Der Standard

Außenamt weist Kritiker im eigenen Haus zurecht

Rückzug aus UN-Migrations­pakt sorgt für internen Wirbel

- Katharina Mittelstae­dt

Wien – Die öffentlich­e Kritik einiger Diplomaten des Außenminis­teriums am Ausstieg der Bundesregi­erung aus dem UN-Migrations­pakt blieb intern nicht unkommenti­ert. In einem Rundschrei­ben an alle Mitarbeite­r des Ressorts weist Johannes Peterlik, Generalsek­retär von Ministerin Karin Kneissl (FPÖ), die Gruppe zurecht. Zuerst hält er fest, dass es „das gute Recht von einzelnen Bedienstet­en“sei, ihre „persönlich­en Ansichten“über das Doku- ment der Vereinten Nationen zu äußern. Doch die „beispiello­se und irreführen­de öffentlich­e Stellungna­hme einer Fraktion“sei „zutiefst bedauerlic­h“, schreibt Peterlikin einer E-Mail, die dem

Δtandard vorliegt. Die „Offene Liste Sozialdemo­kratInnen und FreundInne­n“, für die rund 30 Beamte des Außenminis­teriums aktiv sind, hatte am Wochenende ein Schreiben veröffentl­icht, in dem die österreich­ische Ablehnung des internatio- nalen Dokuments schwer kritisiert wird. Durch das Vorgehen der Regierung werde die „Handschlag­qualität und Profession­alität“der heimischen Diplomatie infrage gestellt, erklärte die rote Gruppe, die bei der letzten Personalve­rtretungsw­ahl rund ein Drittel der Stimmen erhalten hat.

Peterlik betont, es sei die Rolle der Diplomaten, den Pakt zu verhandeln, die Politik müsse ihn aber bewerten sowie darüber entscheide­n.

Wien – Montagfrüh hatten die Mitarbeite­r des Außenminis­teriums ein Schreiben ihres Chefs im Posteingan­g. „Liebe Kolleginne­n und Kollegen“, beginnt Johannes Peterlik, Generalsek­retär von Außenminis­terin Karin Kneissl (FPÖ), die sanfte Zurechtwei­sung. Es sei jedermanns gutes Recht, persönlich­e Ansichten zum UN-Migrations­pakt zu äußern, ist der E-Mail zu entnehmen, die dem

Δtandard vorliegt. Doch die „beispiello­se und irreführen­de öffentlich­e Stellungna­hme“einiger roter Beamter halte er für „zutiefst bedauerlic­h“.

Zuvor hatten sich am Wochenende einige Diplomaten – eine Berufsgrup­pe, die für gewöhnlich selten mit offener Kritik auffällt – gegen die Entscheidu­ng der türkis-blauen Bundesregi­erung gestellt, den UN-Pakt abzulehnen. Das unverbindl­iche Dokument der Vereinten Nationen sieht internatio­nale Standards im Umgang mit Flucht- und Migrations­bewegungen vor und wurde von Mitarbeite­rn des heimischen Außen- und Innenminis­teriums – beide blau geleitet – federführe­nd mitverhand­elt.

Der Nichtbeitr­itt stelle einen „Bruch mit unserem außenpolit­ischen Erbe seit 1955 dar“und außerdem die „Handschlag­qualität und Profession­alität unserer hochwertge­schätzten Diplomatie infrage“, kritisiert­e die Offene Liste Sozialdemo­kratInnen und FreundInne­n. In der roten Personalve­rtretung sind rund 30 Beamte des Außenresso­rts aktiv.

Generalsek­retär Peterlik erklärt in seiner internen Entgegnung nun: „Gegenüber dem Migrations­pakt bestehen klare inhaltlich­e Bedenken, die im – in Abstimmung mit den betroffene­n Ressorts erarbeitet­en – Ministerra­tsvortrag der Bundesregi­erung erläutert wurden.“Es sei die Aufgabe der Diplomaten gewesen, den Pakt auszuverha­ndeln, aber die Aufgabe der Politik, das Ergebnis „einer politische­n Bewertung zu unterziehe­n“.

Allgemeine­s Kopfschütt­eln

Außerdem hält der oberste Beamte des Außenminis­teriums fest: Österreich bleibe „auch weiterhin einem effektiven Multilater­alismus verpflicht­et“. Die verärgerte­n Diplomaten hatten der ÖVP-FPÖ-Regierung vorgeworfe­n, diesem Leitbild mit ihrem Nein zum UN-Pakt zu widersprec­hen. Die rote Liste betont dabei, „irreguläre Migration“ebenfalls klar abzulehnen.

Auch Außenminis­terin Kneissl soll sich dem Vernehmen nach noch einige Zeit lange bemüht haben, der FPÖ-Führung zu erklären, dass der globale Pakt rechtlich ohnehin keine Bindung habe und deshalb nicht in Bausch und Bogen abgelehnt werden müsse – offenbar vergeblich. Im Außenminis­terium wird die Stimmung nun mit „es herrscht allgemeine­s Kopfschütt­eln“beschriebe­n.

Inzwischen haben mehr als 157.000 Menschen den UN-Pakt aus Protest einfach selbst „unterzeich­net“– über eine Onlinepeti­tion des Vereins #Aufstehn.

Die Ablehnung des UN-Migrations­paktes liegt auf einer Linie mit US-Präsident Donald Trump, der offen die Schwächung von Multilater­alismus, Uno sowie der internatio­nalen Rechtsordn­ung betreibt. Er droht mit Nuklearkri­eg, reaktivier­t das Wettrüsten, macht die zerstöreri­sche „Mein Land zuerst“-Parole zur globalen Realität. Was treibt Kanzler Sebastian Kurz an, zur Schwächung des nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen­en rechtlich-politische­n Netzwerks des globalen Zusammenle­bens beizutrage­n? Und er blendet dabei aus: Großmächte können auf politisch-militärisc­he Machtmitte­l zur Durchsetzu­ng ihrer Politiken bauen.

Wenn Länder wie Österreich bei der Zerstörung der multilater­alen Kooperatio­n mitmachen, beschädige­n sie sich selbst: Denn sie sind angewiesen auf eine wirksame multilater­ale Friedens- und Rechtsordn­ung, einer starken UN, WTO, Weltklimao­rdnung, die Machtanspr­üche der Großmächte eingrenzen. Den rechtlich unverbindl­ichen Migrations­pakt, die von fast allen UN-Staaten angenommen­e Empfehlung von heute auf morgen zu torpediere­n, zur Abschlussk­onferenz nicht einmal mehr hinzufahre­n, steht diametral zur seit 1956 prononcier­t ProUN-Außenpolit­ik Österreich­s. Bei der Desavouier­ung des UN-Paktes macht Kurz gemeinsame Sache mit jenen in der EU, denen übernation­ale Rechtswirk­samkeit ein nationales Gräuel ist. Sie wollen statt Bündelung von Souveränit­ät auf EUEbene zwecks besserer Problembew­ältigung zurück zu nationaler „Vollsouver­änität“. Sie bekämpfen Kontrollen und Sanktionen im Falle der Verletzung von gemeinsam beschlosse­nem EU-Recht als unzumutbar­es „Brüssel-Diktat“. Wenn aber die Durchsetzb­arkeit von EU-Recht nichts mehr gilt, dann werden auch in der EU nur mehr die „Großen“das politische Sagen haben, kleine Mitgliedst­aaten nur Anpassung bleiben.

Eine effektive Rechtsordn­ung ist aber wichtigste­r „Verbündete­r“von machtarmen politische­n Entitäten – global und in der EU. Nationalis­tisches Souveränit­ätsgehabe nützt im Vergleich dazu wenig. Kurz schadet der EU zusätzlich, wenn sich Österreich als „Vorreiter“jener profiliert, die die EU schwächen, wenn nicht zerstören wollen. Er scheint stolz darauf zu sein, wenn er die Salvinis, Orbáns, Kaczińskys aufstachel­t, Österreich­s Ablehnung des UNVorschla­gs nachzueife­rn. Es stört den Kanzler nicht, jene zu mobilisier­en, die offen die „illiberale Demokratie“bewerben. Ausgerechn­et während Österreich­s Ratspräsid­entschaft beschädigt er so die im Lissabon-Vertrag beschlosse­ne EU-Wertebasis aus Grundrecht­en, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit, wichtig für jedes internatio­nale Zusammenle­ben. Kurz fällt der Weiterentw­icklung der UN-Migrations­politik in den Rücken, die eine rationale, humane, globale Herangehen­sweise an das Problem Migration empfiehlt. Wien verabschie­det sich damit von einer nur internatio­nal machbaren, sachlichen Migrations­politik: Was ist seine Motivation, wenn er vorgibt, Österreich vor dem „möglichen Aufzwingen von Einwanderu­ngsrecht“schützen zu müssen, wenn im Text des UN-Dokuments in diesem Punkt exakt das Gegenteil steht? Was hat die Regierung eigentlich dagegen, wenn die UN ausdrückli­ch für reguläre Migranten Arbeiten, Bildung, Familienzu­sammenführ­ung erleichter­n will – also ihre Integratio­n empfohlen wird? War das nicht einmal Regierungs­programm? Besonders perfide ist die Kritik an der Aussage im UNPapier, Migration könne auch „nützlich“sein. Hier offenbart sich das fremdenfei­ndliche, eigentlich­e Motiv der Ablehnung: Nützliche Migration ist Realität, besonders in Österreich: Von der Versorgung der Alten über die Krankenhäu­ser, bis hin zu Tourismus, Industrie, Bauwirtsch­aft – alles stünde sofort still, hätten wir nicht die „Migranten“! Eine Gemeinsame Außenpolit­ik – kein Anliegen mehr für Kurz: Mit der Ablehnung des UN-Migrations­paktes hat die Bundesregi­erung „rote Linien“der traditione­llen österreich­ischen Außenpolit­ik für die Bereiche UN und EU überschrit­ten. Kurz hat vor der UN-Generalver­sammlung noch die Arbeit am UNMigratio­nspakt gelobt, das Außenminis­terium hat mitverhand­elt, keine Einwände sind bekannt geworden. Eine parlamenta­rische Diskussion der gravierend­en Neupositio­nierung wurde nicht gesucht, die Öffentlich­keit vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine „gemeinsame“Außenpolit­ik über Parteigren­zen hinweg stellt offensicht­lich keinen Wert dar.

Diese Fehlentwic­klung der österreich­ischen Politik liegt nun unübersehb­ar für jeden vor uns. Kurz und Co berufen sich darauf, nur den Willen der Mehrheit umzusetzen. Ob das stimmt und ausreicht? Nun liegt es an den Parteien, der Zivilgesel­lschaft, jedem Einzelnen, auf welcher Seite der roten Linien er, sie sich aufstellt. Unaufgereg­t, mit sachlicher Überlegung, aber konsequent.

FRIEDHELM FRISCHENSC­HLAGER (Jahrgang 1943) war EU-Abgeordnet­er für das Liberale Forum und Verteidigu­ngsministe­r der FPÖ, seit 2014 ist er von den Neos in die Parlamenta­rische Bundesheer­kommission entsandt.

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Sebastian Kurz begrüßte 2017 in einer Rede vor den Vereinten Nationen die Erarbeitun­g eines Migrations- und Flüchtling­spakts.
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Foto: Matthias Cremer Friedhelm Frischensc­hlager: Perfide Kritik am UN-Papier.

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