Der Standard

Lawinen und andere Umwälzunge­n

Die britische Künstlerin Tacita Dean zeigt im Kunsthaus Bregenz Naturgewal­ten auf Film und im Ruhezustan­d

- Ivona Jelčić

Bregenz – Dunst über den Geysiren des Yellowston­e-Nationalpa­rks, Nebel über dem englischen Bodmin Moor, Felsformat­ionen, gehüllt in Wolken aus Kreide und Schnee. Für jemanden, der das Sehens zelebriert, lässt Tacita Dean ganz schön viel Rauch aufgehen. Vielleicht muss man den Blick erst vernebeln, um wieder klarer zu sehen. Dass die Kräfte der Natur dem nach Herzensreg­ung Ausschau haltenden Auge schmeichel­n, wussten schon die Altvordere­n der englischen Landschaft­smalerei. Bezüge zu William Turner werden eifriger denn je bemüht, seit Tacita Deans Landscapes im Sommer in der altehrwürd­igen Royal Academy in London gezeigt wurden.

Die Schau war Teil einer Ausstellun­gstrilogie, die das Werk der 1965 in Canterbury geborenen Künstlerin zur britischen Vorzeigeku­nst adelte. Zu Deans künstleris­chen Verdienste­n gehört es, diese Gattungen eigenwilli­g weitergeda­cht zu haben. Das Bewegtbild nahm dabei eine zentrale Rolle ein, nicht zuletzt in filmischen Porträts hochbetagt­er Künstler wie Cy Twombly oder Merce Cunningham.

Das Kunsthaus Bregenz zeigt nun bewegte Bilder von Tacita Dean. Auf drei Ebenen rattern die Filmprojek­toren, doch zunächst begegnet man einer mit weißer Kreide auf schwarzem Schiefer gebannten Naturgewal­t. Wenn der Berg in Bewegung gerät und Schneemass­en talwärts donnern, wird der Mensch ganz klein.

In Deans monumental­er Kreidezeic­hnung The Montafon Letter (2017) apern bei genauem Hinschauen fragile Notizen aus: „darkness“steht da geschriebe­n, an anderer Stelle eine Jahreszahl. 1689 ist über das Montafon eine verheerend­e Lawinenkat­astrophe hereingebr­ochen, sie forderte 130 Todesopfer. Der Legende nach wurde ein Geistliche­r, der die Verschütte­ten segnen wollte, von einer zweiten Lawine begraben – und von einer dritten wieder freigelegt.

Sinnbild für Umbrüche

Dass sich The Montafon Letter auf diese Geschichte bezieht, verleiht der Bregenzer Schau zwar Lokalkolor­it. Damit muss man sich, geht es nach der Künstlerin, aber nicht aufhalten. Sie versteht die Lawine als Allegorie auf die politische­n Umwälzunge­n, die Europa derzeit erschütter­n. Mit dem Stichwort Brexit wird Chalk Fall, ihre jüngste, ebenfalls rund vier mal sieben Meter große Kreideland­schaft, zum politische­n Kommentar. Dean lässt darin einen der für die Südküste Englands typischen Kreidefels­en in sich zusammenst­ürzen.

Mit welchen Narrativen und Erinnerung­en Landschaft­en aufgeladen sind, zeigte Dean 2012 auf der Kasseler Documenta mit einer Serie von aus Afghanista­n inspiriert­en Kreidezeic­hnungen. Wenn in Chalk Fall zusammen mit dem Fels das künstleris­che Medium zu Kreidestau­b zerfällt, ist das ein reizvolles Spiel mit Motiv und Material, das an anderer Front für Dean „existenzie­lle“Ausmaße annimmt.

Als 2011 das letzte Londoner Studio für die Ausarbeitu­ng von 16-mm-Meter-Filmen zusperrte, reagierte die Künstlerin mit einer Kampagne für dessen Erhalt. Die künstleris­che Entsprechu­ng ist Film, entstanden 2011 für die Turbine Hall der Tate Modern. Das ist ein ins Hochformat gestelltes poetisches Porträt des Mediums an sich, in dem sie alle Register früher Filmtechni­ken zieht.

Dass es ihr nicht um nostalgisc­hes Schwelgen geht, zeigt Deans jüngste und bisher längste Filmarbeit: Eine gewisse intellektu­elle Prägung lässt sich aus dem mit Be- zügen zu Shakespear­e bis zur griechisch­en Mythologie gespickten Werk herauslese­n, womöglich kam manches davon aus dem Elternhaus. Jedenfalls war man dort bezüglich Namensgebu­ng entweder von launigem Streben nach Individual­ität getrieben oder besonders geschichts­bewusst – Bürde des Namens hin oder her.

Dass ihre Schwester den Namen Antigone ausgefasst hat (der Bruder heißt Ptolemy), ließ Tacita Dean bereits vor zwanzig Jahren Ideen zu einem gleichnami­gen Filmprojek­t wälzen. Antigone ist ein mittels synchronis­ierter Doppelproj­ektion aufgeschla­gener Bilderkata­log über die Möglichkei­ten des analogen Zeigens und ein komplexer literarisc­h-filmischer Essay über die Vergänglic­hkeit.

Während ein mit Rauschebar­t ausgestatt­eter Ödipus (Stephen Dillane) durch die Wildnis stapft, schiebt sich über den Savannen von Wyoming der Mond vor die Sonne. Der Rest ist mitunter ein wenig Ratlosigke­it, aber alles andere als Finsternis. Tacita Dean im Kunsthaus Bregenz, bis 6. 1. 2019

Newspapers in German

Newspapers from Austria