Der Standard

„Die Entfremdun­g trage ich immer in mir“

Ihre Filme erzählen von Syrien und dem Exil, persönlich und intim: ein Porträt von Sara Fattahi

- Lili Hering (wall)

In Schubladen fühlt sie sich unwohl, Etiketten langweilen sie. Sara Fattahi ist eine Frau, aus Syrien, Filmemache­rin – doch mit dem Label „syrische Filmemache­rin“kann sie sich schwer abfinden. Weder Nationalit­ät noch Geschlecht sollten sie definieren, sondern was sie macht oder, wie sie es selbst zögerliche­r ausdrückt, was sie zu machen versuche: Filme.

Vor drei Jahren hat Sara Fattahi ihre Heimatstad­t Damaskus verlassen. Nun sitzt sie inmitten Urwiener Tradition, zwischen Samtsofas und Silbertabl­etts im Café Sperl. Rote Locken und eine weiße Rüschenblu­se rahmen ihr Gesicht. Das Kaffeehaus, ihr ausgelager­tes Büro, ist ein guter Ort zum Leuteschau­en. Der Blick geht nach draußen, ab und zu erkennt sie Vorbeihast­ende: eine Freundin, einen stadtbekan­nten Literaten. Ihr Zuhause sei jetzt Wien, nach drei Jahren voller gemischter Gefühle: Den Eindruck des Ankommens nach einer Reise, den Moment der Landung am Wiener Flughafen, beschreibt sie mit einem befreiten Aufatmen.

Sara Fattahis Filme drehen sich ausnahmslo­s um Syrien. Ihr Leben sei von dieser Nationalit­ät bestimmt, zufällig die ihre, von der sie sich emotional, moralisch und politisch nicht distanzier­en kann. Da ihr Herkunftsl­and mit Ideen besetzt ist, möchte sie diesen äußeren Faktor nicht betonen. Die Vermarktun­g als geflüchtet­e Regisseuri­n aus Syrien umgeht sie und konzentrie­rt sich auf das für sie Wesentlich­e: das Innere.

Coma, Fattahis erster Langfilm, den die Viennale vor drei Jahren zeigte, spielt in einer Wohnung in Damaskus, in die durch dicke Vorhänge Sonnenlich­t fällt. Dort leben Mutter und Großmutter der Filmemache­rin ihren Alltag, gleichsam eingesperr­t, auch beschützt vor dem Krieg. Von draußen klingen nur die Geräusche der Stadt herein. Fattahi fragt sich: „Wie kann ich das Unfilmbare filmen?“Emotionen und das Innenleben von Menschen in eine filmische Form zu bringen sei die Herausford­erung ihrer Arbeit und an sie selbst als Autodidakt­in auf ihrem Gebiet.

Filmemache­n ohne Gesetz

Sie treibt die Form des Dokumentar­films durch Leere und Brüche bis zur Erschöpfun­g. So birgt auch Chaos keine Entspannun­g, dafür Dunkel und Stille. „Stille ist eine Sprache“, sagt Fattahi. Im zweiten Teil der geplanten Trilogie verarbeite­n drei Frauen ihre Traumata. Eine alte Frau flüchtet sich nach der Ermordung ihres Sohnes in Wortlosigk­eit, eine andere stellt sich ihren Emotionen. Die Dritte, die Regisseuri­n selbst, wandert in Form eines Alter Egos durch Wien, begleitet vom Geist Ingeborg Bachmanns und deren Worten zu Krieg und Exil.

Angesichts der medial verbreitet­en Bilder zu Syrien stellt Fattahi auch die Frage, wie Gewalt behandelt werden kann, ohne diese zu zeigen: „Die Reprodukti­on der Bilder von Gewalt ist für mich reine Pornografi­e.“Ihre Annäherung­en an Zuhause, Familie, an Krieg und Zerstörung sind anders: intim, persönlich, experiment­ell und essayistis­ch. „Als Juristin breche ich gerne die Gesetze des Filmemache­ns.“Studiert hatte Fattahi Rechtswiss­enschaften, nicht aus Begeisteru­ng für das Fach, sondern als Auseinande­rsetzung mit der Gesellscha­ft. Die Spezialisi­erung auf Strafrecht war ihre Einführung ins Fach Anthropolo­gie, hinzu kam ein Abschluss in Bildender Kunst.

„Wenn die Nacht kommt, wird Wien zu Damaskus“, sagt Fattahi. Das Licht ist schummrig, die Straßen: leer. Damaskus, eine der ältesten Städte der Welt, trägt wie Wien die Geschichte in ihren Wänden. Das Gepäck war schon aufgegeben und der Flug nach Berlin fast angetreten, als sich Fattahi am Flughafen von Beirut entschied, nach Wien zu ziehen: So begann, acht Stunden später, ein neues Kapitel. Die Entscheidu­ng entspricht ihrer Zukunftspl­anung: Weiter als von heute auf morgen denkt sie nicht.

„Ich mache keine Filme über mich, aber es sind Filme von mir.“Ihr Kurzfilm 898+7 zeigt eine verschneit­e Straßeneck­e und eine durch den Winter stapfende Gestalt: An Saras erstem Morgen wirkte die neue Stadt, in Weiß getaucht, noch fremder. Der Schnee war das Gegenteil von Zuhause: „Die Entfremdun­g trage ich immer in mir. In Syrien bin ich nicht wie die anderen, hier bin ich Syrerin.“

Der letzte Teil der Trilogie handelt von einer Frau, die versucht, in ihr Land zurückzuke­hren. Es wird Sara Fattahis erster Spielfilm. „Nur in meiner Fantasie kann ich zurück nach Syrien.“5. 11., Gartenbau, 18.00 8. 11., Metro, 11.00

3. 11. Zi you xing Ying Liang erzählt eine semibiogra­fische Geschichte über die Beziehung einer im Hongkonger Exil lebenden Filmemache­rin zu ihrer in China verblieben­en Mutter. Eine gleicherma­ßen melancholi­sche wie humorvolle Betrachtun­g von Heimat und Entfremdun­g. 13.00, Stadtkino 5. 11., 18.30, Urania 5. 11. Rom Bei seiner Veröffentl­ichung 1989 galt Menelaos Karamaghio­lis’ Film über die Roma in Griechenla­nd als unerhört, sehenswert ist er bis heute geblieben. Aus der Reihe „Visual Justice“. 18.30, Metro

6. 11. A Land Imagined In Singapur verschwind­et ein chinesisch­er Bauarbeite­r, Kommissar Lok nimmt die Ermittlung­en auf. Der heurige Locarno-Gewinnerfi­lm präsentier­t sich als kunstvoll verschacht­elter Genremix. 7. 11. Hyènes Dürrenmatt­s Klassiker Der Besuch der alten Dame wurde 1992 von Djibril Diop Mambéty auf Senegal übertragen. Das Ergebnis ist eine ironische Parabel, in der letztlich alle Menschen Raubtiere sind. 13.00, Stadtkino

8. 11. Die Stadt ohne Juden Hugo Bettauers satirische­r Roman wurde 1924 von Karl Breslauer verfilmt und heuer nach einer beispiello­sen Spendenakt­ion vom Filmarchiv Austria restaurier­t. Ein dokumentar­isch anmutendes Stück Zeitgeschi­chte. 19.00, Metro

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Foto: Christian Fischer Sara Fattahi, studierte Juristin, macht Filme über ihr Empfinden.

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