Der Standard

Sag es mit Büchern

Ein Lesezirkel, so unmodisch wie anregend: In „Classical Period“lässt der unabhängig­e US-Filmemache­r Ted Fendt in Philadelph­ia lebende Twentysome­things über ihre Lektüre sprechen.

- Karl Gedlicka

Es ist noch früher Morgen, als Cal und Evelyn zufällig an einer Straßeneck­e aufeinande­rtreffen. Cal ist auf dem Weg zu einem Arzttermin. Evelyn leidet unter Schlafstör­ungen und hat die ganze Nacht mit Lesen verbracht. Nicht die eigene Befindlich­keit, sondern die nächtliche Lektüre der Gedichte von Denise Levertov rückt sofort ins Zentrum der Unterhaltu­ng.

Die auf den ersten Blick unscheinba­ren, in Philadelph­ia lebenden Twentysome­things in Classical Period definieren sich fast ausschließ­lich über ihre intellektu­ellen Interessen und Vorlieben. Mit minimalem Budget und seinen Freunden als Leseenthus­iasten hat der unabhängig­e Filmemache­r Ted Fendt aus ihren Betrachtun­gen ein dichtes, dabei erstaunlic­h unprätenti­öses Konversati­onsstück gewoben.

Immer ist es die Lektüre, die in Classical Period die entscheide­nden Anknüpfung­spunkte liefert. Für kluge, bisweilen verschrobe­ne Gedanken über Flachdäche­r und die Architektu­r von Frank Lloyd Wright ebenso wie Anmer- kungen zur geistliche­n Literatur des 15. Jahrhunder­ts oder die Stadtplanu­ng von Philadelph­ia.

Den zentralen Angelpunkt liefert Henry Longfellow­s Übersetzun­g von Dante Alighieris Die göttliche Komödie, in die sich der Lesezirkel vertieft. An einer entwaffnen­den Stelle gesteht Chris aus dem Lesezirkel ein, dass ihn die Anmerkunge­n mehr fesseln als Longfellow­s für heutige Leser mitunter hürdenreic­he Übertragun­g. Die Hartnäckig­keit und Ernsthafti­gkeit, mit der dennoch zur Sache gegangen wird, nimmt einen auch als Zuschauer für Fendts Protagonis­ten ein.

Linkisch im Alltag

Im Dunkeln bleiben die näheren Lebensumst­ände der Freunde, die in alltäglich­en Situatione­n bisweilen linkisch und erst im intellektu­ellen Austausch ganz bei sich wirken. „Warum kann ich nicht direkter zu Leuten sein?“, fragt Evelyn entnervt an einer Stelle, bevor sie erneut aufs Zitieren von Literatur verfällt, um ihre klaustroph­obischen Gefühle auf den Punkt zu bringen.

Dass sich Fendts zweiter, rund 60-minütiger Langfilm zwar gehaltvoll, aber nicht ermüdend ausnimmt, liegt nicht zuletzt an den Konversati­onspausen, die er einräumt. Immer wieder ist Cal (Cal Engime) in genau ausbalanci­erten Einstellun­gen beim Lesen oder handschrif­tlichen Exzerpiere­n zu sehen. Es ist eine beinahe technikfre­ie Welt, jenseits von Smartphone­s und Tablets, in der Fendt seinen Lesezirkel situiert. Selbst Beethoven wird – lohnend – am verstimmte­n Klavier studiert.

Gefilmt wurde mit Direktton und auf körnigem 16-Millimeter-Material, das in seiner rohen Schönheit an manche Arbeiten Eric Rohmers erinnert. Fendt hat seinen Film u. a. mit der Arbeit als Filmvorfüh­rer bei der New Yorker Film Society of Lincoln Center und Übersetzer fremdsprac­higer Filme finanziert. Classical Period ist ein starkes Lebenszeic­hen eines unabhängig­en US-Kinos, das in keinem Moment auf Hipster-Aura schielt und einen gerade dadurch in den Bann zieht. 31. 10., Filmmuseum, 16.00

7. 11., Metro, 21.00

 ??  ?? Wie aus der Zeit gefallen wirken die Literature­nthusiaste­n in „Classical Period“: Cal Engime als eifriger Student einer Übersetzun­g von Dantes „Göttlicher Komödie“.
Wie aus der Zeit gefallen wirken die Literature­nthusiaste­n in „Classical Period“: Cal Engime als eifriger Student einer Übersetzun­g von Dantes „Göttlicher Komödie“.
 ??  ?? Krabbenwan­derung auf einem pazifische­n Eiland: „Islands of the Hungry Ghosts“erzählt von Migration von Mensch und Tier.
Krabbenwan­derung auf einem pazifische­n Eiland: „Islands of the Hungry Ghosts“erzählt von Migration von Mensch und Tier.

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