DORON RABINOVICI
Ich erinnere mich gut. In manchen Lokalen der Innenstadt kam das Gerücht auf, Oscar Bronner plane eine neue Zeitung. 1988 standen viele noch unter dem Eindruck der Debatten rund um Kurt Waldheim und den Wahlkampf von 1986. Die österreichischen Medien hatten der Kritik an dem Kandidaten, an dieser Personifikation für die österreichische Geschichtslüge, kaum Platz geboten. Die Kro
ne wurde zum Leibblatt kleinformatiger Antisemiten, während einige Kommentatoren in der Zeitung Die Pres
se den alten Ressentiments nachhingen.
Was wir über Bronner hörten, nährte die Hoffnung auf einen liberalen Journalismus, der den Maßstäben westlicher Öffentlichkeit gerecht werden sollte. Tatsächlich erlebten wir 1988 hierzulande die Einführung dessen, was in anderen Ländern der Standard ist. der Δtandard unterschied sich von den anderen österreichischen Zeitungen, war weder das Zentralorgan einer Partei noch einer Institution der Sozialpartnerschaft unterworfen und schmiegte sich nicht dem Boulevard an. Hier wurden Stimmen wiedergegeben, die zuvor kaum zu Gehör gekommen waren. Ich spreche nicht nur vom Kommentar der anderen, der zu einem Markenzeichen wurde und die Streitkultur Österreichs nachhaltig prägte, sondern ebenso von der neuen Tonlage, in der nun über die Vergangenheit, doch ebenso über Kunst geredet werden konnte.
Diese Umformung des heimischen Journalismus wirkt zwar bis heute nach, doch seit einigen Jahren erleben wir den Niedergang bürgerlicher Öffentlichkeit im Zeitalter digitaler Medien. Die Qualitätspresse wird als Lügenpresse verleumdet, während Verschwörungstheorien und rassistische Verleumdungen im Netz wie ein Lauffeuer die Runde machen und von einem Kontinent zum anderen überspringen. Autoritäre Populisten speisen auf ihren Plattformen die Vorurteile ihrer Anhänger, verbreiten alternative Fakten, verkünden stichhaltige Gerüchte und schüren zugleich den Hass gegen kritische Redakteure und Redakteurinnen.
Längst sind diese Rechtsextremen in Regierungsämter aufgestiegen. Sie machen gegen den liberalen Journalismus mobil. Niemand muss deshalb erstaunt sein, dass vor kurzem im Innenministerium veranlasst wurde, unbequeme Medien nicht mehr mit Informationen zu versorgen, sondern stattdessen nur die einschlägig bekannten Hetzblätter zu bedienen – und zwar mit Nachrichten über jene Verbrechen, die rassistische Emotionen bestärken. Wen wundert’s indes, dass
der Δtandard in der Liste jener Zeitungen, die von Kickls Ministerium nicht mit „Zuckerln“bedacht werden sollten, aufschien?
der Δtandard kann wohl für einen Politiker wie Herbert Kickl nichts anderes als ein Feindmedium sein, weil hier kritisch und unabhängig berichtet wird, weil hier analysiert und kommentiert wird, wie der Innenminister gegen Prinzipien der Zweiten Republik verstößt. Kann es ein schöneres Geschenk für das 30-Jahr-Jubiläum geben als diese Bestätigung, wie wichtig
der Δtandard für unsere liberale Demokratie ist?