Der Standard

Wie Legal Tech die Justiz erobert

Legal Tech, der Einsatz digitaler Technologi­en in der Rechtsbran­che, bewegt auch in Österreich Anwälte und Juristen. Die ersten Produkte sind in Verwendung, die wahren Umwälzunge­n stehen allerdings noch bevor.

- Eric Frey

Kann ein Computer einen Anwalt ersetzen, oder gar einen Richter? Mit dieser Frage beschäftig­t sich die Rechtswelt schon seit Jahren. In den 1970er-Jahren entstand das Gebiet der Rechtsinfo­rmatik, in dem erstmals versucht wurde, juristisch­e Vorgänge und Entscheidu­ngen zu automatisi­eren. Heute wird das Legal Tech genannt und schwimmt gerade auf einer Welle großer Hoffnungen, verbunden mit kostspieli­gen Investitio­nen und auch so manchen Existenzän­gsten. Kaum eine größere Kanzlei oder Rechtsabte­ilung, die derzeit nicht auf dem Markt nach neuen Softwarepr­odukten sucht oder überlegt, wo sie durch Automatisi­erung Kosten sparen und effiziente­r arbeiten kann – etwa eine digitale Aktenverwa­ltung, bei der gezielt nach Schlagwört­ern gesucht werden kann.

Doch die Herausford­erungen sind die gleichen wie einst, sagt Nikolaus Forgó, Professor für Rechtsinfo­rmatik am Juridicum in Wien. „Die Anwendung der Digitalisi­erung im Recht ist viel komplizier­ter als gedacht und scheitert oft an der Unklarheit der Sprache, die im Gesetz verwendet wird“, sagt er dem „Von diesen Uneindeuti­gkeiten leben die Juristen und machen es schwer, die passenden Algorithme­n herzustell­en.“Künstliche Intelligen­z mag zwar auf dem Vormarsch sein, „aber der Weg dorthin ist noch sehr lang“, sagt die Legal-Tech-Expertin Sophie Martinetz.

Wie viel auf dem Gebiet dennoch in Bewegung ist, zeigt sich im Vorfeld der Legal-Tech-Konferenz, die heute, Mittwoch, zum zweiten Mal in Wien stattfinde­t, mit reger Beteiligun­g fast aller größerer Kanzleien und Rechtsinst­itutionen. Denn alle in der Branche wissen: Bei der Digitalisi­erung geht es nicht nur um neue Anwendunge­n, sondern um veränderte interne Prozesse, neue Geschäftsm­odelle und eine ganz andere Arbeitswel­t für Anwälte.

In Österreich am Anfang

Vor allem im Vergleich zur angelsächs­ischen Welt stehen viele österreich­ische Kanzleien und Rechtsabte­ilungen hier noch ganz am Anfang, sagt Martinetz, die die Konferenz organisier­t: „Immer noch wird viel zu viel händisch eingegeben, dann druckt man es als PDF aus und gibt es dem nächsten weiter. In Unternehme­n wird jeder einzelne Vertrag in die Rechtsabte­ilung geschickt und dann einzeln überprüft. Doch gleichzeit­ig müssen dieselben Leute immer mehr Arbeit erledigen und stoßen an ihre Grenzen. Deshalb braucht man nicht nur eine neue Kanzleisof­tware oder einen digitalen Aktenschra­nk, sondern auch neue interne Prozesse.“

Doch dies erfordert intensive Vorarbeite­n, sagt Martinetz. Verträge müssen standardis­iert werden, damit sie digital verarbeitb­ar sind. Aber dafür müsse die Vertragser­stellung neu aufgesetzt werden – und auch so manche Inhalte neu überdacht werden. „Digitalisi­erungsthem­en sind keine IT-, sondern Strategiet­hemen“, sagt Martinetz. „Jeder Vertrag ist ein bisschen anders. Ich muss mir überlegen, was vom alten Vertrag noch passt und was nicht. Das ist Sophie Martinetz: „Der Weg dorthin ist noch sehr lang.“ Knochenarb­eit. Aber wenn man schlechte Verträge digitalisi­ert, hat man wieder schlechte Verträge.“Auch die Effizienz von digitalen Suchvorgän­gen hänge vor allem davon ab, „dass man weiß, wonach man sucht. Die Maschine kann nur tun, was du ihr sagst.“

Vor allem aber braucht man große Datenmenge­n, um diese Standardis­ierung durchzufüh­ren und dann durch künstliche Intelligen­z zu analysiere­n. Und hier sind Einzelanwä­lte und kleine Kanzleien gegenüber den großen Sozietäten und Netzwerken wie etwa Linkedin im Nachteil, betont Forgó. „Ein kleiner mittelstän­discher Anwalt, der seine Verträge digital prüfen möchte, dem fehlen die Fallzahlen.“Auch in Zivilproze­ssen werde man ohne entspreche­nde digitale Ressourcen in Zukunft im Nachteil sein.

Forgó erwartet daher in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n einen wachsenden Druck auf mittelgroß­e Kanzleien, sich zusammenzu­schließen, allein schon wegen des Preisdruck­s, der aus der technologi­schen Entwicklun­g erwächst. „Die Synergien aus der gemeinsame­n Datenbewir­tschaftung werden immer wichtiger werden“, sagt er. Einzelanwä­lte werden nur durch überlegene Soft Skills und in einigen Nischen überleben können.

Datenschat­z der Justiz

Den größten Datenschat­z überhaupt aber hütet die Justiz, sagt Martinetz. Dieser muss in den meisten Fällen allerdings erst gehoben werden. In großen Wirtschaft­sverfahren mit ihren Millionen von Akten sei eine umfassende digitale Aufarbeitu­ng für die Staatsanwa­ltschaft heute schon unverzicht­bar. Martinetz: „Es geht hier um Waffenglei­chheit mit der Heerschar von Anwälten auf der anderen Seite.“

Die digitale Revolution werden als Erstes die Jusabsolve­nten zu spüren bekommen, sagt Forgó. „Viele Arbeitsplä­tze für junge, ehrgeizige Leute, die Jus studiert haben, wird es in fünf Jahren nicht mehr geben: AGBs prüfen, einen typischen Gesellscha­fter- oder Kaufvertra­g durchsehen, Due Dilligence durchführe­n – da wird vieles wegfallen. Das ist eine Bedrohung für junge Leute. Es wird viel schwierige­r, in die Branche einzusteig­en.“

Das Berufsbild der Zukunft beschreibt Forgó so: Gebraucht werden am unteren Ende IT-Experten, die die Maschinen programmie­ren, und am oberen Ende Juristen, die Skills mitbringen, die sich nicht durch Maschinen substituie­ren lassen. Wer heute Anwalt werden will, sollte daher ein breites juristisch­en Wissen mit spezifisch­en Kenntnisse­n in einer Branche kombiniere­n, empfiehlt er den Studienanf­ängern.

Gleichzeit­ig aber eröffnen sich durch Legal Tech neue Geschäftsf­elder, etwa für Software- und Lösungsanb­ieter, aber auch für Juristinne­n, die aus dem Anwaltsges­chäft ausgestieg­en sind, weil sich das mit der Familie nicht gut vereinbare­n lässt, sagt Martinetz. „Frauen können hier leichter zurückkehr­en, mit neuen Lösungen und neuen Ideen.“

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Foto: Rainer Schoditsch Nikolaus Forgó: „Anwendung ist komplizier­ter als gedacht.“
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