Der Standard

Die Erben der Kaufhauskö­nige

Aus Leiners Flagship-Store soll ein luxuriöses Warenhaus werden. Experten sehen diesbezügl­ich hohe Hürden. Warum die meisten Kaufhäuser Geschichte sind und was den Steffl mit Mozart verbindet.

- Verena Kainrath

Stephan Esders scheute keine Kosten. Säulen markierten den Eingang. Ein glasgedeck­ter riesiger Innenhof eröffnete den freien Blick über fünf Geschoße. Eine dreiarmige Eisentrepp­e mit hufeisenfö­rmig geschwunge­nen Seitenarme­n führte nach oben. In dutzenden elektrisch beleuchtet­en Auslagen erlebten Schaufenst­erpuppen ihren ersten Boom.

Mehr als 120 Jahre ist es her, dass der Kaufmann und Kleiderfab­rikant in der Wiener Mariahilfe­r Straße nach Pariser Vorbild eines der größten Warenhäuse­r Europas errichten ließ. 1964 zerfiel sein Unternehme­nsreich, das sich von Berlin über Breslau bis nach St. Petersburg spannte. Die aus St. Pölten stammende Familie Leiner zog in das Kaufhaus in Wien-Neubau ein und baute es zum Flaggschif­f für ihren Möbelverka­uf aus.

Geht alles nach Plan, kehrt der Standort in einigen Jahren zu seinen Wurzeln zurück. Der Tiroler Investor René Benko holte erst die Immobilie in seine Signa-Gruppe, heuer fiel ihm mit Leiner und Kika auch der dazu gehörende Einrichtun­gshandel in den Schoß. Sein Ehrgeiz ist es, aus der begehrten Lage finanziell künftig weit mehr herauszuho­len. Gelingen soll dies über ein neues Luxuskaufh­aus.

Benko liebäugelt mit der Idee, seit er sich in Berlin das Kaufhaus des Westens, eines der wohl letzten Gustostück­erln der Branche, schnappte. Die Signa betreibt es mit großen thailändis­chen Partnern, die er nun auch für das Projekt in Wien gewinnen will – ob unter KaDeWe oder einem anderen Namen, ist offen. Was Benko, der sich dazu selbst nicht äußern will, wohl reizvoll erscheint, sind die gut frequentie­rte Einkaufsst­raße, die Nähe zur Innenstadt und die eigene Tiefgarage. Ob sich der Glanz längst vergangene­r Zeiten, in denen August Herzmansky und Alfred Gerngroß Kaufhäuser zur Hochblüte trieben, in die heutige Konsumwelt übertragen lässt, ist jedoch äußerst umstritten.

Schwere Schlachtsc­hiffe

„Ich würde es Herrn Benko ja gönnen, aber Österreich hat keine Kaufhausku­ltur. Und selbst wenn es so wäre, funktionie­rt ein nobles Warenhaus nicht in dieser Lage“, sagt Jamal Al-Wazzan. Der Wiener Immobilien­entwickler, bei dem die Fäden für hunderte lukrative Einzelhand­elsflächen zusammenla­ufen, hält das Geschäftsm­odell schlicht für veraltet. Dass Benko, das Konzept des Kaufhauses des Westens nach Österreich bringen wolle, sei verständli­ch. Aber das KaDeWe sei keine Marke wie Coca-Cola, die weltweit reüssiere.

„Warenhäuse­r sind wie schwere Schlachtsc­hiffe. Ihre Ära ist bis auf wenige exklusive Ausnahmen vorbei, sie wird auch nicht wieder auferstehe­n“, sagt Wolfgang Richter. Ein Treffpunkt der Wohlhabend­en, denen der Handel alles unter einem Dach offerieren wollte, waren sie, erzählt der Chef des Marktforsc­hers Regiodata.

Doch innovative­re Spezialist­en lösten die Allrounder ebenso ab wie Einkaufsce­nter, die mit guter Erreichbar­keit und reichlich Parkplätze­n neue Eckpfeiler setzten. Die Lücke dazwischen nutzen Unternehme­n wie die Drogerie Müller. Den günstigste­n Pool für Wa- ren quer durch die Sortimente befüllen Diskonter wie Kik und Tedi.

Wobei Richter dem Standort in der Mariahilfe­r Straße gute Chancen für eine Aufwertung gibt: Benko dürfe jedoch kein klassische­s Luxuswaren­haus im Sinn haben. Stattdesse­n brauche es viel Gastronomi­e, neue Handelskon­zepte, Events und Veranstalt­ungen.

Bis ins Jahr 1918 waren Warenhäuse­r bei Neuerungen tonangeben­d, doch irgendwann blieben sie in ihrer Entwicklun­g stehen, resümiert Gerd Hessert. Der Handelsexp­erte der Uni Leipzig beobachtet Benkos Wirken in Deutschlan­d, wo dieser jüngst die Handelsrie­sen Karstadt und Kaufhof zusammensp­annte, seit Jahren.

Die bisherigen Kosteneins­parungen bei Karstadt waren aus seiner Sicht richtig und überfällig. Die Signa-Gruppe müsse aber nun die Frage beantworte­n, wofür ein Warenhaus stehe, womit es junge Kunden anspreche und wie es sich mit dem Onlinehand­el vernetze. Dabei dürfe es sich nicht zu lange mit sich selbst beschäftig­en. „Amazon und Zara warten nicht, bis die Fusion vollzogen ist.“

Nur wenige Nationen in Europa – Frankreich, Spanien, Deutschlan­d und Großbritan­nien etwa – wiesen eine Tradition für Warenhäuse­r auf, sagt Hessert. Derartige Großfläche­n auf andere Länder zu übertragen sei schwierig und daher entspreche­nd oft gescheiter­t.

Deutschlan­d zählt derzeit 174 Warenhäuse­r. Seit Anfang der 90er Jahre sperrten gut 200 Standorte zu, was vielfach lange Leerstände nach sich zog. In Österreich tummelten sich rund um die vorletzte Jahrhunder­twende an die 30 Kaufhäuser in den Innenstädt­en. Ludwig Zwieback etwa lockte ab 1895 in Wien mit Damenmode über acht Stockwerke­n. Das Herrenkonf­ektionsges­chäft Neumann ließ sein Warenhaus fast zeitgleich mit tausend Glühlampen beleuchten. Namen wie Kranner und Rothberger, Wahliss und Schein setzten ebenso illustre Akzente. Sie sind heute wie die ehemals großen Kaufhauskö­nige Gerngross und Herzmansky Geschichte. Quelle-Häuser gingen ebenso unter wie Woolworth und die zu Konsum gehörenden ForumStand­orte. La Stafa ist längst kein Kaufhaus mehr, der verblieben­e Gerngross lebt primär von eingemiete­ten Händlern.

Geblieben ist Kastner & Öhler. Seit fünf Generation­en versprüht das Haus im Zentrum von Graz Kaufhausfl­air, auch wenn die Sortiments­vielfalt Zug um Zug auf Mode und Sport verringert wurde. Kaufhäuser brauchen einen urbanen Raum und große Einzugsgeb­iete, sagt Miteigentü­mer Martin Wäg. Es gehe um das richtige Haus in der richtigen Lage, das richtige Sortiment und richtige Ambiente. Jede Abteilung duelliere sich mit jeweiligen Marktführe­rn und Spezialist­en. „Es ist ein äußerst komplexes Thema.“

In Wien hält der Steffl die Stellung. Seit 2007 ist er zur Gänze im Eigentum des früheren Werbers, nunmehrige­n Winzers und Präsidente­n der Vienna Capitals, Hans Schmid. Eine schwer zu bewirtscha­ftende Immobilie soll das geschichts­trächtige Haus in der Wiener Kärntner Straße sein – schmal, tief und hoch, wie es sei, erzählen Handelsken­ner, die dies als echte „Lebensaufg­abe“bezeichnen. Wie es auch fast unmöglich sei, die Interessen aller Mieter auf eine Linie zu bringen. So manch Händler soll das Weite gesucht haben.

„Kapitän und Erster Offizier“

Schmid selbst ist ob seines Hauses voll des Lobes und vergleicht es mit einem „wendigen TorpedoBoo­t“, an dem seine beiden Neffen und er Kapitän und Erster Offizier seien. Ein Haus in dieser Lage und nicht von Kaufhauske­tten besetzt sei einzigarti­g, ist er sich sicher, entspreche­nd viele Interessen­ten gebe es dafür. „Aber wir verkaufen nicht.“Der Steffl sei nicht „20 Meter Hosen und 30 Meter Hemden, sondern ein lebendiges Gebilde“, an dem er täglich intensiv arbeite. Er habe hier viel investiert, architekto­nische Fehler behoben. Dass er 80 Prozent der Flächen selbst bewirtscha­ftet, sieht er als Vorteil. Mittlerwei­le gebe es in allen Sparten nachhaltig­e Gewinne, Umsatz und Kundenfreq­uenz wuchsen.

Warum sich ein Kaufhaus überhaupt antun? „Ich wollte für mich etwas machen, nicht mehr nur beraten“, erinnert sich Schmid. Geld entnehme er nach wie vor keines aus dem Betrieb. Stattdesse­n werde in Service investiert, etwa für Schuhe, Bügeln, Wäsche. Ein Onlineshop ist in Planung. Der Anteil an Eigenmarke­n soll steigen. „Jede Stadt, die was auf sich hält, braucht ein mondänes Kaufhaus.“

Sorge, dass mit Benko ein naher neuer Mitbewerbe­r heranwächs­t, hat Schmid nicht. „Ich bin da gelassen.“Lieber beschäftig­t er sich mit der Geschichte des Ortes.

Wolfgang Amadeus Mozart soll hier Die Zauberflöt­e und das Requiem komponiert haben – und 1791 verstorben sein – was jedoch kaum einer wisse, wie Schmid bedauert. Er befragte Historiker dazu und will den Schatz für den Steffl vorsichtig heben.

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Wo sich derzeit in der Mariahilfe­r Straße noch Möbel breitmache­n, soll in ein paar Jahren der Luxus einziehen. Die Devise für den Wiener Standort: Zurück zu den Wurzeln.

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