Saudi-Prinz bleibt Hoffnungsträger
Viele Anhänger des saudischen Kronprinzen im Königreich hoffen, dass er den Fall Khashoggi übersteht. Denn außer ihm sei weit und breit kein Reformer in Sicht.
Der 30. Geburtstag des Standard wäre im Zusammenhang mit dem Kriminalfall Jamal Khasoggi ein guter Anlass, in unserem Archiv ausheben zu lassen, wie viele Artikel über Saudi-Arabien, über die internen Verhältnisse im wahhabitisch-salafistischen Königreich, vor etwa zwanzig Jahren geschrieben wurden. Vermutlich so gut wie keine. Sand, Öl, Scheichs – und Stillstand. Nicht viele haben sich dafür interessiert. Die Zeiten haben sich geändert. Beim großen Fest, das
der Standard am Donnerstagabend feierte, wurde die Nahostredakteurin laufend darauf angesprochen. Wie konnte der Insider Jamal Khashoggi nur so leichtsinnig sein, ins Generalkonsulat in Istanbul zu gehen? Denn wie Saudi-Arabien sei, das wisse doch jeder ...
So einfach ist es eben nicht. Jamal Khashoggi, 59, der wieder heiraten wollte und dafür Papiere brauchte, ist bestimmt nicht gerne zu den saudischen Behörden gegangen. Aber er hatte sicher auch nicht die entfernteste Vorstellung davon, was ihn erwartete. Er hatte die Politik von Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) kritisiert, aber nie die saudische Monarchie infrage gestellt. Er war eine öffentliche Figur, er hatte – wohl bis zum letzten Moment – gute Verbindungen zu Mitgliedern des Königshauses. Er gehörte auch nicht direkt zur Familie: Dass Prinzen „verschwinden“, die Ärger machen, kommt nicht oft, aber doch vor.
Das heißt: Nicht einmal Jamal Khashoggi hatte die Komplexität, den Mechanismus der Veränderungen begriffen, die in SaudiArabien vor sich gehen, seit der heute 33-jährige Lieblingssohn von König Salman im Juni 2017 Kronprinz wurde. Es ist eine Kombination zweier völlig unterschiedlicher Ansätze: wirtschaftliche und soziale Reformen und Projekte, die unter dem Einsatz von Milliarden Dollar für Lobbying und PR – Public Diplomacy nennt sich das – weltweit in die Öffentlichkeit geblasen werden. Auf der anderen Seite: Repression, harsche Bestrafung jeglicher Kritik, egal ob sie von Liberalen oder von Konservativen kommt. Und alleine das zeigt, dass Saudi-Arabien eben nicht so ist, wie es immer war: MbS legte sich auch mit dem „normalen“konservativen religiösen Establishment an, der zweiten Säule des Staates neben dem Hause Saud.
Wunderwuzzi und Rechtsstaat
Das gefiel vielen, innen und außen. Der Wunderwuzzi packte an. Als MbS im November 2017 – ein paar Stunden, nachdem er sich zum Chef der neuen Antikorruptionsbehörde ernannt hatte – mit den Verhaftungen von Geschäftsleuten und reichen Prinzen begann, erntete er viel Zustimmung, allerdings fast nur mehr in Saudi-Arabien selbst. Der Hinweis, dass es keinen Rechtsstaat ausmache, Leute – auch wenn es vielleicht Gauner sind – nach Gutdünken einzusperren, bis sie sich freikaufen, wurde von vielen Saudis zurückgewiesen. Auch dass der selbst immens reiche junge Mann alleine bestimmt, für wen welche Regeln gelten, wurde (und wird!) von seinen Unterstützern mit einem Schulterzucken hingenommen.
Denn ob es uns gefällt oder nicht, MbS ist für viele die letzte Hoffnung. Und sie wollen sie auch jetzt noch nicht aufgeben, obwohl sie nach dem Verschwinden – und Tod, das bezweifelt wohl keiner mehr – Khashoggis in ein immer fürchterlicheres Dilemma geraten. Die meisten schweigen. Ein seltener Kommentar stammt von Mohammed Alyahya vom Gulf Research Center in Jeddah.
Er schreibt: „Saudi-Arabiens Reformprozess ist eine Transformation, und Beobachter von außen haben den Luxus, sie zu loben oder zu verdammen. Saudis haben diesen Luxus nicht. Der Prozess ist der einzige Weg nach vorne. Das sollte den äußeren Beobachtern bewusst sein. Den Reformprozess entgleisen zu lassen, würde nichts Gutes bringen, auch wenn die Reformen für manche noch so mangelhaft aussehen. Es gibt keinen anderen Weg als weiterzumachen ...“
Aus diesen Zeilen spricht die Angst, dass, wenn Mohammed bin Salman stürzt, der „Arabische Frühling in Saudi-Arabien“– wie ihn der New York Times- Kolumnist Thomas Friedman nach einem Besuch bei MbS in einem vielgescholtenen Artikel sehen wollte – wieder vorbei ist. Der Vergleich mit dem Arabischen Frühling ließ einen in der Tat am Urteilsvermögen Friedmans zweifeln. Denn bei aller Zustimmung für einige Maßnahmen MbS’, die das Leben der Menschen in Saudi-Arabien normalisieren – die Erlaubnis für Frauen, den Führerschein zu machen; das Zulassen von Kultur und Unterhaltung –, es war immer ganz klar, dass das politische System nicht angetastet wird. Wie weit Reformen gehen, bestimmt der Souverän – also, in diesem Fall, nicht das Volk.
Die Familie als Gefahr
Und dennoch wird ein salafistischer Monarch, wie auch jeder republikanische nahöstliche Diktator, das, was er tut, immer wieder aufs Neue mit den Eliten verhandeln, wenn er überdauern will. Dazu gehört in Saudi-Arabien in hohem Maße die engere Familie. MbS, der sich der Unterstützung der Jugend, des Mittelstands und des Business sehr bewusst ist, verhandelt jedoch mit nichts und niemandem. Die Familie als Institution ist aus seiner Sicht keine Unterstützung, sondern eine Gefahr – denn er musste ja mächtige Prinzen aus anderen Zweigen politisch entmachten, um selbst zur Nummer eins hinter dem König zu werden.
Wenn nun in Wien im Zusammenhang mit dem Fall Khashoggi wieder an die Existenz des Abdullah-Dialogzentrums KAICIID (King Abdullah bin Abdulaziz International Center for Interreligious and Intercultural Dialogue) als „saudische Einrichtung“erinnert wird: Auf Letzteres reduziert, kann man dort zweifellos auch gegen die jetzige saudische Führung, die für das Schicksal Khashoggis verantwortlich ist, demonstrieren, so wie es seit Jahren zugunsten des zu einer Auspeitschung verurteilten Bloggers Raif Badawi geschieht.
Der Abstieg der Abdullah-Sippe
Aber die Sache ist insofern komplexer, als zum Aufstieg von MbS seit dem Tod von König Abdullah im Jänner 2015 auch der Abstieg der Abdullah-Sippe gehört. Abdullah hatte seinen Halbbruder Muqrin zum Vizekronprinzen hinter dem jetzigen König Salman gemacht und hatte sich die Unumstößlichkeit dieser Entscheidung von Salman bestätigen lassen. Manche sahen es so: Muqrin würde seinerseits Abdullahs Sohn Mutaib zum Kronprinzen machen, und die Abullah-Linie hätte sich durchgesetzt.
Es kam anders: Schon im April 2014 war Muqrin weg, freiwillig zurückgetreten, Abdullahs Willen mit Füßen getreten. Seine Leute wurden vom Zentrum der Macht entfernt. Aber der entscheidende Schlag kam erst 2017: Da wurde der Abdullah-Sohn Mutaib als Chef der Nationalgarden entlassen – als solcher war er natürlich auch ein gewichtiger Akteur bei der Sicherheit des Königreichs. Mutaib wurde dann auch noch als angeblicher Korruptionist mit den schon erwähnten Geschäftsleuten und Prinzen im Ritz-Carlton festgesetzt. Fazit: Die früheren Vertrauten Abdullahs sind vielleicht nicht die ganz großen MbS-Fans.
Rund um das Ritz-Carlton gab es Foltergerüchte, sogar von einem Toten war die Rede. Das Problem sind meist die Quellen: So wie Saudi-Arabien gegen seine Gegner agitiert, so tun es diese gegen Saudi-Arabien. Auch derzeit ist man auf Krawallblätter wie das türkische Yeni Şafak angewiesen, das von den türkischen Behörden mit Informationen gefüttert wird.
Ein professioneller MbS-Bewunderer in den USA twitterte diese Woche einen Aphorismus des US-Autors Elbert Hubbard: „Erkläre nie etwas: Deine Freunde brauchen es nicht, und deine Feinde werden dir ohnehin nicht glauben.“Er irrt. Es handelt sich um eine Straftat, und die Saudis werden sie erklären müssen. Das scheint sogar US-Präsident Donald Trump langsam zu begreifen.
Donald Trump bietet mit seinem Zickzackkurs zu Saudi-Arabien ein trauriges Schauspiel. Einmal sieht er die Führung in Riad als für die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich an, dann wieder nimmt er Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) in Schutz. Das liegt aber nicht nur am Dilettantismus des US-Präsidenten, sondern auch an einem tieferen Dilemma, vor dem die US-Außenpolitik von jeher steht: Wie geht man mit Verbündeten um, die Menschenrechte und andere liberale Werte mit Füßen treten?
Jahrzehntelang galt die Devise von Franklin D. Roosevelt: „Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn.“Vor allem im Kalten Krieg war den USA jeder Diktator willkommen, solange er den Kommunismus bekämpfte. Auch europäische Staaten waren bereit, mit widerlichen Regimen Geschäfte zu machen – einschließlich legaler und illegaler Waffenexporte.
Doch seit 1990 ist in diesem Punkt die Sensibilität im Westen gestiegen. Immer noch spielen politische und wirtschaftliche Interessen in der Außenpolitik eine zentrale Rolle. Aber kein amerikanischer Präsident oder europäischer Regierungschef traut sich, Missstände und Repression in Partnerstaaten völlig zu ignorieren. Schließlich sehen sich die USA – zumindest bis Trump – und die EU als Vorkämpfer für einen universellen Humanismus O und Demokratie. b eine von Moral gelenkte Außenpolitik immer klug ist, bleibt dahingestellt. Öffentliche Rügen prallen an autoritären Herrschern meist spurlos ab. Ein von außen erzwungener Regimewechsel wiederum führt oft zu noch schlimmeren Zuständen, siehe 2003 im Irak oder 2011 in Libyen. Wirtschaftssanktionen gegen repressive Regime treffen meist jene Menschen am härtesten, denen man eigentlich helfen möchte. Und es gibt kaum Beispiele dafür, dass sich ein Land zum Besseren wandelte, weil es international isoliert wurde – im Gegenteil. China ist durch die Einbindung in den Welthandel nicht demokratischer geworden, aber seine Bürger haben dadurch ein viel besseres Leben.
Und dann kommen vor allem in den USA geopolitische Überlegungen hinzu, auch im Falle Saudi-Arabiens. Das Land war bereits vor MbS ein Hort der Unmenschlichkeit, gleichzeitig aber ein Garant für eine sichere Ölversor- gung und regionale Stabilität. Trump spricht zwar vor allem von den Waffen, die er den Saudis um viele Milliarden verkaufen will, aber für seine Berater ist die saudische Rolle als politischer Verbündeter, vor allem gegen den Erzfeind Iran, viel wichtiger.
Allerdings ist Saudi-Arabien schon seit 40 Jahren ein Exporteur eines gefährlichen Radikalismus und ist unter MbS vom regionalen Stabilitäts- zum Risikofaktor geworden – siehe den brutalen Krieg im Jemen und den absurden Konflikt mit Katar. Das so wertvolle Bündnis mit den Saudis ist für die USA auch eine politische Bürde.
Auf die Frage „Realismus oder Moralismus?“gibt es keine simple Antwort; weder Interessen noch Werte können eine Außenpolitik allein leiten. Aber die Politik sollte nie aus Opportunismus Fakten verdrehen und Überzeugungen preisgeben. Das gilt auch für Österreich, das mit Russland ruhig seine Geschäfte machen kann, aber Wladimir Putins böse Herrschaft nicht schönreden sollte. Und wenn Trump das Märchen akzeptiert, dass der Kronprinz nichts mit Khashoggis Tod zu tun hat, dann stärkt er ihn im eigenen Land und trägt dazu bei, dass Saudi-Arabien ein Problemfall bleibt.