Kriechbaums lebendiger Organismus
Die Durststrecke der ÖSV-Damen im RTL wurde auch in Sölden prolongiert. Für Damen-Cheftrainer Jürgen Kriechbaum kein Grund zum Pessimismus. Das Herrenrennen musste erneut abgesagt werden.
Manchmal kann man auch mit kleineren Brötchen ein Auslangen finden, dann nämlich, wenn sie ausreichend vorhanden sind. So gesehen kann das Abschneiden der ÖSV-Damen beim Weltcupauftakt am Samstag in Sölden, als mit der Ex-aequo-Fünften Stephanie Brunner nur eine unter den Top 15 abschwang, positiv bewertet werden, weil junge Hoffnungen wie Katharina Liensberger (16.), Katharina Truppe (17.) und Stephanie Resch (19.) just auf dem selektiven Hang auf sich aufmerksam machten.
Daher bilanziert auch DamenCheftrainer Jürgen Kriechbaum positiv, auch wenn arrivierte Läuferinnen wie Anna Veith (20.) und Eva-Maria Brem (24.) die Erwartungen nicht erfüllten. Der 51-Jährige ortet ein „sehr positives Zeichen für unsere Arbeit“, zumal nicht weniger als acht unter den besten 25 waren. „Man sieht, dass wir wieder eine mannschaftliche Geschlossenheit erreichen. Klar, Sölden-Siegerin Tessa Worley, die Zweite Federica Brignone, die Dritte Mikaela Shiffrin und Viktoria Rebensburg sind große Kaliber, die muss man erst einmal biegen.“
Die Abräummentalität dieser Athletinnen soll sich jedoch nicht zermürbend auf die ÖSV-Frauen auswirken. „Jeder Sportler kennt seinen Leistungsstand und weiß, ob er von seinem Potenzial auf oberstem Level fahren kann. Es hängt davon ab, auf welchem Niveau man sich befindet.“Dies diene zur Orientierung. „Leistungen muss man immer relativieren“, sagt der frühere Lehrer. Gemeinsame Trainings sollen dabei helfen, Niveauunterschiede zu minimieren.
Dazu brauche es natürlich auch Geduld, eine gewisse Risikofreudigkeit und einen Mix aus vielen Komponenten, die zusammenpassen und immer wieder optimiert werden müssen. Man solle seinen Weg gehen, nach Möglichkeit mit den Kollegen, weil es in guter Atmosphäre besser funktioniere. „Man muss schauen, die Räder stets in die richtige Richtung zu drehen“, sagt der Wahltiroler.
#MeToo ein Thema
In einem großen Team bestehe aber auch die Gefahr, dass es zu Meinungsverschiedenheiten und Spannungen kommt. „Ein Team ist wie ein lebendiger Organismus, je größer es ist, umso mehr Einflussfaktoren gibt es. Wenn man es schafft, all diese Dinge in eine Richtung zu lenken, dann kann eine Basis für eine gute Leistung geschaffen werden.“Für Trainer und Betreuer sei es eine ganz wichtige Angelegenheit, diese Spannungsmomente schon im Entstehen zu erkennen und sofort zu bearbeiten. „Egal ob es die MeToo-Debatte ist oder irgendwelche anderen Einflüsse sind.“
Die durch Nicola Werdenigg ins Rollen gebrachten Missbrauchsvorwürfe waren und sind daher selbstverständlich auch ein The- ma. Unangenehm sei gewesen, dass sowohl Läuferinnen als auch Trainer zu gewissen Dingen Stellung beziehen mussten, zu denen sie keinen Bezug hatten. „Natürlich haben wir uns über die aktuellen Arbeitsverhältnisse zwischen Trainern und Athletinnen Gedanken gemacht, damit wir unbeeindruckt von den derzeitigen Diskussionen eine optimale Per- formance erzielen können.“Das Team sei aber stark genug, um damit umzugehen. „Wir wollen uns auf den Rennsport konzentrieren und den in einer fortschrittlichen Art und Weise praktizieren.“
In Sachen Fortschritt sah es im Riesentorlauf zuletzt eher düster aus. Der letzte ÖSV-Sieg datiert aus dem Jahr 2016, als Eva-Maria Brem in Jasna gewann und später auch kleines Kristall holte. 2017/18 gab es keine einzige Podiumsplatzierung, vierte Plätze von Brunner in Sölden und Ricarda Haaser in Ofterschwang gaben Anlass zur Hoffnung. „Aufgrund von Rücktritten und Verletzungen ist ein Loch entstanden, das kann man nicht so schnell stopfen.“
Dabei behilflich ist Stephanie Brunner, die sich mit acht Topfünf-Resultaten in der Weltspitze etabliert hat und trotz ihres im Frühjahr erlitten Kreuzband- und Meniskusrisses drauf und dran ist, den nächsten Schritt zu setzen. „Wir haben mit Brunner, Veith, Brem, Haaser vier Läuferinnen, die aus meiner Sicht in absehbarer Zeit erstmals oder wieder am Stockerl stehen werden.“
Herrenrennen kein Thema
Bei den Herren stand am Sonntag wie auch schon im letzten Jahr niemand auf dem Podium, der Riesentorlauf musste zum bereits zweiten Mal en suite gestrichen werden. Große Mengen an Neuschnee und starker Wind führten zur Absage. Weiter geht’s Mitte November mit Slaloms in Levi (FIN).