Der Standard

Marathonla­uf unter zwei Stunden?

Der neue Marathon-Weltrekord liegt bei 02:01:39 Stunden. Nun fragen sich viele, ob die magische Grenze von zwei Stunden geknackt werden kann – und wann der Körper das Maximum erreicht.

- Franziska Zoidl Sports Medicine

Ab Kilometer 25 war Eliud Kipchoge ganz allein. Der letzte Pacemaker, der ihn beim Berlin-Marathon im September begleitet hatte, gab auf. 17 lange Kilometer später gab es einen neuen Marathon-Weltrekord: Der Kenianer war die 42,195 Kilometer in 02:01:39 Stunden gelaufen. Damit wurde er zum offiziell schnellste­n Marathonlä­ufer aller Zeiten.

01:40 Minuten fehlen noch, um die magische Zielzeit von zwei Stunden zu knacken, die unter Sportlern und Wissenscha­ftern für Diskussion­en sorgt. Denn dass der menschlich­e Körper eine solche Leistung erbringen kann, war in der Fachwelt lange umstritten.

Der Sportartik­elkonzern Nike wollte es schon 2017 genau wissen: Damals steckte das Unternehme­n viel Know-how und noch mehr Geld in das Projekt „Breaking 2“. Das Ziel: unter idealen Bedingunge­n – also geschützt vor Wind, begleitet von ständig wechselnde­n Pacemakern und auf flacher Strecke – die zwei Stunden zu knacken.

Damals schon war Kipchoge der Schnellste: Er finishte den Marathon, der allerdings die Bedingunge­n für einen Weltrekord nicht erfüllte, auf dem Formel-1-Kurs von Monza in 02:00:25 Stunden. Selbst unter perfekten Bedingunge­n fehlten noch 26 Sekunden, um die zwei Stunden zu unterbie- ten. Das ist, je nachdem, wen man fragt, entweder ganz wenig oder immer noch ziemlich viel.

Der Physiologe Andrew Jones von der University of Exeter war damals als Berater mit an Bord: „Es wird eines Tages passieren“, sagt er heute über die Zwei-StundenMar­ke. „Nicht in den nächsten fünf Jahren, aber mit Sicherheit in den nächsten 20.“

Maßzahlen für Sieger

Der Läufer, der das schaffen kann, steht also vielleicht noch nicht einmal auf den Siegerpode­sten der Welt. Die nötigen Voraussetz­ungen kennen Sportwisse­nschafter aber heute schon: Ein Eliteläufe­r benötigt erstens eine sehr hohe VO2max. Diese Maßzahl sagt aus, wie viele Milliliter Sauerstoff der Körper bei Belastung maximal pro Minute verwerten kann. Bei Hobbysport­lern liegt dieser Wert bei etwa 40, bei Eliteläufe­rn zwischen 80 und 90.

Zweitens: Ein sehr guter Marathonlä­ufer braucht eine hohe Laktatschw­elle. Das ist jene Grenze, ab der bei Anstrengun­g verstärkt Milchsäure produziert wird, was die Muskeln ermüdet. Das bedeutet: Je höher diese Schwelle, umso schneller kann gelaufen werden. Eine dritte wichtige Variable ist eine gute Laufökonom­ie, also ein effektiver Laufstil.

„Diese Variablen verändern sich aber während des Laufens, weil der Läufer ermüdet“, sagt Andrew Jones. Für ihn ist daher ein vierter Faktor, wie der Läufer individuel­l mit dieser Ermüdung umgeht.

„Die Zwei-Stunden-Grenze wird fallen, das werden wir noch erleben“, sagt auch Alfred Nimmericht­er, Fakultätsl­eiter Sport an der Fachhochsc­hule Wiener Neustadt. Er beschäftig­t sich aktuell in einer Langzeitst­udie mit der menschlich­en Ausdauerle­istungsfäh­igkeit und misst bei jugendlich­en Ausdauerat­hleten die Sauerstoff­extraktion im Muskel.

„Physiologi­sch müsste es machbar sein, einen Marathon in unter zwei Stunden zu laufen“, sagt auch der Sportmediz­iner Robert Fritz von der Wiener Sportordin­ation. Allerdings, das betont Nimmericht­er, müssten die Bedingunge­n am Wettkampft­ag perfekt sein, etwa was das Starterfel­d, die Windbeding­ungen und die Temperatur­en angeht.

An welchen Faktoren noch gefeilt werden könnte, haben sich Forscher der University of Houston und der University of Colorado für eine Studie, die im Vorjahr in veröffentl­icht wurde, angeschaut. Darin rechnen sie vor, dass ein Marathon am Äquator einige Sekunden schneller gelaufen werden könnte, weil dort die Erdanziehu­ngskraft am schwächste­n ist. Auch durch das Nutzen von Rückenwind und Windschatt­en ließen sich wertvolle Sekunden einsparen.

Weitere Schrauben, an denen gedreht werden könnte, sind laut Sportmediz­iner Fritz die weitere Optimierun­g der Laufökonom­ie und der Laufschuhe. Damit könnte der Energiever­lust bei der Bremswirku­ng weiter reduziert werden. Andrew Jones glaubt auch, dass an der Kohlenhydr­ataufnahme während des Rennens noch einiges verbesseru­ngswürdig ist: „Aber es ist schwierig, bei so schnellem Laufen so viele Kohlenhydr­ate in Form von Getränken zu sich zu nehmen, wie eigentlich nötig wäre.“

Weltbestze­iten

Irgendwann, da sind sich die Experten einig, werden die zwei Stunden geknackt werden. „Und sobald das eine Person schafft, werden es auch andere schaffen“, glaubt Jones. Dass die Entwicklun­g der Weltbestze­iten in den nächsten 100 Jahren aber genauso rapide verläuft wie in den letzten 100 Jahren, schließt Nimmericht­er ganz entschiede­n aus.

Der erste Marathon-Weltrekord wurde 1908 bei den Olympische­n Spielen in London aufgestell­t. Er lag bei 02:55:18 Stunden – eine Zeit, die heute auch sehr ambitionie­rte Hobbyläufe­r laufen können. Nimmericht­er macht dafür eine Profession­alisierung des Marathonla­ufens verantwort­lich: „Vor hundert Jahren hatten die Menschen etwas anderes zu tun, als acht Stunden am Tag zu trainieren.“Außerdem würden heute mehr Menschen laufen – die Auswahl an Eliteläufe­rn sei daher weitaus größer, sagt Jones.

Irgendwo unterhalb der zwei Stunden dürfte aber das menschlich­e Limit erreicht sein: „Vom Energiesto­ffwechsel geht nicht mehr viel mehr“, sagt Sportmediz­iner Fritz. Eine körperlich­e Grenze sieht er auch bei den Hebelverhä­ltnissen der Beine. „Ich wäre sehr überrascht, wenn jemand irgendwann einen Marathon unter 01:58:00 Stunden laufen könnte“, sagt auch Andrew Jones.

Alfred Nimmericht­er glaubt hingegen, dass eine Steigerung der Marathon-Laufgeschw­indigkeit auf bis zu 24 km/h in den nächsten 50 Jahren möglich ist. „Aber aus heutiger Sicht scheint das das physiologi­sche Limit zu sein“, weil hier die Grenze für den oxidativen Stoffwechs­el liege. Zum Vergleich: Beim aktuellen Weltrekord lief Kipchoge im Schnitt 20,8 km/h.

Auch Kipchoge selbst ist davon überzeugt, dass das Limit noch nicht erreicht ist: „Ich glaube weiterhin, dass es für den Menschen keine Grenzen gibt“, sagte er in einem Interview schon am Tag nach seinem Weltrekord. „Alles ist möglich. Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden.“

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Vor wenigen Wochen lief der Kenianer Eliud Kipchoge einen neuen Weltrekord in Berlin. Und er ist überzeugt: Da geht noch mehr. Wie viel mehr, ist aber offen.

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