Den Mörder zum Medienthema machen
Ist Steven Avery Opfer eines riesigen Justizskandals? Die zweite Staffel von „Making a Murderer“zeigt neue Details, die das beweisen sollen. In den Medienhype mischt sich vermehrt Kritik. Manipulation steht im Raum.
Wenn man, wie Netflix-Boss Reed Hastings, Erfolg am Radau in sozialen Medien misst, so war Making a Murderer definitiv ein Hit. Die Frage, ob der US-Bürger Steven Avery, der 18 Jahre wegen Vergewaltigung inhaftiert war und heute wegen Mordes im Waupun-Correctional-Gefängnis im Bundesstaat Wisconsin einsitzt, unschuldig ist, wurde in diversen Netzwerken leidenschaftlich diskutiert, be- und entlastende Details wurden gewälzt und abgewogen, Urteile zuhauf gefällt.
So beginnt die zweite Staffel der Dokutainment-Serie mit Stakkatogetöse aus der Medienblase. 33 Jahre nach der Vergewaltigung an Penny Beernstein, 13 Jahre nach dem Mord an Teresa Halbach und drei Jahre nach der ersten Staffel von Making a Murderer setzt Netflix die Geschichte um den verurteilten, frei gelassenen und wie- der verurteilten Avery und den ebenfalls verurteilten Brendan Dassey fort. Die Dokumentaristinnen Moira Demos und Laura Ricciardi haben weiter recherchiert und Fakten zusammengetragen.
Zehn Folgen sind seit Freitag abrufbar, und wieder schlagen die Geigerzähler in sozialen Medien aus. In den Maßstäben der Streamingplattform gemessen ist das wieder ein Erfolg.
In den Hype mischt sich allerdings vermehrt Kritik. Ging es in der ersten Staffel noch um das Aufzeigen sozialer Ungerechtigkeit, geht es jetzt darum, recht zu haben. Wesentliche Details seien ausgespart worden, lautet ein Vorwurf. Indizien, die für Averys Schuld sprächen, seien dem Publikum bewusst vorenthalten worden.
Neue Figuren werden eingeführt, etwa die Anwältin Kathleen T. Zellner, die mit wehenden Fah- nen und wachem Interesse an ihrer Selbstinszenierung für Avery eintritt. In teils ermüdender Länge werden Beweise hinterfragt, Situationen nachgestellt, die dessen Unschuld belegen sollen, etwa wie die Blutspuren an Halbachs Auto gekommen sein könnten. Dass Avery unter Stress andere Handgriffe gemacht haben könnte als unter Laborbedingungen, wird nicht eingeräumt. Für Zellner sind alle Blutbeweise „komplette Lügen“.
Opferschutz spielt ebenso keine Rolle. Was es für die Angehörigen Halbachs bedeuten muss, wenn an einer Puppe demonstriert wird, ob Avery die Leiche so und nicht anders gehoben hat, bleibt unaufgearbeitet. Im Mittelpunkt steht vorerst die Mission der Anwältin: Es werde ihr eine Freude sein, den Staatsanwalt zu „demaskieren“, sagt sie kämpferisch. Fortsetzung folgt? Ziemlich sicher.