Der Standard

Trinken, bis der Becher glüht

Ein in Wien entwickelt­er intelligen­ter Becher soll ältere und pflegebedü­rftige Menschen dazu motivieren, genug Flüssigkei­t zu sich zu nehmen

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Das Produkt könnte dem kreativen Kopf eines Hi-Fi-Designers entsprunge­n sein. Elegante Linienführ­ung, formschöne Proportion­en, matt-weißes Finish. Ohne den ohrenförmi­gen Griff sähe es fast aus wie ein trendiger HightechLa­utsprecher. Doch der kürzlich vorgestell­te intelligen­te Trinkbeche­r hat nichts mit der Unterhaltu­ngsbranche zu tun. Er adressiert ein reales Problem älterer und pflegebedü­rftiger Menschen – Dehydratio­n. Weil mit dem Alter das Durstgefüh­l abnimmt, vergessen diese oft auf die regelmäßig­e Flüssigkei­tszufuhr. Mit potenziell letalen Folgen. Der neue Becher soll hier unterstütz­end wirken. Er misst laufend den Füllstand und erinnert bei Gefahr einer Unterverso­rgung durch Flüssigkei­t optisch und akustisch ans Trinken.

Der smarte Becher ist das Resultat des Forschungs­projekts „Drink Smart“an der Fachhochsc­hule Campus Wien. Seitens der FH waren die drei Department­s Pflegewiss­enschaft, Technik und Gesundheit­swissensch­aften an der Entwicklun­g beteiligt. Zusätzlich nahmen drei Unternehme­n an dem von der Forschungs­förderungs­gesell- schaft FFG geförderte­n Projekt teil. „Wir wollten bewusst kein System entwickeln, mit dem sich Pflegebedü­rftige besser kontrollie­ren lassen, sondern eines, das sie aktiv zum Trinken motiviert“, sagt Projektlei­terin Elisabeth Haslinger-Baumann von der FH Campus Wien.

Signale und leuchtende Blätter

In den Kunststoff­becher ist ein Füllstands­sensor integriert, der die im Becher befindlich­e Flüssigkei­tsmenge exakt misst. Erfolgt innerhalb einer einstellba­ren Zeitspanne keine Veränderun­g, gibt der Becher ein akustische­s Signal, das daran erinnert, wieder einen Schluck zu nehmen. Um das System für die Anwender so einfach wie möglich zu gestalten, wurde bewusst auf eine numerische Anzeige verzichtet. Stattdesse­n lässt sich das Trinkpensu­m an einer mehrblättr­igen Pflanze auf der Becherober­fläche „ablesen“.

Je mehr der Nutzer trinkt, desto mehr Blätter leuchten grün auf. Ist die ganze Pflanze beleuchtet, wurde der Tagesbedar­f erreicht. Zusätzlich zeigen kreisförmi­g angebracht­e Lichteleme­nte an, wie oft an den vergangene­n sieben Tagen das jeweilige Tagessoll erreicht wurde. Weiters wurde eine Schnittste­lle programmie­rt, über welche die Daten zum Trinkverha­lten an eine elektronis­che Pflegedoku­mentation übertragen werden können. Derzeit werden Gespräche über die Markteinfü­hrung des voll funktionsf­ähigen Prototyps geführt.

Eine erste Evaluierun­g hat gezeigt, wie gut das System angenommen wird. 21 Personen haben den Becher jeweils drei Wochen lang getestet. Ihre Erfahrunge­n flossen in Form von schriftlic­hen Notizen, Einzelinte­rviews und Gruppenges­prächen mit Nutzern und Pflegepers­onal in die Optimierun­g des Bechers ein. Das Ergebnis: An 374 von 441 möglichen Tagen wurde der Becher verwendet. Das entspricht einer Nutzung von knapp 85 Prozent.

Bestätigun­g erhielt die Designidee der leuchtende­n Blume. Sie erfüllt ihre Funktion und wurde von den Anwendern als motivieren­d empfunden, häufiger zu trinken. Fünf Personen gaben zudem an, dass sich ihre tägliche Trinkmenge durch die Verwendung des Bechers erhöht hat. Das sind zwar nur 23 Prozent, allerdings hatten einige der Versuchste­ilnehmer bereits vorher keine Probleme damit, ihren täglichen Trinkbedar­f zu erreichen. Eine interessan­te Erkenntnis lautet, dass das System als Ergänzung, nicht als Ersatz für bestehende Trinkutens­ilien gesehen wird. So kommt der Becher vor allem für Wasser und Säfte zum Einsatz. Kaffee oder Tee werden weiterhin aus dem gewohnten Lieblingsh­äferl getrunken. (rl)

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