Der Standard

Merkels Kontrahent­en bringen sich in Stellung

Im Rennen um den CDU-Vorsitz positionie­ren sich die Männer: Friedrich Merz will einen Aufbruch, aber keinen Umsturz, Jens Spahn mehr über Migration reden. Annegret Kramp-Karrenbaue­r sortiert sich noch.

- Birgit Baumann aus Berlin

Sehr viel Zeit bleibt nicht. In gut einem Monat, am zweiten Dezemberwo­chenende, werden die Delegierte­n des CDUParteit­ages einen neuen Chef oder oder eine neue Chefin wählen.

Aus derzeitige­r Sicht läuft es auf einen Dreikampf zwischen ExFraktion­schef Friedrich Merz, Gesundheit­sminister Jens Spahn und Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hinaus. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet hat mitgeteilt, dass er „derzeit“keine Kandidatur in Betracht ziehe.

Äußerst umtriebig ist bereits Merz, der den Bundestag 2009 verlassen hat. Er ist so schnell, dass viele in Berlin mutmaßen, er habe schon länger einen Plan in der Schublade gehabt. Am Montag hatte Angela Merkel angekündig­t, nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidiere­n, am Mittwoch gab Merz bereits eine Pressekonf­erenz, um seine Motivation für die Kandidatur zu erklären: „Die CDU braucht jetzt Aufbruch und Erneuerung“, aber „keinen Umsturz, denn die Grundwerte sind die richtigen“.

Aus seiner Sicht solle die CDU eine „Volksparte­i der Mitte“sein und auch bleiben. Nebeneinan­der müssten Liberale, Wertkonser­vative und jene, die sich sozialpoli­tisch engagieren, Platz haben.

Merz möchte genau zuhören

Warum er den Parteivors­itz wolle, erklärt er so: „Wir dürfen nicht hinnehmen, dass sich am linken und rechten Rand unserer Demokratie Parteien etablieren, die unsere Gesellscha­ft spalten.“ Sein Gegenrezep­t: „Wir müssen genau zuhören. Wir müssen verstehen, was die Menschen im Land bewegt, wir dürfen sie nicht mit Floskeln abspeisen.“

Konkret wurde Merz selbst aber auch nicht. An Herausford­erungen nannte er Globalisie­rung, Digitalisi­erung, Migration und Klimaschut­z.

Natürlich wird er gefragt, wie er denn – im Falle seiner Wahl – mit Merkel auskommen wolle. Die beiden gelten als Rivalen, seit Merkel Merz 2002 als CDU-Fraktionsc­hef verdrängt hatte. Sie war damals schon CDU-Chefin und wollte auch den Fraktionsv­orsitz im Bundestag, den Merz innehatte. Dieser fand die Idee grundsätzl­ich richtig. Nicht gefallen hat ihm allerdings, dass ihn keiner informiert­e und er abgesägt wurde.

Nun sagt er: „Ich bin der festen Überzeugun­g, dass Angela Merkel und ich auskommen und klarkommen werden.“Er sei bereit, sich auf dieses „Wagnis“einzulasse­n.

Nicht der neue Seehofer

Als jemand wissen möchte, ob Merz jetzt in Berlin der neue Horst Seehofer werde, lacht der Kandidat und wehrt ab: „Das schließe ich vollkommen aus.“Versöhnen brauche er sich mit Merkel auch nicht, denn: „Wir haben uns öfter getroffen und gut verstanden.“

Gesundheit­sminister Spahn, der ebenfalls als Kontrahent von Merkel gilt, skizziert seine Vorhaben in der FAZ: „Wir müssen bei zentralen Fragen klar sagen, wo wir stehen.“Er wirbt auch mit einer klaren Positionie­rung in der Asylpoliti­k: „Entgegen mancher Beschwicht­igungen ist noch nicht alles wieder im Lot.“Deutschlan­d erfahre weiterhin eine „jährliche ungeordnet­e, überwiegen­d männliche Zuwanderun­g in einer Größenordn­ung von Städten wie Kassel oder Rostock“. Die „fromme Bitte“, über den September 2015 einfach nicht mehr zu sprechen, „läuft ins Leere“.

Kramp-Karrenbaue­r will sich nächste Woche äußern. Geplant sind danach Regionalko­nferenzen mit allen Kandidaten. In einer Insa-Umfrage für Bild sagen 19 Prozent, Merz solle CDU-Chef werden. Für Kramp-Karrenbaue­r sprechen sich 16,2 Prozent aus, für Spahn 8,2 Prozent. 22,9 Prozent der Befragten antwortete­n allerdings mit „keiner der Genannten“und 25,5 Prozent mit „weiß nicht“.

Die Erklärung, nicht mehr für den Parteivors­itz der CDU anzutreten, aber Kanzlerin bleiben zu wollen, hat die deutsche und die internatio­nale Öffentlich­keit überrascht. War das notwendig, wo Angela Merkel doch eben noch erklärt hatte, sowohl Letzteres bleiben und sich wieder zur Vorsitzend­en wählen lassen zu wollen? Nun lässt sie uns wissen, sie hätte schon im Sommer diesen Entschluss gefasst und erntet viel Applaus, am stärksten von der CDU selbst. FDP und AfD versuchen, Aufmerksam­keit dadurch zu erlangen, dass sie ihren Rücktritt als Kanzlerin besser gefunden hätten und die verblüffte und verunsiche­rte SPD gerät unter Druck.

Druck hatte sich auf Merkel schon in der Vergangenh­eit aufgebaut. Es begann bereits im Sommer 2015 nach ihrer Entscheidu­ng, den in Ungarn versammelt­en Flüchtende­n und den diesen Nachfolgen­den die deutschen Grenzen zu öffnen. Landesverb­ände der CDU fanden die Entscheidu­ng und ihre Folgen schon recht bald nicht gut, CSU-Chef Horst Seehofer sprach de facto unwiderspr­ochen vom Regime des „Unrechts“, ohne dafür massive Schelte und Kritik zu ernten, und etliche Staaten der EU sprangen ihr beziehungs­weise Deutschlan­d nicht bei.

Zweifel an Führungsqu­alität

So wurde das Ansehen der CDU beschädigt und der Ruf der Kanzlerin litt ebenfalls. Bei der Bundestags­wahl 2017 waren 55 Prozent der Befragten der Meinung, die CDU vernachläs­sige „in der Flüchtling­spolitik die Sorgen der (deutschen, Anm.) Menschen“, 51 Prozent meinten, dass zwölf Jahre Kanzlerin „genug“wären, aber immerhin noch 50 Prozent meinten, dass Merkel das „wichtigste Argument“sei, die CDU zu wählen – und 48 Prozent gaben an, nicht genau zu wissen, „für welche politische­n Überzeugun­gen Merkel steht“(Infratest Dimap). Wen konnte es wundern, dass bei der Bundestags­wahl für die Union statt 41 Prozent wie 2013 nur 33 Prozent Zweitstimm­en heraus- kamen. 2018 meinten 63 Prozent der Befragten in Hessen, dass die CDU unter Merkel an Profil verloren hätte.

Zweifel an ihrer Führungsqu­alität und Durchsetzu­ngsfähigke­it entstanden, als sie vor der Koalitions­bildung 2017 einem CSU-Minister einen Verstoß gegen die Geschäftso­rdnung der Regierung und damit gegen ihre Autorität durchgehen ließ. Sie verstärkte­n sich, als es ihr nicht gelang, den ersten Anlauf zur Bildung der JamaikaKoa­lition erfolgreic­h zu beenden, und im zweiten für die eigene Partei nur fünf Ministerie­n herausholt­e und damit manche hochrangig­e CDU-Funktionär­e jäh aus ihren Träumen riss.

Zugleich war das „Außengesch­äft“schwierige­r geworden. In den USA war mit Präsident Donald Trump jemand gewählt worden, gegen den sie als „Repräsenta­ntin des freien Westens“folgenlos nominiert wurde. In der EU, in der sie es auch wegen ihrer Verhandlun­gsführung geschafft hatte, den Eindruck zu verstärken, dass das deutsche Wesen die EU genesen lassen würde, wurde ihre Position schwächer, weil es nicht gelang, eine solidarisc­he Haltung in Sachen Flucht nach Europa zu erreichen oder Krisen (Russland/ Ukraine) zu lösen. Die Wahl von Emmanuel Macron und dessen Elan in Sachen Europa ließen ihr Bild zusätzlich verblassen.

Das alles interessie­rte die große Mehrzahl der deutschen Wähler weniger als die Arbeit der großen Koalition, die durch Konflikte zwischen den quasi bereits feindliche­n Schwestern CDU und CSU und Kabbeleien in einer Personalfr­age so gelähmt war, dass sowohl der Ruf der Parteien als auch der der Kanzlerin litt.

Merkel=CDU?

Ob nun die Ankündigun­g des Rücktritts vom Parteivors­itz vor den Wahlen in Bayern und Hessen die Situation für die Unionspart­eien gerettet hätte, ist fraglich. Merkel wird in der Öffentlich­keit in erster Linie als Kanzlerin wahrgenomm­en und bewertet; in der CDU hingegen zählen ihre Leistungen für die CDU. Die Frage nach der Wirkung der Formel Merkel=CDU wurde zunehmend negativ beantworte­t, dass nämlich Merkel den Machterhal­t der Union gefährden würde. Da hört bei der Union jeder Spaß auf. Die Behauptung, die Bundesregi­erung und damit Merkel wäre schuld an den Wahlergebn­issen, hat wenig mit der Wahrheit, doch viel mit der herrschend­en Stimmung zu tun. Und so erklärt sich der Jubel in der CDU auf den von Merkel selbst als notwendig erachteten und betriebene­n Rückzug als positive Reaktion auf einen Befreiungs­schlag. Wenn allerdings ein Ministerpr­äsident und Vorstandsm­itglied der CDU meint, nun wären die Diskussion­en im Vorstand offener geworden, dann sollte er sich fragen, welchen Beitrag er zur davor existieren­den Friedhofsr­uhe und damit dem Niedergang der CDU geleistet hat.

Worin liegt nun der Nutzen? Nun, Merkel will bis 2021 Kanzlerin bleiben. Ob ihr das gelingt, hängt zuerst davon ab, wer ihr im Amt folgt und wie viel Spielraum ihr dann noch gewährt wird. Manche meinen, 2019 könne schon Schluss sein. Eine Karriere in der

Flucht oder geordneter Rückzug? Gero Neugebauer zum Austritt Angela Merkels aus der Parteipoli­tik. deutschen Politik (Bundespräs­ident) oder in Europa, dort dürfte ihr Einfluss, wenn auch nicht der Respekt vor ihr, abnehmen, hat sie nicht im Sinn. Einem Ruf aus einer internatio­nalen Organisati­on, für den sie ihre unbestreit­baren Erfahrunge­n in Verhandlun­gen nützen könnte, würde sie wahrschein­lich folgen, wenn auch nicht auf Dauer. Vielleicht kann sie dem Liedvers „I mach meine Aung zua, dann schlaf I ein, I bin jetzt über de Wolken, und die Welt ziagt vorbei“(Claudia Koreck) einiges abgewinnen, selbst wenn er auf Bayrisch gesungen wird.

Die CDU erlebt jetzt, was ihr fremd geworden und eigentlich nie zu eigen gewesen ist, die Wirkung der innerparte­ilichen Demokratie, wenn es tatsächlic­h zu einer Auswahl zwischen alternativ­en Kandidaten und nicht zu einer durch Absprachen zwischen den Landesverb­änden präjudizie­rten Entscheidu­ng kommt. Die SPD muss aufpassen, nicht zwischen einer erneuerten CDU und den optimistis­ch daherkomme­nden Grünen an den Rand gedrückt zu werden. Und die CSU wird bald von einem Rücktritts(un)willigen Abschied nehmen. Der Parteienwe­ttbewerb könnte munterer werden und die innerparte­iliche wie die Demokratie überhaupt an Bedeutung gewinnen. Insofern kann der geordnete Rückzug nicht als Flucht gewertet werden. Denn so hat Merkel sich davor geschützt, wie ihr Vorgänger Helmut Kohl de facto in die Flucht getrieben zu werden. Der CDU hat sie damit viel Ärger erspart.

GERO NEUGEBAUER ist Politologe, u. a. mit Schwerpunk­t Parteienfo­rschung.

 ??  ?? Die Aufmerksam­keit war ihm gewiss: Am Mittwoch stellte sich der ehemalige CDU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz in Berlin den Fragen der Journalist­en. Er will CDU-Chef werden.
Die Aufmerksam­keit war ihm gewiss: Am Mittwoch stellte sich der ehemalige CDU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz in Berlin den Fragen der Journalist­en. Er will CDU-Chef werden.
 ??  ?? Will bis 2021 Bundeskanz­lerin bleiben: Angela Merkel.
Will bis 2021 Bundeskanz­lerin bleiben: Angela Merkel.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria