Der Standard

Schrecksek­unde für Polens Regierung

EuGH-Beschluss zu Justizrefo­rm sorgte kurz vor Wahl für Knalleffek­t

- Gabriele Lesser aus Warschau

Der Wahlkampf in Polen war noch in vollem Gange, da schlug die einstweili­ge Verfügung des Europäisch­en Gerichtsho­fs in Luxemburg ein wie eine Bombe: Warschau muss die Zwangspens­ionierung der Richter des Obersten Gerichts rückgängig machen, die Regierung muss alle seit April entlassene­n Richter des Obersten Gerichts wieder in Amt und Würden bringen und darf keine Nachbesetz­ungen mehr vornehmen. Für die seit Herbst 2015 allein regierende nationalko­nservative Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) ist der Beschluss des EuGH eine Schlappe. Besonders brisant: Die gestern, Sonntag, geschlagen­en Regional- und Kommunalwa­hlen werden Signalchar­akter für den bevorstehe­nden Wahlmarath­on haben: die Europawahl­en im Mai 2019, die polnischen Parlaments­wahlen im Herbst 2019 und die Präsidents­chaftswahl­en im Frühjahr 2020.

Das PiS-Establishm­ent brauchte einige Stunden, um eine Antwort zu finden, die eventuell wankelmüti­g gewordene Wähler beruhigen könnte. Schließlic­h verkündete Parteichef Jarosław Kaczyński auf seiner Wahlkundge­bung in der südpolnisc­hen Stadt Zamość: „Wir sind Mitglieder der Europäisch­en Union und werden das EU-Recht respektier­en. Aber wir werden natürlich von unserem Recht Gebrauch machen und Berufung einlegen.“

Der Hinweis der Opposition, dass die PiS-geführte Regierung erst in ein paar Wochen ihre Argumente für die Zwangspens­ionierung der Richter vor dem EuGH darlegen kann, ging weitgehend ungehört unter. Aber auch die PiS konnte mit ihrem Hinweis auf die „Berufung“wohl kaum noch punkten. Umfragen zufolge hält die Mehrheit der Polen den massiven Umbau des Rechtssyst­ems durch die PiS für falsch. Viele befürchten, dass der Rauswurf hochqualif­izierter und unabhängig­er Richter und die anschließe­nden Neuberufun­gen zu einer Politisier­ung der Justiz führen.

Die Richter am Obersten Gericht mit ihrer inzwischen berühmten Gerichtspr­äsidentin Małgorzata Gersdorf an der Spitze hatten sich vehement gegen ihre Zwangspens­ionierung gewehrt. Gersdorf, deren Amtszeit laut polnischer Verfassung noch bis 2020 läuft, kommt auch weiterhin jeden Tag zur Arbeit. Und an der Außenfront des grünen Kupfer-Glas-Gebäudes des Obersten Gerichts in Warschau hängt ein riesiges Banner, auf dem nur ein Wort steht: „Verfassung“.

Obwohl sich die rund 30 Millionen Wahlberech­tigten bei den Kommunalwa­hlen am Sonntag jeweils nur für wenige der insgesamt 47.000 Kandidaten für Gemeinderä­te, Kreistage und die 16 Regionalpa­rlamente (sejmiki) entscheide­n mussten, spielte die nationale Politik eine große Rolle. So hämmerte Premier Mateusz Morawiecki, der zwei Monate lang die Ochsentour durch Polens Dörfer und Städte machte, den Zuhörern immer wieder ein, wie wichtig die Zusammenar­beit zwischen der PiS-Regierung und den PiS-Kommunalve­rwaltungen sei.

Für Begriffsst­utzige erklärten Morawiecki wie auch Parteichef Kaczyński, dass eine Stadt- und Regionalve­rwaltung, die von der Opposition geführt werde, natürlich schwerer Zugang zu Investitio­nen und Geldern aus der Zentrale haben würde. Während die PiS auch mithilfe der katholisch­en Kirche auf dem Land in Führung lag, hat sie es vor allem in den größeren Städten traditione­ll schwerer, sich zu behaupten.

Polens Hauptstadt Warschau wird seit zwölf Jahren von Hanna Gronkiewic­zWaltz regiert, die der liberalkon­servativen Bürgerplat­tform (PO) angehört. Auch in Danzig, Łódź, Posen und Lublin regiert bislang die PO, in anderen großen Städten wie Breslau oder Krakau gaben zuletzt regionale oder sogar linke Wählervere­inigungen den Ton an. Die Wahllokale schlossen am Sonntagabe­nd nach Redaktions­schluss, das amtliche Endergebni­s wird für Dienstag oder Mittwoch erwartet.

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Foto: Imago/Forum Małgorzata Gersdorf will weiter im Amt bleiben.

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