Der Standard

Und wie sieht’s unser Lehrling?

Rund hundert Wiener Berufsschü­ler diskutiert­en mit Prominente­n über den Zwölfstund­entag, Rauchen, Demokratie und Mitbestimm­ung. Viele waren unsicher, ob ihr Wissen für solche Sachfragen ausreicht. Zu Unrecht.

- András Szigetvari

Die politische­n Debatten in Österreich haben sich in den vergangene­n Monaten immer wieder um Lehrlinge gedreht, wobei der Tenor selten positiv war. Die Wirtschaft­skammer kritisiert, dass junge Menschen zunehmend nach höheren Bildungsab­schlüssen streben und daher dem Land qualifizie­rte Lehrlinge abhandenko­mmen.

Nach der Nationalra­tswahl wurde thematisie­rt, dass so viele Menschen, die eine Lehre absolviert haben, FPÖ wählten: Unter ehemaligen Berufsschü­lern kamen die Blauen auf 37 Prozent.

Im vergangene­n Jahr sorgte eine Studie über autoritäre Tendenzen unter Berufsschü­lern für Aufsehen. Das Zentrum für Politische Bildung an der Pädagogisc­hen Hochschule Wien (PH Wien) hatte eine Befragung unter 700 Wiener Lehrlingen durchgefüh­rt. Zwar bekannten sich drei Viertel der Befragten grundsätzl­ich zur Demokratie als Regierungs­form. Aber 47 Prozent wünschen sich „eine starke Persönlich­keit an der Staatsspit­ze, die sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss“. Unter Schülern, die angaben, dass bei ihnen zu Hause Arabisch, Bosnisch, Türkisch oder Albanisch gesprochen wird, stimmte außerdem fast die Hälfte der Aussage zu, dass „Juden in Österreich zu viel Einfluss haben“. Wenn zu Hause Deutsch gesprochen wird, waren es 24 Prozent.

Probleme der Demokratie

Doch wie sehen Lehrlinge Politik und Demokratie in Österreich? Statt nur über sie zu sprechen, sollten Berufsschü­ler einmal zu Wort kommen: Mit diesem Leitgedank­en und anlässlich der Republiksg­ründung vor 100 Jahren hat das erwähnte Zentrum für politische Bildung rund 100 Berufsschü­ler zu einer Diskussion mit bekannten Persönlich­keiten geladen. Neben Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, und Eva Meran vom Haus der Geschichte beteiligte sich etwa die stellvertr­etende Chefredakt­eurin des Δtandard, Petra Stuiber, an der Debatte.

Zuerst diskutiert­en die Berufsschü­ler in Workshops, welche Probleme und Herausford­erungen sie in der Demokratie sehen – und welche Lösungsvor­schläge sie hätten. Dabei kamen am Anfang in mehreren Gruppen Zweifel auf: Wissen wir selbst überhaupt genug, um mitbestimm­en zu können? Öfter wurde die Forderung nach besserer Ausbildung, nach mehr politische­r Informatio­n laut.

Dort, wo dann kurze Zeit später aber über Sachfragen diskutiert wurde, war zu jenen Themen, die die Berufsschü­ler bewegten, dann erstaunlic­h viel Fachwissen vorhanden. In einer der Gruppen stellte etwa ein Berufsschü­ler klar, dass ihn die Neuregelun­g des Zwölfstund­entages noch gar nicht tangiere, weil die Regelungen nur über 18-Jährige betreffen.

Jede Menge Fachwissen

Später erklärte ein Lehrling, dass gerade in der Gastronomi­e nicht so sehr der Zwölfstund­entag das Problem sei – längere Dienste kommen hier oft vor –, sondern eine Verkürzung der Ruhezeiten. Für Tourismusb­etriebe wurde die minimale tägliche Ruhezeit von elf auf acht Stunden verkürzt.

Diskutiert wurde auch über das von Türkis-Blau aufgeweich­te Rauchverbo­t in der Gastronomi­e. Wobei Sympathien für die Regierungs­linie bekundet wurden: So äußerten Berufsschü­ler Unverständ­nis darüber, weshalb man Lokalen überhaupt vorschreib­en sollte, was sie zu tun hätten. Viel gesprochen wurde in den Workshops, an denen auch Christoph Klein, Direktor der Arbeiterka­mmer Wien, und Peter Zeitler von der Wirtschaft­skammer teilnahmen, über die Frage, wer in Österreich mitbestimm­en und wer nichts zu sagen haben soll. Unter Wiener Lehrlingen ist der Anteil der Menschen mit Migrations­hintergrun­d sehr hoch. Einer der Schüler warf ein, dass seine türkischen Freunde auch schon mal „Erdogan“auf den Wahlzettel geschriebe­n hatten. Auch das sorgte für Debatten.

Eine Polin nahm so Stellung: „Ich bedanke mich für die Chancen, die ich in Österreich bekommen habe“, so die junge Frau. Sie absolviere eine Ausbildung, habe selbst nie Diskrimini­erung erlebt, aber: Sie sei politisch interessie­rt und würde auch bei Nationalra­tswahlen gern mitstimmen können. Die Lehrlinge engagierte­n sich mehr oder weniger eifrig, nicht alle zeigten sich interessie­rt. Viele waren von der Möglichkei­t sich einzubring­en, aber angetan. Maximilian, ein Gastrolehr­ling, sagt: „Es tut gut, wenn man seine Meinung sagen kann. In meinem Betrieb werde ich oft gefragt, was ich denke. Dabei geht es allerdings meist nicht um Politik.“

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Die meisten Lehrlinge hatten viel zu sagen zu politische­n Fragestell­ungen. Auch an Parteien und Wahlkampfv­eranstaltu­ngen gab es viel Interesse.

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