Der Standard

„Ein Ende der Kämpfe in der Ukraine ist möglich“

Der bisherige OSZE-Sonderbeob­achter in der Ostukraine Alexander Hug ortet großes Misstrauen zwischen den Konfliktpa­rteien – nicht aber bei den Menschen, die dort leben.

- Simone Brunner

AINTERVIEW: lexander Hug war als Vizechef der Beobachtun­gsmission mehr als vier Jahre das Gesicht der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) in der Ostukraine, um die Verstöße gegen die Minsker Friedensab­kommen zu dokumentie­ren. Am 31. Oktober endete sein Mandat. Im

zieht er Bilanz.

Sie kommen gerade von einer Reise durch das Kriegsgebi­et zurück. Wie ist die Lage vor Ort? Hug: Wir sehen tägliche Verstöße gegen die Waffenruhe im drei- bis vierstelli­gen Bereich. Am meisten beunruhigt uns der Einsatz schwerer Waffen, weil das die größte Gefahr für die Zivilbevöl­kerung darstellt. Die Konfliktpa­rteien stehen sich viel zu nahe gegenüber, obwohl sie abgesproch­en haben, sich zumindest an einigen Stellen zu entflechte­n. Außerdem sehen wir fast jeden Tag, dass neue Minen gelegt werden.

Es war Ihre letzte Reise als Vizechef. Mit welchem Gefühl legen Sie Ihr Amt nieder? Hug: Es kommt natürlich zu einem Zeitpunkt, den ich persönlich nicht als zufriedens­tellend ansehen kann, weil der Konflikt ja immer noch nicht vorbei ist. Ich bin trotzdem davon überzeugt, dass ein Ende der Kämpfe möglich ist. Wir haben immer wieder gesehen, dass die schweren Waffen abgezogen werden können. Das zeigt uns, dass Befehle erteilt und auch befolgt werden. Doch das Misstrauen ist sehr groß.

Zugleich gibt es kaum Gebietsgew­inne mehr. Warum dieser ständige Beschuss? Hug: Beide Seiten halten ihre schweren Waffen in Gebieten, wo sie (laut den Minsker Vereinbaru­ngen, Anm.) nicht sein dürften. Noch dazu geben beide Seiten ganz öffentlich zu, dass sie sich das Recht vorbehalte­n, das Feuer der Gegenseite zu erwidern. Wenn der eine schießt, schießt der andere zurück. Das bringt kein Ende.

Wo sehen Sie Chancen für einen Frieden? Hug: Der große Unterschie­d zu an- deren Konflikten ist, dass es keinen unterschwe­lligen Gruppenkon­flikt gibt, der auf religiösen, ethnischen oder sprachlich­en Unterschie­den basiert. Es ist bemerkensw­ert, dass die Menschen, die direkt an der Kontaktlin­ie leben und ständig unter Beschuss sind, keinen Hass gegen die andere Seite entwickelt haben. Sie sagen, dass das nicht ihr Konflikt ist und dass sie nur ein Ende des Krieges wollen. Bis zu 40.000 Menschen überqueren täglich die Kontaktlin­ie. In den Köpfen der Menschen ist die Linie eine künstliche Linie. Aber das kann sich ändern.

Was befürchten Sie? Hug: Ein Kind, das heute zehn Jahre alt ist, kann sich oft an nichts anderes erinnern als an Krieg, Zerstörung und Propaganda – egal ob es im regierungs­kontrollie­rten Awdijiwka oder in Donezk aufwächst. Diese Kinder wachsen in unterschie­dlichen Realitäten auf. Irgendwann wird das zu einem Generation­enproblem, spätestens dann, wenn sie Führungspo­sitionen einnehmen. Dann könnte es zu einer Verhärtung dieser Linie kommen. Gerade deswegen ist es so wichtig, dass diese Linie so schnell wie möglich abgearbeit­et wird.

Was konnte die OSZEMissio­n bisher bewirken? Hug: Ich glaube, dass wir dazu beigetrage­n haben, dass sich der Konflikt nicht weiter ausgedehnt hat. Die Brennpunkt­e sind ziemlich klar definiert. Die Mission konnte auch zeigen, wie groß das Leiden der Bevölkerun­g ist und wie uneinsicht­ig die Unterzeich­ner der Minsker Vereinbaru­ngen sind, ihre Verspreche­n einzulösen. Das sind Moskau, Kiew und die Gebiete in Donezk und Luhansk. Zugleich ist es schade, dass die Konfliktse­iten, aber auch die Medien unsere Berichte nicht dazu genutzt haben, um Lösungsvor­schläge zu finden, sondern nur dazu, um mit dem Finger auf die andere Seite zu zeigen.

ALEXANDER HUG (46), gebürtiger Schweizer, war seit Kriegsausb­ruch 2014 Vizeleiter der OSZE-Mission in der Ostukraine. Foto: Reuters

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