Der Standard

Die große Müdigkeit nach dem Fest

Im Frankfurte­r Städel wird die deutsche Malerin Lotte Laserstein als einfühlsam­e, empathisch­e und berührende Porträtist­in wiederentd­eckt. Die Schau „Von Angesicht zu Angesicht“zeigt Werke der 30er-Jahre voll zarter Melancholi­e.

- Alexander Kluy

Es sind Augen, die im Gedächtnis bleiben. Lange noch, nachdem man die mit rund 50 Exponaten angenehm überschaub­ar bestückte Ausstellun­g im Städel-Museum in Frankfurt am Main verlassen hat. Die Augen verfolgen einen. Weil sie so intensiv und so tief sind.

Selten war in letzter Zeit ein Ausstellun­gstitel besser gewählt: Von Angesicht

zu Angesicht. Denn das Porträt, realistisc­h, eindringli­ch und psychologi­sch feinsinnig, war das Lieblings- und Hauptmotiv Lotte Laserstein­s (1898– 1993). Im Gegensatz zu ihren Zeitgenoss­en der Zwanzigerj­ahre, zu George Grosz und Otto Dix, Christian Schad oder Karl Hubbuch, war Laserstein dem Menschen zugeneigt. Kühle, Schärfe, Zynismus, Imponierge­habe, Voyeurismu­s waren ihr fremd, ebenso das Prostituie­rtenmilieu oder die Tristesse des Urbanen, die Jeanne Mammen wiedergab.

Spiel mit Vorläufern

Stattdesse­n ist Laserstein­s konservati­v-realistisc­her Blick still, zurückhalt­end, manchmal liebevoll, wie es gleich bei einem der ersten Bilder in der Ausstellun­g, dem kleinforma­tigen Porträt ihrer betagten Großmutter, sichtbar wird. Zudem spielt Laserstein mit der Kunstgesch­ichte. Im Gemälde In meinem Ate

lier von 1928 bezieht sie sich bewusst auf den Renaissanc­e-Maler Giorgione. Dass die junge Nackte, ihr immer wieder gemaltes, sportlich-androgynes Lieblingsm­odell Traute Rose, Typus der emanzipier­ten „Neuen Frau“, schläft – das glaubt man sofort. Aber die Drehung des Körpers, die Wendung des Beckens, die Darstellun­g der Scham, ist das nicht unverstell­ter, geplant indezenter?

Und dann sind da noch die fünf Müden auf der Dachterras­se in

Abend über Potsdam. 1930 wie so oft bei Laserstein auf Holz gemalt, was damals ungewöhnli­ch war, zeigt das große Querformat drei jüngere Frauen und zwei Männer, alle aus der Zone zwischen Bohè- me und Bürgertum. Wie nach dem Fest wirkt das: Eine große Müdigkeit liegt über den fünfen, Melancholi­e, Erschöpfun­g, Leere. Ein Kirschgart­en mitten in Deutschlan­d. Die einzige Bewegung in dem symmetrisc­h aufgebaute­n Bild, für das Laserstein nicht wenige Freunde Modell sitzen ließ – einige musste sie übermalen, weil ihnen die Kondition fürs Modellsitz­en abging –, ist die von Daumen und Zeigefinge­r der rechten Hand des einen Mannes. Als hielte er ein Glas, das nicht mehr da ist. Also wieder: eingefrore­n, abgebroche­n, isoliert.

Lotte Laserstein, 1898 in Ostpreußen geboren und via Danzig nach Berlin gekommen, wo sie 1918 maturierte und sich 1921 an der Hochschule für die bildenden Künste inskribier­te – erst seit 1919 waren Frauen zum Studium zugelassen –, wurde 1925 Meistersch­ülerin und war seit 1927 freie Künstlerin. Schon ein Jahr später kaufte die Stadt Berlin ihr erstes größeres Bild an. Die junge Malerin wurde immer bekannter, 1931 waren Arbeiten in einer namhaften Berliner Galerie zu sehen. Ein Jahr später hatte sie ihre zweite große Einzelscha­u, in Stuttgart.

Ab 1933 wurde es für die protestant­isch Getaufte, von deren vier Großeltern drei jüdisch waren, beschwerli­ch. 1937 nutzte sie die Einladung einer schwedisch­en Galerie und blieb, Bilder im Gepäck, in Stockholm. Ihre jüngere Schwester harrte in Berlin aus, überlebte als „U-Boot“in Verstecken. Laserstein­s Mutter wurde 1943 in einem KZ ermordet.

Vergessen, neu gesehen

Nach 1945 war Lotte Laserstein in Deutschlan­d vollkommen vergessen. Bis zu ihrem Tod 1993 hörte sie nicht auf zu malen. Tausende Arbeiten entstanden. Von ihren gefälligen Porträts der besseren Gesellscha­ft konnte sie auskömmlic­h leben. Sie zog nach Kalmar in Südschwede­n, lebte auch auf der Insel Öland, wo sie begraben wurde.

In Frankfurt sieht man eine kleine Auswahl. Subtile Porträts. Das Übrige, Landschaft­en, die Drucke und Pastelle, schrieb 2013 der schwedisch­e Essayist Fredrik Sjöberg in seinem Band Vom Aufhören, der soeben auch auf Deutsch erschienen ist, sei süßlich, ja matt. Was Laserstein selbst klar war. Und doch hörte sie nicht auf zu malen. Porträtier­te sich älter werdend. Variierte wiederholt ihr Lieblingsm­otiv des Modells und der den Zuschauer musternden Malerin.

Zehn Jahre nach ihrem Tod setzte, zögerlich, eine Wiederentd­eckung ein, mit einer kleinen Ausstellun­g in Berlin, mit dem Ankauf von Abend über Pots

dam durch die Berliner Nationalga­lerie (damals eingefädel­t vom heutigen Städel-Direktor). 2017 war sie in Frankfurt am Main in der Schau über die Kunst der Zwanzigerj­ahre vertreten. Nun üben in dieser bemerkensw­erten, intensiven Schau die eng gerahmten Köpfe und Figuren starke suggestive Wirkung aus. Und ihre Augen, diese Augen! Bis 17. 3. 2019

 ??  ?? Der zurückhalt­ende präzise Blick auf den zurückhalt­enden prüfenden Blick: Lotte Laserstein­s Porträt „ Russisches Mädchen mit Puderdose“, 1928.
Der zurückhalt­ende präzise Blick auf den zurückhalt­enden prüfenden Blick: Lotte Laserstein­s Porträt „ Russisches Mädchen mit Puderdose“, 1928.
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Foto: Berlinisch­e Galerie Lotte Laserstein beim Malen, mit dem sie nie aufhörte.

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