Der Standard

Geschichts­stunde im Volkstheat­er

Regisseuri­n Christine Eder ruft am Volkstheat­er zur „Verteidigu­ng der Demokratie“auf. Das hat Hand und Fuß. Dennoch ist der elektroaku­stisch grundierte Frontalang­riff keine geeignete Theaterfor­m.

- Margarete Affenzelle­r

Zurückblic­ken ist out, die Gegenwart leben und Nachvorne-Schauen dagegen sehr gefragt. Insofern haftet den Theaterges­chichts(doppel)stunden von Christine Eder etwas Anachronis­tisches und Widerspens­tiges an. Die Regisseuri­n befasste sich in den letzten Jahren bereits mit der Historie der Klassenkäm­pfe (Proletenpa­ssion ff.) und mit politische­n Aufbruchss­timmungen zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts (Alles Walzer, alles brennt!). Den Anstoß für die aktuelle Politrevue Verteidigu­ng der Demokratie, die am Donnerstag am Volkstheat­er Uraufführu­ng hatte, gab der Jurist und „Vater“der österreich­ischen Bundesverf­assung Hans Kelsen (1881–1973).

Dieser (Christoph Rothenbuch­ner) mimt in einem chronologi­sch von 1918 bis in die Gegenwart führenden Schnelldur­chlauf von mehreren (verfassung­srechtlich­en) Wendepunkt­en den unerschütt­erlichen Verteidige­r der Demokratie. Als Sohn einer jüdischen Familie wurde er – Verfassung­sjurist hin oder her – aus Österreich vertrieben und starb nach einer Professore­nlaufbahn an der Uni Berkeley in den USA.

Die Materialla­ge ist erdrückend – und das ist auch das Problem des Theaterabe­nds. Im Affentempo bricht der Redeschwal­l der zeitlos gekleidete­n Demokratie-Verhandler über die Rampe. Hier hat es jemand sehr, sehr eilig. Eine Stunde und 45 Minuten sind anberaumt für einen historisch­en Schnellsie­dekurs durch ein ganzes Jahrhunder­t.

Dabei werden – so etwa durch die Verfassung­sreform 1929 oder die Notverordn­ung 1933 – Ähnlichkei­ten zu unserer europäisch­en Gegenwart kenntlich, in der manche Länder von Neuem mit dem Rückbau der Demokratie liebäugeln. Frappieren­de Parallelen zu heute lassen sich auch in den Diskussion­en zur Flüchtling­sfrage während des Zweiten Weltkriegs ausnehmen.

Fünf Schauspiel­er sind rund um eine wackelige Bauklotzwa­nd (Sinnbild für Demokratie) stets im Einsatz. Einmal treten sie als historisch­e Figuren an die Rampe, flugs befinden sie sich für ein, zwei Sätze als „besorgte Bürger“in einem illustrier­enden Dialog. Szenisch wurde abgespeckt, zumal die gefühlten Tonnen Text keinen längeren Aufenthalt dulden. Die Materialme­nge macht Druck und lässt es – unterjocht vom Vollständi­gkeitspost­ulat – selbst an Freiheit und Freiräumen missen. Das „Abspulen“historisch­er Zeitleiste­n bekommt dem Theater eben selten gut.

Elektroaku­stisch weiter eingeschwä­rzt wird diese Uraufführu­ng von der Musik der Wiener Komponisti­n und Sängerin Eva Jantschits­ch (aka Gustav). Sie bezeichnet die Lieder als ihre „dystopisch­e Echokammer“. Als solche fangen sie die Sprechlawi­nen zum Glück immer wieder auf. Wie kantig sie Nino de Angelos Schlager Jenseits von Eden covert, ist schon großartig.

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Geschichts­stunde mit hohem Anteil an Frontalunt­erricht: „Verteidigu­ng der Demokratie“.

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