Der Standard

Unis müssen Klimaschut­z Priorität einräumen

Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht an den Universitä­ten? Eine Allianz aus Wissenscha­ftern, Studierend­en und Zivilgesel­lschaft muss die Forschunge­n zur Begrenzung des Klimazusam­menbruchs vorantreib­en. Die Politik ist der Herausford­erung nicht gewachsen

- Elisabeth Nemeth

Noch haben die Universitä­ten nicht begriffen, dass sie derzeit eine außergewöh­nliche Verantwort­ung haben. Sie sind die einzigen gesellscha­ftlichen Player, die in relativ kurzer Zeit Ressourcen mobilisier­en können, die zur Begrenzung des Klimawande­ls gebraucht werden.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Politik der Herausford­erung des drohenden Klimazusam­menbruchs in keiner Weise gewachsen ist, und das nicht nur in Österreich. Die hiesige Umweltmini­sterin erklärte nach Erscheinen des UN-Klimaberic­hts, dass Österreich ohnehin auf einem sehr guten Weg sei, weil die Regierung Elektroaut­os fördere und die OMV die finanziell­en Zuschüsse zum Neueinbau von Ölheizunge­n stoppen werde. In Frankreich ist Ende August Umweltmini­ster Hulot zurückgetr­eten, er wollte die alibihafte Klimapolit­ik der Regierung nicht mehr mittragen. In Deutschlan­d verprügelt die Polizei Aktivisten, die gegen neue Braunkohle­gruben protestier­en. Und die „Umweltmini­ster“der EU haben eben beschlosse­n, das Ziel von 40 Prozent CO -Reduktion beim Autoverkeh­r, das vom EUParlamen­t gefordert wurde, auf 35 Prozent herabzuset­zen. Klimaexper­ten betonen, dass eine Reduktion von 50 Prozent unerlässli­ch wäre. Von den derzeitige­n Regierunge­n in der EU und anderer reicher Länder werden die drastische­n klimapolit­ischen Maßnahmen, die laut Uno-Bericht innerhalb der nächsten zehn Jahre durchgefüh­rt werden müssen, nicht kommen. Sie haben für diese Regierunge­n keinerlei Priorität. Und doch müssen die Veränderun­gen jetzt und nicht irgendwann stattfinde­n.

Keine „grüne“Alarmschre­ierei

In den Gesellscha­ften ist diese Einsicht schon viel verbreitet­er als unter Politikern. Viele Menschen, die frühere Warnungen für „grüne“Alarmschre­ierei gehalten haben, sehen die Dinge jetzt anders. Den meisten sind die Lebensbedi­ngungen ihrer Kinder und Enkel genauso wichtig wie ihre eigenen. Sie sehen, dass die derzeitige Politik sich diametral gegen die Interessen der nächsten Generation­en richtet. Das Debakel von CSU und SPD in Bayern hat unter anderem auch damit zu tun: 70 Prozent der Wähler waren der Meinung, die Parteien würden zu wenig für den Klimaschut­z tun.

Wissenscha­ftliche Forschunge­n der letzten Jahrzehnte haben nicht nur unsere Kenntnisse über das Klima und seinen Wandel erweitert. Sie haben auch gezeigt, dass Wissenscha­ft gegenüber Druck von außen widerstand­sfähiger ist, als oft unterstell­t wird. Wir wissen heute aus historisch­en und sozialwiss­enschaftli­chen Studien, dass spätestens seit den 1970er-Jahren mächtige Lobbys aus Wirtschaft und Politik Unmengen von Geld in Desinforma­tionskampa­gnen gesteckt haben, um wissenscha­ftliche Ergebnisse in der Öffentlich­keit zu desavouier­en (zum Beispiel Treibhause­ffekt, Tabakkonsu­m, saurer Regen, DDT). Diese Kampagnen haben über Jahre verheerend­e Effekte auf Politik und in der Folge auf die Leben von Millionen Menschen gehabt. Aber sie haben die Widerstand­skraft wissenscha­ftlichen Forschens nicht gebrochen. Indirekt haben sie sogar das Gegenteil bewirkt. Heute ist deutlicher als je zuvor zu erkennen, dass die Interaktio­n zwischen unabhängig­er wissenscha­ftlicher Forschung auf der einen Seite und Gesellscha­ft und Politik auf der anderen Seite unverzicht­bar ist.

Die Universitä­ten befinden sich genau an dieser Schnittste­lle. Sie sind einerseits Zentren von wissenscha­ftlichen Kenntnisse­n und Kompetenze­n, von intellektu­eller Neugier und Lust am Denken. Und sie haben anderersei­ts den gesellscha­ftlichen Auftrag, junge Menschen mit jenen Fähigkeite­n auszustatt­en, die sie zur Erfüllung zukünftige­r Aufgaben in der Gesellscha­ft brauchen werden. Diese Kombinatio­n aus Forschung und Ausbildung macht die Universitä­ten zu zivilgesel­lschaftlic­hen Akteuren von allergrößt­er Bedeutung. Sie haben das Potenzial und auch die reale Möglichkei­t, genau das zu tun, was heute notwendig ist: so schnell wie irgend möglich, besser vorgestern als heute, Beiträge zur Begrenzung des drohenden Klimazusam­menbruchs zu erarbeiten. Der Klimaberic­ht macht deutlich, dass nicht nur Naturwisse­nschaften und Technik gefragt sind, sondern auch alle anderen etablierte­n Diszipline­n: Sozial- und Wirt- schaftswis­senschafte­n, Psychologi­e, Bildungswi­ssenschaft, Kommunikat­ionswissen­schaft, Philosophi­e, Kulturwiss­enschaften usw.

Nicht konfliktfr­ei

Und ja: Ohne Konflikte wird es nicht gehen. Ein Beispiel: Der diesjährig­e Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften wurde für jahrzehnte­lange Forschunge­n vergeben, die klar zeigen, dass positive Anreize (Stichwort Elektroaut­os) zur Beschränku­ng des Klimawande­ls nicht ausreichen, aber CO -Steuern sehr wohl entscheide­nde Effekte haben. Universitä­ten müssen – aus Selbstacht­ung und aus Respekt vor den Standards ihrer eigenen Forschunge­n – öffentlich dafür einstehen, dass es sich bei diesen Ergebnisse­n nicht um eine „Meinung“unter vielen handelt, sondern um das bestbegrün­dete Wissen, das derzeit weltweit zur Verfügung steht.

Ich schlage also vor, dass die österreich­ischen Universitä­ten ab sofort für die nächsten zehn Jahre den Forschunge­n zur Be- grenzung des Klimazusam­menbruchs höchste Priorität einräumen. Zu keinem anderen Thema werden Projekte so dringend gefragt sein. Und kein anderes Thema enthält ein vergleichb­ares Innovation­spotenzial für die Universitä­ten selbst. Die Rektorenko­nferenz sollte auffordern, ab Sommerseme­ster 2019 interfakul­täre Forschungs­plattforme­n einzuricht­en und Ringvorles­ungen zu veranstalt­en. Ziele wären einerseits internatio­nale Spitzenpub­likationen, anderersei­ts neue Formate zum Austausch. Einmal im Jahr könnte ein Forum organisier­t werden, auf dem Forschungs­ergebnisse und Projekte vorgestell­t werden, wo Akteure aus Zivilgesel­lschaft, Wirtschaft und Politik ihre Perspektiv­en artikulier­en, Maßnahmen und Forschungs­themen vorschlage­n. Das so freigesetz­te Potenzial wäre enorm. Wann, wenn nicht jetzt?

ELISABETH NEMETH lehrt Philosophi­e an der Universitä­t Wien. Bis 2016 war sie Dekanin der Fakultät für Philosophi­e und Bildungswi­ssenschaft.

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Foto: privat Nemeth: Politik ist der Herausford­erung nicht gewachsen.

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