Kaum Wahlkampf, große Wirkung – Weichenstellungen im Schatten
Neben dem Kongressvotum haben die US-Amerikaner in der Nacht auch weitreichende inhaltliche Entscheidungen getroffen
Mehr Nachsicht im Justizsystem
Das US-Justiz- und Gefängnissystem ist teuer, ineffizient und hart. 655 von 100.000 Einwohnern waren im Mai 2018 hinter Gittern – Weltrekord vor Diktaturen wie Turkmenistan und Kuba und dem KriminalitätsHotspot El Salvador. Der traurige Zustand war dem Economist jüngst eine große Analyse wert, die vor allem das System, in dem Staatsanwälte, Richter und Innenminister oft persönlich gewählt werden, verantwortlich macht – diese setzten im Wahlkampf auf Härte.
Wegen explodierender Kosten haben sich auch viele Republikaner Rufen nach Reform angeschlossen – doch passiert ist nicht viel. Aber: Erstmals seit Jahren stand diesmal in vielen Kampagnen für diese Posten nicht „Sicherheit“, sondern Augenmaß im Fokus. Zudem gab es einige Referenden mit dem Ziel, Härten abzuschleifen: In Ohio sollte der Besitz bestimmter Drogen von der Straftat zur Verwaltungsübertretung werden. Florida stimmte darüber ab, Ex-Häftlingen das Wahlrecht zuzugestehen.
Vorentscheidungen für die Wahl 2020
Sie sind eine oft übersehene Wurzel republikanischer Macht in den USA: Jene 99 Parlamente
in den Bundesstaaten, von denen am Dienstag 87 teils oder ganz neu besetzt wurden. Bisher hatten die Republikaner dort massiv die Überhand: Sie kontrollierten in 31 der 50 Bundesstaaten sowohl Repräsentantenhaus als auch Senat, in vier weiteren teilten sie die Macht mit einer von den Demokraten kontrollierten Kammer. In Nebraska, das eine einzelne, „nichtparteiische“Legislative hat, kontrollieren ebenso den Republikanern nahestehende Abgeordnete das Geschehen. Das ist von Bedeutung: Im dezentralen System der USA fallen viele Entscheidungen, die das tägliche Leben der Bürger betreffen, nicht in Washington.
Nach der nächsten Volkszählung im Jahr 2020 kommt in den meisten Bundesstaaten zudem den Parlamentskammern die Aufgabe zu, Wahlkreisgren
zen neu zu ziehen – das haben die Parteien zuletzt zum eigenen Nutzen getan (siehe „Gerrymandering“im Glossar oben).
Zufluchtsstaat für Flüchtlinge
Nicht nur Präsident Donald Trump hat im Finish des Wahlkampfes auf das Thema Migra
tion gesetzt – auch die Republikaner im traditionell demokratischen Oregon versuchten, ihre Wähler so zu mobilisieren. Zu diesem Zweck stand in dem Bundesstaat eine Gesetzesinitiative auf dem Wahlzettel, mit der ein Ordnungsstatut zum
Schutz von Flüchtlingen rückgängig gemacht werden sollte. Bisher dürfen laut dem Statut „keine Exekutivorgane des Staates Oregon“Mittel des Staatsbudgets zu dem Zweck einsetzen, Personen zu verfolgen, „deren einziger Gesetzesverstoß es ist, in Überschreitung nationaler Einwanderungsgesetze in den USA zu sein“. Oregon ist damit bisher ein
Sanctuary-State, in dem illegal Eingereisten keine Verfolgung droht. Umfragen vor dem Wahltag sagten dem Vorhaben, dies zu ändern, eine Niederlage voraus. Sie waren aber durchgeführt worden, bevor Trump und die Republikaner ihren Wahlkampf mit der „Flüchtlingskarawane“begannen.
Ewige Sommerzeit für Kalifornien
In Europa soll es nun doch bis 2021 dauern – in jenem Bundesstaat, der wie kaum ein anderer in den USA für Sommer und Sonne steht, soll es womöglich früher so weit sein: Die Kalifornierinnen und Kalifornier waren am Dienstag aufgefordert, in einem Referendum dem Parlament des Bundesstaates die Abstimmung über die „ewige
Sommerzeit“zu ermöglichen. Die Initiative, der Umfragen große Chancen auf Zustimmung gaben, soll noch nicht das letzte Wort sein – die regierenden Demokraten haben aber angedeutet, dass sie dem Plan positiv gegenüberstehen.
Bisherige Versuche sind gescheitert: Die zwischen 1942 und 1945 geltende „Kriegszeit“, auch sie eine permanente Sommerzeit in den USA, wurde wegen
Beschwerden von Bauern nach dem Weltkrieg wieder beendet. Während der Ölkrise 1973 ließ Präsident Richard Nixon ebenfalls ein Jahr lang die Winterzeit suspendieren. Der Versuch wurde wegen Sorgen über den dunklen Schulweg von Kindern
vorzeitig beendet.
Pferdewetten auf Videoaufnahmen
Und dann gibt es noch, so wie jedes Jahr, Abstimmungen, die eher unter dem Titel „kurios“zu vermerken sind. Eine Initiative im US-Bundesstaat Idaho will es künftig wieder erlauben, in Spiellokalen Geld auf den Ausgang historischer Pferderennen zu setzen. Die Wetten in
Videoterminals sind in dem Bundesstaat eine heiß umstrittene Frage: Sie waren schon einmal, 2013, vom örtlichen Repräsentantenhaus erlaubt und zwei Jahre später wieder verboten worden.
Hinter dem Streit verbirgt sich auch ein Konflikt zwischen der Glücksspiellobby und ihren Gegnern im Bundesstaat. Dieser selbst hat aber auch etwas davon: 0,5 Prozent aller Wetteinnahmen sollen in einen Fonds fließen, aus dem sich das unterfinanzierte öffentliche Schulsys
tem des republikanisch geführten 1,5-Millionen-EinwohnerStaates speist. (mesc)
Wie die Referenden und die Wahlen ausgegangen sind, lesen Sie Mittwoch auf p dst.at/USA und – gemeinsam mit Analysen und Kommentaren – auch im morgigen Δtandard.