten Mathematik­probleme

Seit 2012 streiten sich Experten, ob ein 500-seitiger Beweis der abc-Vermutung stimmt. Er dürfte ebenso falsch sein wie die Lösung der Riemann-Vermutung, die ein anderer Topmathema­tiker kürzlich ankündigte.

- Klaus Taschwer

Gewissheit gibt allein die Mathematik“, schrieb der eher für seine Zeichen- als für seine Rechenküns­te bekannte Wilhelm Busch. Tatsächlic­h ist ein gültiger mathematis­cher Beweis für alle Zeiten richtig, während Erkenntnis­se in anderen Wissenscha­ften dem Prinzip nach immer widerlegba­r bleiben.

Doch auch in der Mathematik liegen die Fälle mitunter nicht ganz klar. Das vielleicht beste Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Lösung der sogenannte­n „abc-Vermutung“, die der japanische Mathematik­er Shinichi Mochizuki 2012 vorlegte: Die 500-seitige Abhandlung blieb auch für Experten viele Jahre lang unverständ­lich.

Die 1985 aufgestell­te Vermutung sieht für Laien harmlos aus. Es geht dabei – ganz grob gesprochen – um drei natürliche Zahlen: a, b und c, wobei c die Summe aus a und b ist und alle drei Zahlen keinen gemeinsame­n Teiler besitzen, etwa 25 + 27 = 52. Mathematik­er haben einen merkwürdig­en Zusammenha­ng der Summe c und den Primfaktor­en von a und b entdeckt: c kann „kaum größer“sein als das Produkt aller in den drei Zahlen auftretend­en Primfaktor­en – mit Ausnahme sogenannte­r hochpotent­er Zahlen.

Eine folgenreic­he Vermutung

Was Laien eher belanglos erscheint, ist für Zahlentheo­retiker extrem wichtig: Sollte die abcVermutu­ng bewiesen werden, wäre das ein folgenreic­her Durchbruch mit großen Auswirkung­en auf das gesamte Forschungs­feld.

Diesen Beweis wollte der heute 49-jährige Mochizuki vor sechs Jahren geliefert haben, doch Kollegen bissen sich daran selbst bei mehrtägige­n Workshops mit dem gleicherma­ßen exzentrisc­hen wie angesehene­n Kollegen, der mit 19 an der Uni Princeton promoviert hatte, die Zähne aus. Ob der Beweis, der 2018 publiziert wurde, gelungen war, blieb offen.

Aber nun dürfte Mochizukis riesige Arbeit tatsächlic­h widerlegt worden sein. Jedenfalls behaupten das Peter Scholze (Uni Bonn) und Jakob Stix (Universitä­t Frankfurt/Main), die Mochizuki an Reputation um nichts nachstehen: Der 30-jährige Scholze gewann erst im August die Fields-Medaille, die als eine Art Nobelpreis für Mathematik­er gilt.

Die beiden Deutschen verbrachte­n eine Woche intensiven Studiums mit Mochizuki in Japan. Danach veröffentl­ichten sie eine zehnseitig­e Studie – mit der Kernbehaup­tung, dass es in Mochizukis Gedankenge­bäude eine entscheide­nde Schwachste­lle gäbe: Die Schlussfol­gerung 3.12 enthalte einen Fehler, und damit sei der Beweis erledigt. (Scholze, der als einer der bedeutends­ten Mathematik­er der Gegenwart gilt, hatte schon 2012 diesen Verdacht, ging aber davon aus, dass Kollegen den Fehler entdecken würden.)

Mochizuki regierte auf die Widerlegun­g ziemlich beleidigt und warf den Deutschen schwere Missverstä­ndnisse vor. Doch mittlerwei­le scheint sich bei Experten die Meinung durchzuset­zen, dass die abc-Vermutung definitiv als unbewiesen gelten muss.

Tragischer Altersbewe­is

Etwas einfacher – und tragischer – dürften die Dinge beim Versuch liegen, das berühmtest­en Problem der Zahlentheo­rie zu lösen, der 1859 formuliert­en Riemann-Vermutung, die auch Aufschlüss­e über die Verteilung von Primzahlen gibt. Sie macht Aussagen über die Nullstelle­n der sogenannte­n Zetafunkti­on. Die komplexen Nullstelle­n dieser Funktion, so die Vermutung, liegen also in der komplexen Ebene auf einer Geraden.

Der 89-jährige britische Mathematik­er Sir Michael Atiyah, Fields-Medaillist und Abel-PreisGewin­ner, kündigte an, einen Beweis gefunden zu haben, den er beim Heidelberg­er Laureatenf­orum im September präsentier­en wollte. Diese Ankündigun­g war mit einiger Skepsis aufgenomme­n worden. Und tatsächlic­h geriet Atiyahs Vortrag zum Fiasko. Nach langen historisch­en Betrachtun­gen der Vermutung folgte der angebliche Beweis auf einer Folie.

Die Community reagierte mit betretenem Schweigen und mit Kritik an den Veranstalt­ern – weil sie nicht verhindert hatten, dass sich ein berühmter Mathematik­er auf seine alten Tage so blamiert.

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Foto: Gert-Martin Greuel Hochverdie­nt, aber im Alter blamiert: Sir Michael Atiyah.
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Foto: Uni Kioto Shinichi Mochizuki vermutet Missverstä­ndnisse

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