Außenamt weist Kritiker im eigenen Haus zurecht
Rückzug aus UN-Migrationspakt sorgt für internen Wirbel
Wien – Die öffentliche Kritik einiger Diplomaten des Außenministeriums am Ausstieg der Bundesregierung aus dem UN-Migrationspakt blieb intern nicht unkommentiert. In einem Rundschreiben an alle Mitarbeiter des Ressorts weist Johannes Peterlik, Generalsekretär von Ministerin Karin Kneissl (FPÖ), die Gruppe zurecht. Zuerst hält er fest, dass es „das gute Recht von einzelnen Bediensteten“sei, ihre „persönlichen Ansichten“über das Doku- ment der Vereinten Nationen zu äußern. Doch die „beispiellose und irreführende öffentliche Stellungnahme einer Fraktion“sei „zutiefst bedauerlich“, schreibt Peterlikin einer E-Mail, die dem
Δtandard vorliegt. Die „Offene Liste SozialdemokratInnen und FreundInnen“, für die rund 30 Beamte des Außenministeriums aktiv sind, hatte am Wochenende ein Schreiben veröffentlicht, in dem die österreichische Ablehnung des internatio- nalen Dokuments schwer kritisiert wird. Durch das Vorgehen der Regierung werde die „Handschlagqualität und Professionalität“der heimischen Diplomatie infrage gestellt, erklärte die rote Gruppe, die bei der letzten Personalvertretungswahl rund ein Drittel der Stimmen erhalten hat.
Peterlik betont, es sei die Rolle der Diplomaten, den Pakt zu verhandeln, die Politik müsse ihn aber bewerten sowie darüber entscheiden.
Wien – Montagfrüh hatten die Mitarbeiter des Außenministeriums ein Schreiben ihres Chefs im Posteingang. „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, beginnt Johannes Peterlik, Generalsekretär von Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ), die sanfte Zurechtweisung. Es sei jedermanns gutes Recht, persönliche Ansichten zum UN-Migrationspakt zu äußern, ist der E-Mail zu entnehmen, die dem
Δtandard vorliegt. Doch die „beispiellose und irreführende öffentliche Stellungnahme“einiger roter Beamter halte er für „zutiefst bedauerlich“.
Zuvor hatten sich am Wochenende einige Diplomaten – eine Berufsgruppe, die für gewöhnlich selten mit offener Kritik auffällt – gegen die Entscheidung der türkis-blauen Bundesregierung gestellt, den UN-Pakt abzulehnen. Das unverbindliche Dokument der Vereinten Nationen sieht internationale Standards im Umgang mit Flucht- und Migrationsbewegungen vor und wurde von Mitarbeitern des heimischen Außen- und Innenministeriums – beide blau geleitet – federführend mitverhandelt.
Der Nichtbeitritt stelle einen „Bruch mit unserem außenpolitischen Erbe seit 1955 dar“und außerdem die „Handschlagqualität und Professionalität unserer hochwertgeschätzten Diplomatie infrage“, kritisierte die Offene Liste SozialdemokratInnen und FreundInnen. In der roten Personalvertretung sind rund 30 Beamte des Außenressorts aktiv.
Generalsekretär Peterlik erklärt in seiner internen Entgegnung nun: „Gegenüber dem Migrationspakt bestehen klare inhaltliche Bedenken, die im – in Abstimmung mit den betroffenen Ressorts erarbeiteten – Ministerratsvortrag der Bundesregierung erläutert wurden.“Es sei die Aufgabe der Diplomaten gewesen, den Pakt auszuverhandeln, aber die Aufgabe der Politik, das Ergebnis „einer politischen Bewertung zu unterziehen“.
Allgemeines Kopfschütteln
Außerdem hält der oberste Beamte des Außenministeriums fest: Österreich bleibe „auch weiterhin einem effektiven Multilateralismus verpflichtet“. Die verärgerten Diplomaten hatten der ÖVP-FPÖ-Regierung vorgeworfen, diesem Leitbild mit ihrem Nein zum UN-Pakt zu widersprechen. Die rote Liste betont dabei, „irreguläre Migration“ebenfalls klar abzulehnen.
Auch Außenministerin Kneissl soll sich dem Vernehmen nach noch einige Zeit lange bemüht haben, der FPÖ-Führung zu erklären, dass der globale Pakt rechtlich ohnehin keine Bindung habe und deshalb nicht in Bausch und Bogen abgelehnt werden müsse – offenbar vergeblich. Im Außenministerium wird die Stimmung nun mit „es herrscht allgemeines Kopfschütteln“beschrieben.
Inzwischen haben mehr als 157.000 Menschen den UN-Pakt aus Protest einfach selbst „unterzeichnet“– über eine Onlinepetition des Vereins #Aufstehn.
Die Ablehnung des UN-Migrationspaktes liegt auf einer Linie mit US-Präsident Donald Trump, der offen die Schwächung von Multilateralismus, Uno sowie der internationalen Rechtsordnung betreibt. Er droht mit Nuklearkrieg, reaktiviert das Wettrüsten, macht die zerstörerische „Mein Land zuerst“-Parole zur globalen Realität. Was treibt Kanzler Sebastian Kurz an, zur Schwächung des nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen rechtlich-politischen Netzwerks des globalen Zusammenlebens beizutragen? Und er blendet dabei aus: Großmächte können auf politisch-militärische Machtmittel zur Durchsetzung ihrer Politiken bauen.
Wenn Länder wie Österreich bei der Zerstörung der multilateralen Kooperation mitmachen, beschädigen sie sich selbst: Denn sie sind angewiesen auf eine wirksame multilaterale Friedens- und Rechtsordnung, einer starken UN, WTO, Weltklimaordnung, die Machtansprüche der Großmächte eingrenzen. Den rechtlich unverbindlichen Migrationspakt, die von fast allen UN-Staaten angenommene Empfehlung von heute auf morgen zu torpedieren, zur Abschlusskonferenz nicht einmal mehr hinzufahren, steht diametral zur seit 1956 prononciert ProUN-Außenpolitik Österreichs. Bei der Desavouierung des UN-Paktes macht Kurz gemeinsame Sache mit jenen in der EU, denen übernationale Rechtswirksamkeit ein nationales Gräuel ist. Sie wollen statt Bündelung von Souveränität auf EUEbene zwecks besserer Problembewältigung zurück zu nationaler „Vollsouveränität“. Sie bekämpfen Kontrollen und Sanktionen im Falle der Verletzung von gemeinsam beschlossenem EU-Recht als unzumutbares „Brüssel-Diktat“. Wenn aber die Durchsetzbarkeit von EU-Recht nichts mehr gilt, dann werden auch in der EU nur mehr die „Großen“das politische Sagen haben, kleine Mitgliedstaaten nur Anpassung bleiben.
Eine effektive Rechtsordnung ist aber wichtigster „Verbündeter“von machtarmen politischen Entitäten – global und in der EU. Nationalistisches Souveränitätsgehabe nützt im Vergleich dazu wenig. Kurz schadet der EU zusätzlich, wenn sich Österreich als „Vorreiter“jener profiliert, die die EU schwächen, wenn nicht zerstören wollen. Er scheint stolz darauf zu sein, wenn er die Salvinis, Orbáns, Kaczińskys aufstachelt, Österreichs Ablehnung des UNVorschlags nachzueifern. Es stört den Kanzler nicht, jene zu mobilisieren, die offen die „illiberale Demokratie“bewerben. Ausgerechnet während Österreichs Ratspräsidentschaft beschädigt er so die im Lissabon-Vertrag beschlossene EU-Wertebasis aus Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wichtig für jedes internationale Zusammenleben. Kurz fällt der Weiterentwicklung der UN-Migrationspolitik in den Rücken, die eine rationale, humane, globale Herangehensweise an das Problem Migration empfiehlt. Wien verabschiedet sich damit von einer nur international machbaren, sachlichen Migrationspolitik: Was ist seine Motivation, wenn er vorgibt, Österreich vor dem „möglichen Aufzwingen von Einwanderungsrecht“schützen zu müssen, wenn im Text des UN-Dokuments in diesem Punkt exakt das Gegenteil steht? Was hat die Regierung eigentlich dagegen, wenn die UN ausdrücklich für reguläre Migranten Arbeiten, Bildung, Familienzusammenführung erleichtern will – also ihre Integration empfohlen wird? War das nicht einmal Regierungsprogramm? Besonders perfide ist die Kritik an der Aussage im UNPapier, Migration könne auch „nützlich“sein. Hier offenbart sich das fremdenfeindliche, eigentliche Motiv der Ablehnung: Nützliche Migration ist Realität, besonders in Österreich: Von der Versorgung der Alten über die Krankenhäuser, bis hin zu Tourismus, Industrie, Bauwirtschaft – alles stünde sofort still, hätten wir nicht die „Migranten“! Eine Gemeinsame Außenpolitik – kein Anliegen mehr für Kurz: Mit der Ablehnung des UN-Migrationspaktes hat die Bundesregierung „rote Linien“der traditionellen österreichischen Außenpolitik für die Bereiche UN und EU überschritten. Kurz hat vor der UN-Generalversammlung noch die Arbeit am UNMigrationspakt gelobt, das Außenministerium hat mitverhandelt, keine Einwände sind bekannt geworden. Eine parlamentarische Diskussion der gravierenden Neupositionierung wurde nicht gesucht, die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine „gemeinsame“Außenpolitik über Parteigrenzen hinweg stellt offensichtlich keinen Wert dar.
Diese Fehlentwicklung der österreichischen Politik liegt nun unübersehbar für jeden vor uns. Kurz und Co berufen sich darauf, nur den Willen der Mehrheit umzusetzen. Ob das stimmt und ausreicht? Nun liegt es an den Parteien, der Zivilgesellschaft, jedem Einzelnen, auf welcher Seite der roten Linien er, sie sich aufstellt. Unaufgeregt, mit sachlicher Überlegung, aber konsequent.
FRIEDHELM FRISCHENSCHLAGER (Jahrgang 1943) war EU-Abgeordneter für das Liberale Forum und Verteidigungsminister der FPÖ, seit 2014 ist er von den Neos in die Parlamentarische Bundesheerkommission entsandt.