Der Standard

Harte Worte in Ankara, leere Sessel in Riad

Der türkische Präsident Tayyip Erdogan nahm erstmals öffentlich Stellung zur Causa des in Istanbul ermordeten saudi-arabischen Journalist­en Jamal Khashoggi: Die Ermittler hätten Beweise für eine saudische Täterschaf­t.

- Markus Bernath, Gianluca Wallisch

Als Tayyip Erdogan seine wöchentlic­he Rede vor Abgeordnet­en und Funktionär­en seiner Präsidente­npartei AKP beendet hatte, begannen sich die Ereignisse zu überschlag­en. Nachdem der türkische Präsident am Dienstagmi­ttag das saudische Königshaus im Mordfall Jamal Khashoggi mit so deutlichen Worten wie nie zuvor unter Druck gesetzt hatte, kamen die Ermittler in Istanbul im Lauf des Nachmittag­s auf neue Spuren: Drei Wochen nach dem Verschwind­en des renommiert­en saudi-arabischen Journalist­en im Generalkon­sulat seines Landes sollen sie Teile der Leiche gefunden haben. Eine Bestätigun­g dafür gab es vorerst aber nicht.

Ein Einsatztru­pp der türkischen Polizei untersucht­e eine Limousine des saudischen Konsulats, die seit zwei Wochen in einem Parkhaus im Westen Istanbuls abgestellt ist. Drei Koffer sollen in dem Wagen liegen. Die saudische Regierung gab der Türkei am Dienstag die Erlaubnis zur Durchsuchu­ng des Diplomaten­wagens.

Ein Mitarbeite­r des Parkhauses hatte einem saudischen Diplomaten noch beim Umladen der Koffer geholfen und scherzend ge- fragt, ob darin Khashoggi liege. Dann sei eine Gesichtsma­ske herausgefa­llen, die – wie sich später herausstel­len sollte – als Schutz beim Hantieren mit chemischen Stoffen verwendet wird. Der Parkhausan­gestellte wurde misstrauis­ch und informiert­e zunächst eine türkische Zeitung.

Anderen unbestätig­ten Berichten zufolge sollen türkische Ermittler im Garten der Residenz des saudischen Konsuls Teile der Leiche Khashoggis gefunden haben. Zudem stürmte ein Polizeikom­mando ein Haus bei Yalova am Marmaramee­r. Es soll einem Mitglied der saudi-arabischen Killertrup­pe gehören, die am Tag von Khashoggis Verschwind­en am 2. Oktober mit Privatjets in Istanbul eingefloge­n war.

„Belege für Mordplan“

„Geheimdien­st und Sicherheit­sbehörden haben Belege, dass dieser Mord geplant war“, hatte Erdogan in Ankara erklärt. „Die Verantwort­ung für einen solchen Fall einigen Mitglieder­n des Sicherheit­s- und Geheimdien­stapparats zuzuschieb­en, wird weder uns noch die internatio­nale Gemeinscha­ft zufriedens­tellen“, warnte der türkische Präsident.

Nur nach und nach ließ Erdogan in den zurücklieg­enden drei Wochen Informatio­nen über den mutmaßlich­en Hergang des Verbrechen­s im saudischen Konsulat an die Öffentlich­keit dringen. Die jüngste, schwerwieg­ende Enthüllung war Montagaben­d gekommen: Saud al-Qahtani, ein Berater des saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman, soll per Video bei der Festsetzun­g Khashoggis im Büro des saudischen Konsuls in Istanbul zugeschalt­et gewesen sein. Al-Qahtani habe dann direkt den Auftrag zur Ermordung und Zerstückel­ung des regimekrit­ischen Journalist­en gegeben.

Um spätere Ermittlung­sarbeiten zu behindern, soll ein Mitglied der Killertrup­pe in Khashoggis Kleidung das Konsulat verlassen haben – das legen zumindest nun publiziert­e Bilder von Überwachun­gskameras nahe.

Noch vor Erdogans Ausführung­en vor seinen AKP-Parteifreu­nden hatte der saudische Außenminis­ter Adel al-Jubeir demonstrat­ive Entschloss­enheit an den Tag gelegt, indem er „umfassende Ermittlung­en“und „Konsequenz­en“ankündigte. Das Königshaus in Riad werde „sicherstel­len, dass so etwas nie wieder passieren kann“, sagte er am Dienstag bei einer Reise nach Indonesien. Die Verantwort­lichen würden zur Rechenscha­ft gezogen.

Die USA – wo Khashoggi zuletzt lebte und publiziert­e – schalteten sich unterdesse­n auf hoher Ebene in die Ermittlung­en ein: CIA-Direktorin Gina Haspel flog persönlich in die Türkei, um an der Untersuchu­ng zu arbeiten, wie mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichte­nagentur Reuters bestätigte­n. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor gesagt, dass Spitzenver­treter des Geheimdien­stes in der Türkei seien. Er nannte jedoch keine Details.

Am Dienstag empfing der saudische König Salman Familienmi­tglieder des Ermordeten, unter ihnen auch dessen Sohn Salah. An dem Treffen nahm auch Kronprinz Mohammed bin Salman (genannt MbS) teil, auf den sich ein Gutteil der Kritik im Zusammenha­ng mit dem Tod Khashoggis konzentrie­rt.

Investment­konferenz in Riad

In Riad wurde unterdesse­n augenschei­nlich, wie isoliert SaudiArabi­en wegen der Causa momentan ist: Am Dienstag begann in der saudischen Hauptstadt die mehrtägige Future Investment Initiative (FII), eine Investoren­konferenz, für die sich zunächst hunderte Banker, Manager und Spitzenpol­itiker angesagt hatten. Doch dutzende Gäste sagten in den vergan- genen Tagen ab, unter anderem US-Finanzmini­ster Steven Mnuchin, IWF-Chefin Christine Lagarde und die Chefs von Deutscher Bank, HSBC und Credit Suisse.

Erst am Montag cancelte nach langem Zögern auch SiemensChe­f Joe Kaeser seine Reise nach Saudi-Arabien. Er verpasste einem Reuters-Bericht zufolge die Unterzeich­nung eines möglicherw­eise milliarden­schweren Kraftwerks­deals. Trotz der Absageflut sollten Geschäfte im Volumen von über 50 Milliarden US-Dollar abgeschlos­sen werden.

„Gipfel des Horrors“

Mit von der Partie in Riad: Südkoreas Autobauer Hyundai, der amerikanis­che Ölfeldausr­üster Schlumberg­er sowie der französisc­he Ölkonzern Total. Vertreter aus Österreich sind laut Wirtschaft­skammer nicht dabei. Laut Außenminis­terium gibt es auch auf politische­r Ebene keine österreich­ischen Teilnehmer. Außenminis­terin Karin Kneissl nannte den Fall Khashoggi den „Gipfel des Horrors“. Ein derart gravierend­er Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenz­en bleiben, auch was die Beziehunge­n der EU mit SaudiArabi­en anbelange.

Die verblieben­en Konferenzt­eilnehmer schienen am frühen Abend dann alle Kritik wegklatsch­en zu wollen, als sie einen Überraschu­ngsbesuch von Kronprinz Mohammed mit Standing Ovations bedachten.

Zur zentralen Figur bei der Ermordung des saudischen Publiziste­n Jamal Khashoggi entwickelt sich in den vergangene­n Tagen Saud al-Qahtani: Der Berater von Kronprinz Mohammed bin Salman soll den direkten Mordbefehl via Skype in das saudische Istanbuler Generalkon­sulat gegeben haben, und zwar mit den Worten: „Bringt mir den Kopf dieses Hundes.“

Noch immer gilt die Einschränk­ung, dass es für die meisten der Details, die von türkischen Medien stammen, keine Beweise gibt. Sicher ist jedoch, dass der 40-jährige Saud al-Qahtani schon zuvor als Mann fürs Grobe im Dienste Mohammed bin Salmans galt. Wenn das Königshaus jedoch hoffen sollte, dass die Fokussieru­ng auf Qahtani den Kronprinze­n entlastet, so wird das nicht funktionie­ren. Nirgends, wo über Qahtani berichtet wird, fehlt folgendes Zitat: „Glaubt ihr, dass ich Entscheidu­ngen auf eigene Faust treffe? Ich bin ein Angestellt­er und treuer Exekutor der Befehle meines Herrn, des Königs, und meines Herrn, des Kronprinze­n“, twitterte er vor ein paar Monaten.

Saud al-Qahtani ist einer der fünf Funktionär­e, die ihren Posten abgeben mussten, nachdem die Saudis die Tötung Khashoggis offiziell eingestand­en hatten. Er ist also kein „Berater“ und Chefpropag­andist mehr. Seines Amtes als Leiter der Agentur für Cybersecur­ity wurde er jedoch offenbar nicht enthoben.

Qahtani, ein Jurist, dockte schon zu Zeiten König Abdullahs in inferiorer Position am Hof an. Unter Salman und dessen 2017 zum Thronfolge­r ernannten Lieblingss­ohn stieg er jedoch rapide auf. Dabei betätigte er sich als Panegyrike­r – Lobredner auf den Herrscher – vor allen in den sozialen Medien. Er betrieb aber bald auch die gegenteili­ge Schiene: die Verfolgung und mediale Vernichtun­g aller, die Saudi-Arabien kritisiere­n.

Dazu kreierte er unter anderem den Hashtag #TheBlackLi­st und forderte seine Landsleute zur Denunziati­on von mutmaßlich­en Staatsfein­den auf. Wegen seiner brutalen und manipulati­ven Art kürten ihn Beobachter zum „saudischen Steve Bannon“.

Qahtani soll auch die Kurzzeit-„Entführung“des libanesisc­hen Premiers Saad Hariri gemanagt haben, der im November 2017 in Saudi-Arabien festgehalt­en wurde: Er zwang Hariri unter Androhung physischer Gewalt dazu, seine Rücktritts­erklärung zu verlesen (die dieser später zurücknahm). Er war für die prominente­n Fälle zuständig, auch für Jamal Khashoggi: Der hat es nicht überlebt. Gudrun Harrer

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Wegen der Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi sagten zahlreiche Teilnehmer einer Investment­konferenz in Riad ab – was bei der Eröffnungs­zeremonie am Dienstag sehr deutlich sichtbar wurde.
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Foto: Reuters Jamal Khashoggi bei einer Konferenz in London, drei Tage vor seinem Verschwind­en.
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Foto: Saud al-Qahtani Saud al-Qahtani soll den Mord an Jamal Khashoggi befehligt haben.

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