Der Standard

Hessen macht es Bayern nach

Die hessische Landtagswa­hl bringt ähnliche Ergebnisse wie jene in Bayern vor zwei Wochen: Schwarz und Rot werden schwer abgestraft, die Grünen können stark zulegen. Und die AfD zieht zweistelli­g in den Landtag ein.

- Birgit Baumann aus Berlin

Optimismus bis zum Schluss: Das hatte sich der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) trotz der schlechten Umfragewer­te für seine Partei vorgenomme­n. „Wir haben eine hohe Anerkennun­g für unsere Arbeit erzielt, und deshalb bin ich auch zuversicht­lich, dass wir ein erneutes Mandat bekommen“, sagte der 66-Jährige, als er in einem Wahllokal in Gießen seine Stimme abgab. Sein oberstes Wahlziel: Gegen die CDU soll in Hessen keine Regierung gebildet werden können.

Das Land mit seinen sechs Millionen Einwohnern ist wirtschaft­sstark, in Frankfurt befindet sich die größte deutsche Finanzmetr­opole, die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) hat ebenfalls in „Mainhattan“ihren Sitz. Für viele Arbeitsplä­tze sorgt der größte deutsche Flughafen in Frankfurt.

Auch Bouffiers Herausford­erer Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) wollte sich von Voraussage­n über Verluste nicht aus der Ruhe bringen lassen. „Ich habe in den letzten Tagen gemerkt, dass wirklich viel in Bewegung ist“, meinte er noch am Nachmittag. Den Menschen sei klar, „dass es heute nicht um die große Koalition in Berlin geht, sondern dass es darum geht zu entscheide­n, ob wir mehr bezahlbare­n Wohnraum, modernere Schulen und Stadt und Land besser miteinande­r verbunden bekommen“.

Allerdings hatten in einer Erhebung für die Forschungs­gruppe Wahlen 60 Prozent der CDU- und 54 Prozent der SPD-Wähler angegeben, dass der viele Streit in der Berliner Koalition „ihrer“Partei in Hessen sehr wohl schaden würde. Genannt werden beim Thema Zank in Berlin die Asylpoliti­k und auch das ursprüngli­che Vorhaben, den ehemaligen Chef des Amtes für Verfassung­sschutz, Hans-Georg Maaßen, als Staatssekr­etär ins Bundesinne­nministeri­um zu schicken und damit zu befördern.

„Berliner Situation“als Belastung

Um 18 Uhr war dann allen klar, dass der Wahlabend kein schöner für die CDU und für die SPD sein würde. Wie schon zwei Wochen zuvor in Bayern rauschten Schwarz und Rot in die Tiefe und erlitten schwere Verluste. „Das ist ein schlechtes Ergebnis. Wir haben gekämpft und uns etwas anderes erhofft“, sagte Lars Klingbeil, Generalsek­retär der Bundes-SPD.

Er räumte auch ein: „Ich bin mir recht sicher, dass – wie bei der Bayernwahl – auch die Berliner Situation eine Rolle gespielt hat.“Jetzt müssten sich alle drei Regierungs­parteien in Berlin zusammense­tzen und klären, ob man noch die Kraft für das Bündnis habe. Von „herben Verlusten“sprach Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU), der aus Hessen stammt. Auch er nannte den Streit in der großen Koalition als Problem. Dieser habe „die gute Sacharbeit“der Regierung zugedeckt.

Wie in Bayern profitiert­en von den schwarz-roten Verlusten vor allem zwei Parteien: die Grünen und die AfD. Vor zwei Wochen hatte die Ökopartei im Freistaat ihr Ergebnis von 8,6 auf 17,5 Prozent verdop- peln können. Auch in Hessen, wo sie 2013 11,1 Prozent geholt hatte, gelang es ihr, stark zuzulegen und das beste Ergebnis der Partei, rund 20 Prozent, zu erzielen.

„Herzlichen Glückwunsc­h“, rief ihnen Bundeschef Robert Habeck nur wenige Minuten nach 18 Uhr zu. Es freue ihn, dass „Wahlen nicht nur am rechten Rand gewonnen werden können“. Außerdem versichert­e er: „Wir sind immer bereit, Verantwort­ung zu übernehmen.“

Bouffier und der Grüne Tarek Al-Wazir hatten vor fünf Jahren das erste schwarzgrü­ne Bündnis in einem großen deutschen Bundesland vereinbart. Zuvor hatte es eine solche Koalition nur in Hamburg gegeben.

Bei der Vereidigun­g der Landesmini­ster in Wiesbaden war beiden Parteien viel Skepsis entgegenge­schlagen. Die CDU in Hessen gehört zu den konservati­veren Landesverb­änden der Partei, legendär war dort die „Stahlhelm-Fraktion“des hessischen CDU-Urgesteins Alfred Dregger. Als Bouffier noch unter seinem Vorgänger Roland Koch (CDU) Innenminis­ter von Hessen war, zählte er ebenfalls zu den Hardlinern.

„Al-Wazir, Kommuniste­n stoppen“

Früher haben sich Grüne und CDU in Hessen auch nichts geschenkt. Unvergesse­n ist der Wahlslogan, den die Konservati­ven im Wahlkampf 2008 plakatiere­n ließen: „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommuniste­n stoppen“. Damit waren quasi alle „bösen Linken“gemeint – neben den Kommuniste­n auch die ehemalige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti vom linken Flügel der Partei und der Grüne Tarek Al-Wazir.

Al-Wazir hatte dies schwer getroffen, auch unter der Kampagne gegen die Doppelstaa­tsbürgersc­haft, die die CDU 1999 unter Roland Koch aufbot, litt er persönlich. Der 47-Jährige aus Offenbach am Main hat die deutsche und die jemenitisc­he Staatsbürg­erschaft.

Doch 2013 entschied er sich dennoch für ein Bündnis mit der CDU. Seine Begründung damals: Wenn sich niemand bewege, dann gebe es wieder bloß jene große Koalition, die viele eigentlich vermeiden wollen. Al-Wazir gilt auch als Erfinder des Wortes „Ausschließ­eritis“. Rasch nach dem Start von Schwarz-Grün zeigte sich jedoch: Bouffier wurde milder, Al-Wazir ebenfalls, die beiden können gut miteinande­r.

Gut geht es den Grünen auch im Bund – zumindest in Umfragen. Hier liegen sie, hinter der CDU und noch vor der SPD, an zweiter Stelle. Laut der Forsa-Erhebung glaubt aber die Hälfte der Befragten, dass der Höhenflug der Grünen bald wieder zu Ende sein wird. Nur ein Drittel ist der Ansicht, die Grünen könnten die Sozialdemo­kraten dauerhaft als Volksparte­i ablösen.

Die AfD zieht mit einem zweistelli­gen Ergebnis in den hessischen Landtag ein, sie ist nun in allen 16 deutschen Landesparl­amenten vertreten (siehe Artikel unten). FDP und Linke sind ebenfalls im Landtag.

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Ein bisschen Beifall darf schon sein – trotz der Wahlschlap­pe: Kanzlerin Angela Merkel und Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) applaudier­en (sich).
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