„Regeln müssen für alle gelten, egal wo man herkommt“
Vertrauen ist der Kitt der Demokratie. Populisten zeigen derzeit, wie leicht sich Gesellschaften spalten lassen. Der Verhaltensökonom Michael Kosfeld erklärt, wie wichtig Kontrolle ist, um Kooperation zu fördern.
JINTERVIEW:
ede Gesellschaft und jede Organisation besteht aus Kooperationswilligen und Trittbrettfahrern. Mit den richtigen Regeln und geeigneten Führungskräften lasse sich aber das Beste aus einer diversen Gruppe herausholen, sei es eine Firma oder eine ganze Nation, erklärt Michael Kosfeld. Mit ausgetüftelten Vertrauensspielen und Feldversuchen geht der Verhaltensökonom den Motiven menschlicher Zusammenarbeit auf den Grund. Vom Aufstieg rechter Populisten bis zum nahezu extremen Eifer mancher NGO-Unterstützer erklären urmenschliche Verhaltensmuster, wann es kracht und wann alle an einem Strang ziehen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Stimmt das? Kosfeld: Nein. Die ursprüngliche Bedeutung dieses russischen Sprichworts heißt übrigens: Vertraue, aber prüfe nach. Das zeigt wesentlich klarer, dass es nicht um einen Widerspruch geht, sondern darum, als ersten Schritt Vertrauen zu wagen. Das sollte nicht blind geschehen, aber für die Kooperation ist das wichtig, voreilige Kontrolle hat sogar negative Folgen, konnten wir zeigen.
Wie denn? Kosfeld: Wir haben dazu ein Kooperationsspiel gemacht. Jeweils zwei Personen, die einander nicht kennen, nehmen die Rollen eines Chefs und eines Mitarbeiters ein. Der Mitarbeiter erhielt rund 20 Euro, die er quasi als seinen Einsatz für die Firma zwischen sich und dem Chef aufteilen kann. Der Chef wiederum durfte, wenn er wollte, vorab ein bestimmtes Minimum von circa einem Euro festlegen, das der Mitarbeiter ihm geben muss.
Eine Kontrolle, damit der Chef keinesfalls leer ausgeht. Kosfeld: Genau. In unserem Experiment hat sich aber gezeigt, dass jene in der Rolle des Mitarbeiters freiwillig mit dem Chef teilen. Aber wenn der Chef vorher diese Kontrolle, das Minimum, festgelegt hat, gaben die Mitarbeiter im Schnitt viel weniger, als wenn man ihnen die Entscheidung vollkommen frei ließ. Das Minimum festzulegen wurde als Signal des Misstrauens wahrgenommen.
Was bedeutet das für Unternehmen? Kosfeld: Kontrollmaßnahmen können Leute demotivieren. Sie leis- ten dann weniger, das sind versteckte Kosten. Und wenn durch Kontrolle die Leistung sinkt, fühlen sich Chefs oft auch noch in ihrem Misstrauen bestätigt und greifen härter durch.
Aber blindes Vertrauen ist ja auch nicht gut? Kosfeld: Vertrauen birgt immer ein Risiko, man geht in Vorleistung. Wenn das Gegenüber nicht kooperiert, steigt man schlecht aus. Aber selbst Menschen, die von Natur aus vertrauensvoll sind, stellen Kooperation sofort ein, wenn das Gegenüber egoistisch ist. Aus der Forschung wissen wir, die Gruppen der Kooperativen und der Trittbrettfahrer sind etwa gleich groß.
Ein guter Chef sanktioniert also die Trittbrettfahrer? Kosfeld: Ja, in der Praxis reicht dazu oft ein Gespräch oder ein Hinweis. Es gibt den sogenannten „false consensus effect“, dass Menschen annehmen, ihr Verhalten sei allgemein im Betrieb oder in der Organisation gängig. Allein der Hinweis, „andere machen das nicht so“, kann sehr viel bewirken.
Stimmt das Klischee, dass Männer eher zu Ellbogentaktik neigen und Frauen kooperativer sind? Kosfeld: Eigentlich nicht. In unseren Versuchen haben wir gesehen, dass es davon abhängt, wie sympathisch das Gegenüber ist. Klar, gemeinsame Sympathie trägt zu Kooperation bei. Aber bei Frauen sinkt die Kooperation, wenn man sich nicht sympathisch ist, deutlich. Den Männern ist das hingegen egal, die kooperieren immer gleich viel.
Wenn man das alles aufs Politische überträgt, bei uns oder in den USA, kommen die richtigen Führungskräfte an die Spitze? Kosfeld: Ich befürchte manchmal nicht, wenn man sich etwa anschaut, dass die Amerikaner Donald Trump ins Amt gewählt haben. Wir wissen aber viel zu wenig, wie bestimmte Führungspersönlichkeiten an die Macht kommen. Hypothesen aus der Anthropologie deuten darauf hin, dass es zwei Wege zur Macht gibt: Prestige und Aggression.
Prestige ist klar. Wieso gelingt es, mit Aggression und Druck gewählt zu werden? Kosfeld: Es gibt Indizien, dass Gruppen dazu neigen, dominante und aggressive Anführer zu wählen, wenn sie im Konflikt mit einer anderen Gruppe stehen. Das lässt sich instrumentalisieren: So wie Trumps Narrativ „America First“, das vorgibt, man brauche Schutz und jemanden, der mal auf den Tisch haut.
STANDARD: Sind Demokratien da angreifbar? Kosfeld: Das sehen wir jetzt wieder. Nach dem Kalten Krieg dachte man, alles wird gut, aber dass es auch Gegenbewegungen gibt, wird uns jetzt wieder bewusst. Das Vertrauen in politische Institutionen ist gesunken.
STANDARD: Wenn etwa die AfD in Deutschland vor Migration aus fremden Kulturen warnt, weil dadurch das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft untergraben wird, schüren sie da nur Angst? Oder ist das berechtigt? Kosfeld: Ja mit dieser Angst wird gespielt, zum Teil ist sie auch berechtigt. Weil Menschen auf Fremdes misstrauisch reagieren. Das sieht man auch in der Forschung, wenn wir Vertrauensspiele machen und dabei den Teilnehmern ein Bild ihres Mitspielers zeigen. Kooperation klappt viel besser, wenn das Gegenüber so aussieht wie man selbst. Dazu kann man Bilder mit dem Computer schrittweise morphen. Da muss man gar keine ethnischen Merkmale einbauen, ich kann innerhalb einer Kultur bleiben und die Person einfach ähnlicher zum Spieler machen, das Vertrauen steigt. Das sind tiefe evolutionäre Mechanismen in uns.
Ein unüberwindbares Hindernis für Multikulti? Kosfeld: Nein. Der Mensch ist auf der Erde einzigartig darin, mit nichtgenetisch Verwandten zu kooperieren. Weil wir es schaffen, über Regeln und Institutionen dem Rahmen für Vertrauen einen Spielraum geben, auch über Unterschiedlichkeit hinweg.
Wie geht das in einer Gesellschaft, die sich verändert und deren Politiker sagen, wir müssen uns vor Fremden schützen? Kosfeld: Die Forderung ist utopisch. Wir leben schon lange nicht mehr in einer homogenen Gesellschaft. Die Pluralität nimmt heute zu, wir müssen uns ihr stellen.
Also selbst wenn man eingesteht, dass eine kulturelle Durchmischung das Vertrauen zunächst untergräbt, ist es kontraproduktiv, darauf herumzuhacken? Kosfeld: Absolut. Sogar rein ökonomisch betrachtet, ist Vielfalt gut. Diversität hat uns weiterge- bracht, sich im Kokon einzuschließen war langfristig nie erfolgreich. Mit den richtigen Institutionen überwindet man das Misstrauen.
Wie schauen die aus? Kosfeld: Wichtig ist eine politische Führung, die sicherstellt, dass Nichtmotivierte trotzdem kooperieren. Dazu braucht man Sanktionen. Dann werden grundsätzlich kooperative Menschen mit Vertrauen in Vorleistung gehen. Politik, Rechtsstaat, aber auch die Polizei müssen dafür sorgen, dass alle die Regeln des Systems einhalten, egal wo man herkommt.
Sie haben Vertrauensspiele auch mit Unterstützern von NGOs gemacht. Sind Wohltäter auch vertrauenswürdiger? Kosfeld: Wir haben Versuche mit Studenten gemacht, die wir fragten, wie sehr sie sich mit Zielen bestimmter NGOs wie Amnesty International identifizieren. Jene, die für Ziele der NGO einstanden, sind auch im Schnitt kooperativer. Wenn NGOUnterstützer wissen, dass ihr Mitspieler ihre Einstellung teilt, sind sie besonders großzügig. Aber wenn sie wissen, dass ihr Mitspieler der NGO gleichgültig gegenübersteht, schränken sie Kooperation stark ein. ihre sehr
Erklärt das, warum unsere Gesellschaft in der Migrationsfrage derzeit so stark gespalten ist? Kosfeld: Ja, das erklärt das auch. Unsere Kooperationsbereitschaft ist nicht konditionslos, sie ist zerbrechlich. Wenn etwas die Gesellschaft polarisiert, fördert das zwar die Kooperation in den Gruppen, unterwandert sie aber zwischen ihnen. Wir sollten versuchen, jenen, die vielleicht an ein älteres Bild der Identifikation mit einer Nation, einem Land gewöhnt sind, Sicherheit zu geben in einer Welt, in der diese Identitäten aufbrechen. Man muss das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellen.
Bei Frauen sinkt die Kooperation, wenn man sich nicht sympathisch ist, deutlich, bei Männern nicht.
MICHAEL KOSFELD (49) forscht am Institute of Labor Economicsundlehrtander Goethe-Universität-Frankfurt. Der Verhaltensökonom erforscht die Basis sozialer Interaktionen, die Psychologie von Anreizen und wie Vertrauen als Schmierstoff der Gesellschaft wirkt. Kosfeld führt Feldversuche bei äthiopischen Dorfbewohnern durch oder verabreicht Versuchsteilnehmern Hormone per Nasenspray. pLangversion pwww. derStandard.at/Wirtschaft