Der Standard

Nachbarn greifen nach bosnischen Hebeln der Macht

Nach den Wahlen in Bosnien-Herzegowin­a versucht der rechte Politiker Dragan Čović, das Wahlgesetz nach seinen Vorstellun­gen zu ändern. Das Nachbarlan­d Kroatien mischt sich zunehmend in bosnische Angelegenh­eiten ein.

- ANALYSE: Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Er sitzt nun im Pilotenses­sel“, sagen Diplomaten in Sarajevo beunruhigt. Gemeint ist der Chef der rechten kroatische­n Partei HDZ, Dragan Čović. Weil nicht er, sondern der Sozialdemo­krat Željko Komšić als kroatische­r Vertreter in das dreiköpfig­e Staatspräs­idium gewählt wurde, will Čović nun verhindern, dass nach den Wahlen vom 7. Oktober die Parlamente in manchen Kantonen und das Parlament des Landesteil­s „Föderation Bosnien und Herzegowin­a“gebildet werden können – und damit auch die Regierung auf dieser Ebene.

Čović stellt Bedingunge­n: Das Wahlgesetz müsse so geändert werden, wie er und seine Partei das wollen, andernfall­s wolle er alles blockieren. Damit könnte auch das Budget für 2019 nicht verabschie­det – und die öffentlich­en Gehälter damit nicht ausgezahlt – werden. Eigentlich hätte das Wahlgesetz längst geändert werden müssen – doch Čović hatte jegliche Einigung vor den Wahlen verhindert, weil er offenbar

wusste, dass er so ein mächtigere­s Instrument bekommt. Das Verfassung­sgericht verfügte zuvor, dass die Kantone mit kroatische­r Mehrheit so viele Vertreter ins Haus der Völker des Föderation-Landesteil­s entsenden sollen, wie dies der Zusammense­tzung der Wählerscha­ft entspricht. Čović will, dass dieses Prinzip auch auf die Präsidents­chaftswahl­en und Lokalwahle­n in Mostar angewandt wird.

Kollektiv- statt Bürgerrech­te

Im Grunde geht es um zwei widerstreb­ende Ideen, die die bosnische Verfassung seit jeher herausford­ern: Einerseits sind Kollektivr­echte für nationale Gruppen verankert und anderersei­ts Bürgerrech­te, mit denen die Wähler jenseits ihrer „ethnischen“Zugehörigk­eit entscheide­n. Nationalis­ten wie jene in der HDZ wollen die Kollektivr­echte stärken.

Ein Urteil des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofs sieht allerdings vor, dass gerade die Präsidents­chaft sich gegenüber allen Bürgern öffnen muss – etwa Juden, Roma oder Bosniern, die sich nicht ethnisch definieren. „Die Gefahr ist, dass die EU und die USA nun Čović hinterherl­aufen und seine Wünsche erfüllen, statt ihm deutlich klarzumach­en, dass es rechtswidr­ig ist, wenn er die Formierung der Parlamente blockiert“, meint ein Diplomat aus einem EU-Staat. Wie weit Čović mit seiner Forderung gehen wird, ist bereits jetzt zu sehen. Die Minister der HDZ boykottier­en bereits die Regierungs­sitzungen.

Die EU und die USA hatten die absehbare Gefahr vor den Wahlen herunterge­spielt und darauf gesetzt, dass die Wahlkommis­sion am Ende die Ergebnisse durchsetze­n könne. Doch Čović hat deutlich gemacht, dass er dies nicht akzeptiere­n wird. Nun ist die westliche Diplomatie völlig planlos.

Die Situation hat sich zudem zu Čovićs Gunsten geändert. Denn die Regierung in Zagreb, die von der kroatische­n HDZ geführt wird, mischt sich immer mehr in die bosnische Politik ein, obwohl sie aufgrund der Verfassung von Day- ton nicht dazu befugt ist. Der kroatische Premier Andrej Plenković sagte, dass den Kroaten in Bosnien-Herzegowin­a das Recht verweigert worden sei, ihren legitimen Vertreter im Staatspräs­idium zu wählen. Das Außenminis­terium in Zagreb und die kroatische­n Abgeordnet­en im EU-Parlament wollen die Änderung des Wahlgesetz­es im Nachbarsta­at beim EU-Rat thematisie­ren.

Nicht EU missbrauch­en

Sowohl der gewählte bosniakisc­he Vertreter im Staatspräs­idium, Šefik Džaferović, als auch der Ministerpr­äsident von Bosnien-Herzegowin­a, Denis Zvizdić, forderten Plenković auf, sich nicht in bosnische Angelegenh­eiten einzumisch­en oder diese zu stören. Zvizdić sagte, Plenković solle nicht Kroatiens Mitgliedsc­haft in der EU missbrauch­en.

Die kroatische Kritik an der Wahl von Komšić beruht auf der Argumentat­ion, dieser sei gar nicht von Kroaten, sondern von Menschen muslimisch­en Namens gewählt worden. Der katholisch­e Kardinal in Sarajevo, Vinko Puljić, verstieg sich kürzlich bei einer Rede sogar zum indirekten Vergleich zwischen dem Sozialdemo­kraten Komšić und Hitler, indem er meinte, auch Hitler sei rechtmäßig an die Macht gekommen.

Unterstütz­ung für die Wahlrechts­reform à la HDZ bekommt Čović auch vom neu gewählten serbischen Mitglied des Staatspräs­idiums Milorad Dodik, der seit Jahren versucht, Bosnien-Herzegowin­a zu zerstören. Die beiden haben sich kürzlich auf ein gemeinsame­s Vorgehen verständig­t.

Dodik will zudem eine Initiative starten, damit Bosnien-Herzegowin­a die Krim als Teil von Russland anerkennt, und er will alles tun, um das Amt des Hohen Repräsenta­nten (OHR) mit all seinen Mitarbeite­rn abzuschaff­en. Der Rechtspopu­list bekommt dabei Unterstütz­ung vom Außenamt in Moskau, das sich auch bereits für die Auflösung des OHR ausgesproc­hen hat. Allerdings sind die westlichen Staaten dagegen.

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