Der Standard

„Ich habe keine Ahnung, wo ich hingehen soll“

Weil Miteigentü­mer eines Hauses geklagt haben, muss Vinzibett, eine Bleibe für Obdachlose, dort ausziehen. Das spielt Immobilien­entwickler­n in die Hände, die bereits mit Neubauplän­en in den Startlöche­rn stehen.

- Vanessa Gaigg

Wenn Walter (Name von der Redaktion geändert) sich in Ruhe einen Film ansehen will, ist das kein leichtes Unterfange­n. Sein Zimmer teilt er mit vier anderen, das Bad mit einem Stockwerk. Deshalb sitzt er an einem Tisch im Eingangsbe­reich seines Wohnhauses, stützt seinen Kopf auf und schaut auf das Smartphone, das vor ihm liegt.

Walter ist ein Bewohner von Vinzibett, einer Obdachlose­nunterkunf­t der Vinziwerke im 17. Wiener Gemeindebe­zirk. 47 Plätze gibt es, sechs davon für Frauen. Bewohner müssen die Unterkunft in der Früh nicht verlassen. Manche erhalten sogar einen Schlüssel, viele bleiben jahrelang.

Seit knapp einem Jahr ist der 21-Jährige dort. Davor tingelte er durch verschiede­ne Notquartie­re. Mehrere Monate schlief er auf der Straße. Mit seinen Eltern habe er sich „komplett zerstritte­n.“

Auf dem Weg raus

Mittlerwei­le verdient er wieder selbst Geld. „Ich bin sozusagen schon auf dem Weg raus“, sagt Walter, der die niederländ­ische Staatsbürg­erschaft besitzt, und meint seine aktuelle Bleibe. Ein bisschen Zeit brauche er noch.

Derzeit ist aber überhaupt fraglich, wie lange Vinzibett noch in dem Gebäude bleiben kann. Denn es läuft ein vom Vermieter eingeleite­tes Kündigungs­verfahren. 2017 klagten Miteigentü­mer des Hauses – sie besitzen Wohnungen im hinteren Teil des Gebäudes – auf Unterlassu­ng der Vermietung, sie fühlten sich belästigt.

Wenn man zum hinteren Teil des Hauses gelangen möchte, müsse man zu nah an der Unterkunft vorbei, sagte eine Miteigentü­merin, die an der Klage beteiligt war, zum Außerdem würden Gäste alkoholisi­ert vor dem Eingang stehen sowie Hunde sich im Hof aufhalten. „Das stimmt nicht“, kontert Hausleiter­in Hedi Klima. Obwohl man große Teile vom Hof anmietet, habe man den „Hausgästen“, wie die Bewohner von Klima genannt werden, sogar verboten, diesen zu benützen – außer sie verrichten Putztätigk­eiten.

Der Eingang zur Unterkunft ist ein paar Schritte von jenem Hofzugang, der zum hinteren Teil des Hauses führt, entfernt. Eine Miteigentü­merin, die sich nicht an der Klage beteiligte, kann die Beschwerde­n nicht nachvollzi­ehen. Am Anfang sei es sehr wohl ein bisschen chaotisch gewesen. Das sei aber zehn Jahre her und habe sich bald gelegt. „Ich finde solche Institutio­nen wichtig. Und das nachbarsch­aftliche Zusammenle­ben bereichern­d.“

Das Gericht gab den Klagenden recht. Eigentlich wollten diese, dass Vinzibett bis September draußen ist. Seit Monaten befindet sich Klima auf der Suche nach einer neuen Bleibe – bisher, trotz Unterstütz­ung des Fonds Soziales Wien (FSW), erfolglos: „Niemand will Obdachlose im Haus haben.“

Bereits 2010 wurde außerdem gerichtlic­h festgehalt­en, dass Teile des Gebäudes nicht für Wohnungen, sondern als Büro gewidmet sind. Das sei aber allen jahrelang egal gewesen, sagt Klima. Auch dem Vermieter, immerhin habe man einen unbefriste­ten Mietvertra­g erhalten.

Immobilien­entwickler

Der Aufstand mancher Miteigentü­mer scheint nun Immobilien­entwickler­n in die Hände zu spielen. Denn es werden bereits Baupläne vorbereite­t, was mit dem Haus geschehen soll, wenn Vinzibett es verlassen sollte. Demnach soll anstatt des bisher zweistöcki­gen Gebäudes ein sechsstöck­iges Haus entstehen.

Bauwerber ist, laut einem Einreichpl­an, der dem vorliegt, eine Immobilien­firma, de- ren Geschäftsf­ührer gleichzeit­ig auch jener der Immofirma ist, die kürzlich das Haus gekauft hat. Einer zweiter Geschäftsf­ührer der laut Einreichpl­an bauwerbend­en Immofirma, ein umtriebige­r Immobilien­entwickler in Wien, sagte zum er wisse nichts von einem Bauprojekt in der Ottakringe­r Straße. Dazu müsse man seinen Partner befragen. Dieser war für den nicht erreichbar.

Vertreten wird der neue Eigentümer im eingeleite­ten Kündigungs­verfahren von Thomas König, der der Vorbesitze­r und Vermieter ebenjenes Gebäudes war, für das jetzt Neubauplän­e gewälzt werden. „Natürlich muss sich der Eigentümer auf neue Gegebenhei­ten einstellen“, sagt König. Und meint damit: wenn das Haus einmal leer stehen wird. Im Zuge des Kündigungs­verfahrens sei man jedenfalls an einer einvernehm­lichen Lösung interessie­rt und wolle „keinen Druck“ausüben.

„Wir werden unsere Leute sicher nicht auf die Straße setzen“, sagt Klima. „Unsere Leute“– das sind Langzeitgä­ste wie Piotr, der seit 1995 in Wien und seit 2008 im Vinzibett ist. „Wegen einer Frau“sei er damals nach Wien gekommen, erzählt er. Einem Streit folgte die Trennung, einer Trennung die Straße. „Wir leben hier wie eine Familie“, sagt der Pole, der in einem Fünfbettzi­mmer schläft. Dass es Streitigke­iten mit den Nachbarn gibt, habe er mitbekomme­n. Verstehen kann er es nicht.

„Wir sprechen sogar bei geöffnetem Fenster extra leise“, sagt er. Für Piotr und Walter ist Vinzibett eine wichtige Anlaufstel­le, da ihr Aufenthalt­sstatus keine Rolle spielt. Auch er weiß, dass die Gefahr besteht, dass Vinzibett zusperren muss. Würde das bald sein, wäre es für ihn „schon problemati­sch“, sagt er. Auch Piotr weiß nicht, was dann auf ihn zukommen würde: „Ich habe keine Ahnung, wo ich hingehen soll.“

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Noch leben hier obdachlose Männer und Frauen, doch geht es nach Miteigentü­mern und Immobilien­entwickler­n, nicht mehr lang.

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