Harte Worte in Ankara, leere Sessel in Riad
Der türkische Präsident Tayyip Erdogan nahm erstmals öffentlich Stellung zur Causa des in Istanbul ermordeten saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi: Die Ermittler hätten Beweise für eine saudische Täterschaft.
Als Tayyip Erdogan seine wöchentliche Rede vor Abgeordneten und Funktionären seiner Präsidentenpartei AKP beendet hatte, begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Nachdem der türkische Präsident am Dienstagmittag das saudische Königshaus im Mordfall Jamal Khashoggi mit so deutlichen Worten wie nie zuvor unter Druck gesetzt hatte, kamen die Ermittler in Istanbul im Lauf des Nachmittags auf neue Spuren: Drei Wochen nach dem Verschwinden des renommierten saudi-arabischen Journalisten im Generalkonsulat seines Landes sollen sie Teile der Leiche gefunden haben. Eine Bestätigung dafür gab es vorerst aber nicht.
Ein Einsatztrupp der türkischen Polizei untersuchte eine Limousine des saudischen Konsulats, die seit zwei Wochen in einem Parkhaus im Westen Istanbuls abgestellt ist. Drei Koffer sollen in dem Wagen liegen. Die saudische Regierung gab der Türkei am Dienstag die Erlaubnis zur Durchsuchung des Diplomatenwagens.
Ein Mitarbeiter des Parkhauses hatte einem saudischen Diplomaten noch beim Umladen der Koffer geholfen und scherzend ge- fragt, ob darin Khashoggi liege. Dann sei eine Gesichtsmaske herausgefallen, die – wie sich später herausstellen sollte – als Schutz beim Hantieren mit chemischen Stoffen verwendet wird. Der Parkhausangestellte wurde misstrauisch und informierte zunächst eine türkische Zeitung.
Anderen unbestätigten Berichten zufolge sollen türkische Ermittler im Garten der Residenz des saudischen Konsuls Teile der Leiche Khashoggis gefunden haben. Zudem stürmte ein Polizeikommando ein Haus bei Yalova am Marmarameer. Es soll einem Mitglied der saudi-arabischen Killertruppe gehören, die am Tag von Khashoggis Verschwinden am 2. Oktober mit Privatjets in Istanbul eingeflogen war.
„Belege für Mordplan“
„Geheimdienst und Sicherheitsbehörden haben Belege, dass dieser Mord geplant war“, hatte Erdogan in Ankara erklärt. „Die Verantwortung für einen solchen Fall einigen Mitgliedern des Sicherheits- und Geheimdienstapparats zuzuschieben, wird weder uns noch die internationale Gemeinschaft zufriedenstellen“, warnte der türkische Präsident.
Nur nach und nach ließ Erdogan in den zurückliegenden drei Wochen Informationen über den mutmaßlichen Hergang des Verbrechens im saudischen Konsulat an die Öffentlichkeit dringen. Die jüngste, schwerwiegende Enthüllung war Montagabend gekommen: Saud al-Qahtani, ein Berater des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, soll per Video bei der Festsetzung Khashoggis im Büro des saudischen Konsuls in Istanbul zugeschaltet gewesen sein. Al-Qahtani habe dann direkt den Auftrag zur Ermordung und Zerstückelung des regimekritischen Journalisten gegeben.
Um spätere Ermittlungsarbeiten zu behindern, soll ein Mitglied der Killertruppe in Khashoggis Kleidung das Konsulat verlassen haben – das legen zumindest nun publizierte Bilder von Überwachungskameras nahe.
Noch vor Erdogans Ausführungen vor seinen AKP-Parteifreunden hatte der saudische Außenminister Adel al-Jubeir demonstrative Entschlossenheit an den Tag gelegt, indem er „umfassende Ermittlungen“und „Konsequenzen“ankündigte. Das Königshaus in Riad werde „sicherstellen, dass so etwas nie wieder passieren kann“, sagte er am Dienstag bei einer Reise nach Indonesien. Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen.
Die USA – wo Khashoggi zuletzt lebte und publizierte – schalteten sich unterdessen auf hoher Ebene in die Ermittlungen ein: CIA-Direktorin Gina Haspel flog persönlich in die Türkei, um an der Untersuchung zu arbeiten, wie mit dem Vorgang vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters bestätigten. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor gesagt, dass Spitzenvertreter des Geheimdienstes in der Türkei seien. Er nannte jedoch keine Details.
Am Dienstag empfing der saudische König Salman Familienmitglieder des Ermordeten, unter ihnen auch dessen Sohn Salah. An dem Treffen nahm auch Kronprinz Mohammed bin Salman (genannt MbS) teil, auf den sich ein Gutteil der Kritik im Zusammenhang mit dem Tod Khashoggis konzentriert.
Investmentkonferenz in Riad
In Riad wurde unterdessen augenscheinlich, wie isoliert SaudiArabien wegen der Causa momentan ist: Am Dienstag begann in der saudischen Hauptstadt die mehrtägige Future Investment Initiative (FII), eine Investorenkonferenz, für die sich zunächst hunderte Banker, Manager und Spitzenpolitiker angesagt hatten. Doch dutzende Gäste sagten in den vergan- genen Tagen ab, unter anderem US-Finanzminister Steven Mnuchin, IWF-Chefin Christine Lagarde und die Chefs von Deutscher Bank, HSBC und Credit Suisse.
Erst am Montag cancelte nach langem Zögern auch SiemensChef Joe Kaeser seine Reise nach Saudi-Arabien. Er verpasste einem Reuters-Bericht zufolge die Unterzeichnung eines möglicherweise milliardenschweren Kraftwerksdeals. Trotz der Absageflut sollten Geschäfte im Volumen von über 50 Milliarden US-Dollar abgeschlossen werden.
„Gipfel des Horrors“
Mit von der Partie in Riad: Südkoreas Autobauer Hyundai, der amerikanische Ölfeldausrüster Schlumberger sowie der französische Ölkonzern Total. Vertreter aus Österreich sind laut Wirtschaftskammer nicht dabei. Laut Außenministerium gibt es auch auf politischer Ebene keine österreichischen Teilnehmer. Außenministerin Karin Kneissl nannte den Fall Khashoggi den „Gipfel des Horrors“. Ein derart gravierender Vorfall dürfe nicht ohne Konsequenzen bleiben, auch was die Beziehungen der EU mit SaudiArabien anbelange.
Die verbliebenen Konferenzteilnehmer schienen am frühen Abend dann alle Kritik wegklatschen zu wollen, als sie einen Überraschungsbesuch von Kronprinz Mohammed mit Standing Ovations bedachten.
Zur zentralen Figur bei der Ermordung des saudischen Publizisten Jamal Khashoggi entwickelt sich in den vergangenen Tagen Saud al-Qahtani: Der Berater von Kronprinz Mohammed bin Salman soll den direkten Mordbefehl via Skype in das saudische Istanbuler Generalkonsulat gegeben haben, und zwar mit den Worten: „Bringt mir den Kopf dieses Hundes.“
Noch immer gilt die Einschränkung, dass es für die meisten der Details, die von türkischen Medien stammen, keine Beweise gibt. Sicher ist jedoch, dass der 40-jährige Saud al-Qahtani schon zuvor als Mann fürs Grobe im Dienste Mohammed bin Salmans galt. Wenn das Königshaus jedoch hoffen sollte, dass die Fokussierung auf Qahtani den Kronprinzen entlastet, so wird das nicht funktionieren. Nirgends, wo über Qahtani berichtet wird, fehlt folgendes Zitat: „Glaubt ihr, dass ich Entscheidungen auf eigene Faust treffe? Ich bin ein Angestellter und treuer Exekutor der Befehle meines Herrn, des Königs, und meines Herrn, des Kronprinzen“, twitterte er vor ein paar Monaten.
Saud al-Qahtani ist einer der fünf Funktionäre, die ihren Posten abgeben mussten, nachdem die Saudis die Tötung Khashoggis offiziell eingestanden hatten. Er ist also kein „Berater“ und Chefpropagandist mehr. Seines Amtes als Leiter der Agentur für Cybersecurity wurde er jedoch offenbar nicht enthoben.
Qahtani, ein Jurist, dockte schon zu Zeiten König Abdullahs in inferiorer Position am Hof an. Unter Salman und dessen 2017 zum Thronfolger ernannten Lieblingssohn stieg er jedoch rapide auf. Dabei betätigte er sich als Panegyriker – Lobredner auf den Herrscher – vor allen in den sozialen Medien. Er betrieb aber bald auch die gegenteilige Schiene: die Verfolgung und mediale Vernichtung aller, die Saudi-Arabien kritisieren.
Dazu kreierte er unter anderem den Hashtag #TheBlackList und forderte seine Landsleute zur Denunziation von mutmaßlichen Staatsfeinden auf. Wegen seiner brutalen und manipulativen Art kürten ihn Beobachter zum „saudischen Steve Bannon“.
Qahtani soll auch die Kurzzeit-„Entführung“des libanesischen Premiers Saad Hariri gemanagt haben, der im November 2017 in Saudi-Arabien festgehalten wurde: Er zwang Hariri unter Androhung physischer Gewalt dazu, seine Rücktrittserklärung zu verlesen (die dieser später zurücknahm). Er war für die prominenten Fälle zuständig, auch für Jamal Khashoggi: Der hat es nicht überlebt. Gudrun Harrer