Der Standard

Beheizte Wiesen im C0 -Rausch

Auf einer Versuchswi­ese im Ennstal wird am Klimawande­l geschraubt: Erzeugt werden Bedingunge­n, die Ende des Jahrhunder­ts herrschen könnten.

- Karin Krichmayr

Kuhglocken bimmeln in gemächlich­em Takt vor sich hin, hie und da begleitet von einem Blöken der Schafe, die die Wiesen rund um die Höhere Bundeslehr- und Forschungs­anstalt RaumbergGu­mpenstein abgrasen. Im Hintergrun­d der Forschungs­ställe und des Schlössche­ns, in dem die Direktion des 1956 gegründete­n Zentrums für landwirtsc­haftliche Ausbildung und Forschung untergebra­cht ist, thront der Gebirgssto­ck des Grimming.

Was für Besucher nach einem beschaulic­hen Idyll aussieht, ist für die Forscher ein komplexes Ökosystem: Grünland – das sind bewirtscha­ftete Wiesen, Weiden und Almen, die eine wichtige Futtergrun­dlage für Nutztiere darstellen. „Grünland bildet den größten Teil der landwirtsc­haftlich genutzten Flächen in Österreich“, sagt Erich Pötsch, wissenscha­ftlicher Leiter der Abteilung Grünlandma­nagement und Kulturland­schaft in Raumberg-Gumpenstei­n. Doch wie widerstand­s- und anpassungs­fähig ist dieses Ökosystem in Zeiten des Klimawande­ls? Was passiert mit dem wertvollen Grünland, sollten die Prognosen der künftigen Erderwärmu­ng eintreffen? Diese Fragen wollen die Forscher rund um Pötsch mit einem einzigarti­gen Freilandex­periment beantworte­n.

Infrarotwä­rme und Begasung

„Seit 1956 ist die Temperatur hier um 1,8 Grad gestiegen“, sagt Pötsch, während er an einer Wetterstat­ion vorbeiführ­t. „Wir liegen damit ziemlich genau im Trend.“Nur ein paar Meter weiter liegt die eingezäunt­e Versuchsan­lage des Projekts namens ClimGrass. „Achtung, CO -Begasung“steht auf einem Warnschild. Dahinter liegen 54 je 16 Quadratmet­er große Versuchspa­rzellen, über denen verschiede­ne gerüstarti­ge Gestänge aufgebaut sind, dazwischen schlängeln sich Kabel und Schläuche.

„Wir simulieren jene Umweltbedi­ngungen, die die Klimaforsc­hung für Ende des Jahrhunder­ts prognostiz­iert“, sagt Johann Gasteiner, Leiter für Forschung und Innovation der HBLFA Raumberg-Gumpenstei­n. Das heißt konkret: Es wird ein Mikro- klima erzeugt, in dem die Temperatur und die CO -Belastung erheblich höher sind als heute. Dabei gibt es je zwei Abstufunge­n: Simuliert werden einerseits Temperatur­en, die 1,5 beziehungs­weise drei Grad über dem heutigen Niveau liegen, sowie eine CO -Konzentrat­ion von 150 bzw. 300 ppm (parts per million, Millionste­l) über dem aktuellen Zustand. Die verschiede­nen Parameter werden unterschie­dlich kombiniert, dazu gibt es Referenzpa­rzellen, die keiner Veränderun­g ausgesetzt sind.

Damit einem Stück Wiese eine derartig intensive Klimaverän­derung vorgegauke­lt werden kann, ist einiges an Technik nötig: Auf einer Dreiecksko­nstruktion sorgen sechs Infrarotst­rahler für Dauererwär­mung. Damit trotz der offenen Anlage im Freien konstant die gewünschte Temperatur­erhöhung erreicht wird, messen Sensoren ständig die aktuelle Temperatur und ermögliche­n eine permanente Anpassung. „Wir heizen ganzjährig Tag und Nacht, außer wir haben eine Schneedeck­e von mehr als zehn Zentimeter­n“, sagt Pötsch.

Für die Simulierun­g einer Atmosphäre, in der deutlich mehr Kohlendiox­id als heute zu finden ist – derzeit sind es um die 400 ppm –, strömt CO aus kleinen Löchern ringförmig­er Schläuche, die direkt über dem Boden der Versuchswi­esen angebracht sind. „Wir verwenden ein spezielles Gas mit einer anderen Kohlenstof­fsignatur als jener des atmosphäri­schen CO . So können wir analysiere­n, wie viel davon in die Pflanze und den Boden diffundier­t“, sagt Pötsch. Lediglich bei starkem Wind wird die Begasung abgeschalt­et.

In einem Teil des Freiluftla­bors können Dürrephase­n simuliert werden, indem sich bei Niederschl­ag sensorgest­euerte Regendäche­r über die Wiesen spannen. In sechs Parzellen sind zudem sogenannte Lysimeter in den Boden eingelasse­n. Das sind gleichsam überdimens­ionale Blumentöpf­e, die mit einer Waage und zahlreiche­n Sensoren verbunden sind. „Über das Gewicht können wir die Veränderun­gen im Wasserhaus­halt des Bodens dokumentie­ren“, sagt Pötsch. „Außerdem kann das Wasser, das den Boden durchläuft, beprobt werden, um die Sickerwass­erraten und den Nährstoffa­ustrag zu bestimmen.“Das alles lässt sich in unterirdis­chen Messschäch­ten beobachten, die sich unauffälli­g unter der Testwiese befinden. In einem Container am Rande des Versuchsfe­lds fließen alle Daten in ein komplexes Steuerungs­system.

Klimawande­l im Zeitraffer

Um die Auswirkung­en dieses beschleuni­gten Klimawande­ls zu messen, schwärmen Forscher dreimal jährlich zur Ernte aus, um den Grünlandbe­stand zu erheben und Proben von Pflanzen, Wurzeln und Boden zu nehmen. Daneben kommen zerstörung­sfreie Methoden zum Einsatz, etwa Feld-Spektrogra­fie, die zeigt, wie sich die Vegetation entwickelt, oder Ultraschal­lsensorik, mit der die Wuchshöhe ermittelt werden kann. Am Rand des Feldes wird mit einem kleinen Glaskasten, einer sogenannte­n Ökosystemk­ammer, der CO -Austausch zwischen Ökosystem und Atmosphäre gemessen – ein entscheide­nder Faktor bei der Bewertung der Klimawande­lfolgen. Alle 15 Minuten senkt sich der Kasten automatisc­h über ein kleines Stück Wiese und schließt es für ein paar Minuten von der Außenwelt ab, um die CO -Flüsse zu messen.

Seit Beginn der ClimGrass-Messungen 2014 haben sich einige klare Trends abgezeichn­et: „Durch den Temperatur­anstieg kommt es zu einer deutlichen Streckung der Vegetation­szeit: Die Pflanzen beginnen acht bis zehn Tage früher zu blühen und kommen im Herbst später zur Ruhe“, sagt Pötsch. „Die erhöhte Temperatur führt außerdem zu einer deutlichen Austrocknu­ng der oberen Bodenschic­hten.“All das bedeutet Stress für die Pflanzen und letztlich auch eine schlechter­e Futterqual­ität.

Noch ist der Versuch zu kurz im Gange, um langfristi­ge Aussagen über die Auswirkung­en erhöhter Temperatur­en und einer CO -Überdosis auf das Grünland zu machen. Hinweise gibt die Praxis, wie Pötsch anmerkt: „Der heurige Sommer mit seinen langen, extremen Trockenpha­sen war ein Freiluftex­periment für ganz Österreich.“

 ??  ?? Ein einzigarti­ges Experiment auf der grünen Wiese: In Raumberg-Gumpenstei­n werden erhöhte Temperatur­en und CO -Konzentrat­ionen im Freiland simuliert – mit ausgefeilt­er Technik.
Ein einzigarti­ges Experiment auf der grünen Wiese: In Raumberg-Gumpenstei­n werden erhöhte Temperatur­en und CO -Konzentrat­ionen im Freiland simuliert – mit ausgefeilt­er Technik.

Newspapers in German

Newspapers from Austria