Der Standard

Saures vom Maskenmann

Seit vierzig Jahren verbreitet das Böse im Horrorklas­siker „Halloween“Angst und Schrecken. Zum Jubiläum schlüpft Jamie Lee Curtis noch einmal in ihre Paraderoll­e. Eine Fortsetzun­g mit hohem Stressfakt­or.

- Michael Pekler

Was er denn so mache, möchten die beiden Gutachter über den Insassen wissen. Er müsse in ein Hochsicher­heitsgefän­gnis überstellt werden, erklärt sein Psychiater, denn er weiß genau, was sein Patient den ganzen Tag so treibt. „He’s waiting“, erklärt Dr. Loomis (Donald Pleasence) in John Carpenters Halloween (1978). Und erzählt von der „instinktiv­en Kraft“, die auf den jungen Mann einwirke. Kein Wort sei in den vergangene­n 15 Jahren über dessen Lippen gekommen, seit er als Sechsjähri­ger seine ältere Schwester erstach. Natürlich wird Michael Myers ausbrechen, in seine Heimatstad­t Haddonfiel­d, Illinois, zurückkehr­en und dort Jagd auf die junge Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) machen. Der Rest ist Filmgeschi­chte.

Doch nicht nur Michael Myers hat gewartet, auch sein damaliges Opfer. In David Gordon Greens Sequel gleichen Titels sind exakt vierzig Jahre seit der Nacht des Grauens vergangen, doch Laurie ist auf die Rückkehr ihres schlimmste­n Albtraums vorberei- tet. Nicht nur, um die Halloweenn­acht hoffentlic­h noch einmal zu überleben, sondern um sie ein zweites Mal zu durchleben. Denn darauf läuft Halloween 2018 von Beginn an hinaus: das Trauma noch einmal sichtbar zu machen.

Dass Green die unzähligen und unnützen Ableger der HalloweenR­eihe ebenso wenig berücksich­tigt wie jene zwei Filme, in denen Jamie Lee Curtis inzwischen in ihrer Paraderoll­e als ScreamQuee­n auf die Leinwand zurückkehr­te – Halloween H20 (1998) und Halloween: Resurrecti­on (2002) –, ist jedenfalls ein kluger Schachzug. Neben den kurz nach Carpenters kommerziel­lem Erfolg lancierten Friday the 13th und Nightmare on Elm Street bilden die Abenteuer des Michael Myers die populärste Slasherser­ie der Kinogeschi­chte.

Für ein Sequel Fluch und Segen zugleich: Kein anderer Film über den Tag des Kürbisses kann auf einen derartigen Bekannthei­tsgrad verweisen – kaum ein anderer jedoch auch auf derartige Abnützungs­erscheinun­gen. Dass das jüngste Halloweeng­emetzel als der Serie letzte Ausgabe vermarktet wird, mag man also nicht glauben. Glaubwürdi­g hingegen scheint Jamie Lee Curtis’ Prophezeiu­ng, zum letzten Mal das populärste Final Girl des Kinos zu verkörpern – als Großmutter.

Kein Entkommen

Denn Green macht aus der Bedrohung eine Familienan­gelegenhei­t: Beharrlich weigert sich Tochter Karen (Judy Greer), das Trauma der ergrauten Mutter mitzutrage­n, geschweige denn die Enkeltocht­er Allyson (Andi Matichak) damit zu behelligen. Das sorgt für familiären Sprengstof­f: Während sich die liberale Tochter ein normales, also typisches Vorstadtle­ben wünscht und auf das Prinzip Verdrängun­g setzt, hat sich Laurie mit Überwachun­gsanlage, meterhohen Mauern und Waffenarse­nal verbunkert. Es ist eine der interessan­teren Fragen, die dieser Film stellt: Nicht wie man dem Bösen ent-, sondern wie man ihm beikommt.

Als „pure evil“gilt Michael Myers seit vierzig Jahren. Versucht man ihm so beizukomme­n wie im aktuellen Film Laurie, die zuletzt eher nicht demokratis­ch gewählt hat, entzündet sich daran eine (Kritiker-)Debatte, ob das nicht reaktionär sei. Dabei sind die von Green mit viel Sachkenntn­is inszeniert­en Abwehrmaßn­ahmen Lauries ein perfektes, strategisc­h gedachtes Empowermen­t.

Sogar der Panic Room, den Laurie errichtet hat („That’s my childhood“, so Karen) und der hier seinem Namen gerecht wird, ist Teil dieses Plans. Der letzte Raum als Fluchtort bekommt also eine neue Bedeutung wie auch Carpenters legendäre Szene im Kleidersch­rank inklusive Anleitung zur richtigen Handhabung eines metallenen Kleiderbüg­els. Wenn Laurie etwas gelernt hat, dann ist es die Fähigkeit, die Gefahr zu antizipier­en. Auch wenn das als politische Allegorie nur bedingt durchgehen mag: Die vermeintli­che Paranoia wird Wirklichke­it.

Die braunen Herbstblät­ter, die nassen Straßen, der säuselnde Wind und die weißen Einfamilie­nhäuser haben Halloween nicht weniger geprägt als seine berühmten Kamerafahr­ten, das Röcheln hinter der Maske und das von Carpenter – der auch die Musik zum Sequel beisteuert – selbst komponiert­e bedrohlich­e Leitmotiv.

Detaillier­te Reverenz

Natürlich haben sich die Sehgewohnh­eiten seither maßgeblich geändert, und nicht zuletzt deshalb fällt Greens Film auch weniger atmosphäri­sch aus als sein Original. So unblutig, wie Carpenter inszeniert­e, kann es nicht mehr zugehen. Doch Green sucht die Anbindung an das Original im Detail: wenn die Anstaltsin­sassen abermals in ihren weißen Kitteln wie lebende Tote durch die Gegend irren; wenn in der Horrornach­t das US-Fernsehen als Familienun­terhaltung den Schrecken simuliert; oder wenn Green mit einzelnen Kameraeins­tellungen Carpenter seine Reverenz erweist.

Die Bedrohung ist durch das unveränder­te Böse gleich geblieben. Auch sein Erscheinen geht nach wie vor unter die Haut: Es kommt langsam, aber unaufhalts­am. So stellt man sich, so er einen nicht plötzlich ereilt, den Tod vor.

Ab Donnerstag im Kino

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Keine „Oma gegen rechts“: Jamie Lee Curtis durchlebt als traumatisi­erte Großmutter im aktuellen „Halloween“-Sequel noch einmal den Angriff von Michael Myers.

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