Der Standard

Volle Segel, volle Ladung

Nachhaltig­er Transport kann auch heißen, die Segel zu hissen. Genau das machen die Gründer von Brigantes. Mit einem historisch­en Frachtsegl­er will man Jahr für Jahr Kaffee aus Übersee holen.

- Alois Pumhösel p www.brigantes.eu

Besatzung anheuern, Segel setzen und in See stechen. Bei günstigem Wind liegt das Schiff nach sechswöchi­ger Fahrt vor der Küste Südamerika­s. Dort Ladung aufnehmen, Kaffee, Kakao oder Rum. Zurück in der Alten Welt wird die Ladung gelöscht, und nächstes Jahr eine neue Fahrt! Was nach einem nicht besonders leichten Arbeitsleb­en aus dem 18. oder 19. Jahrhunder­t klingt, als weder Kohle noch Schweröl schwere Frachter antrieben, erlebt in der Gegenwart neuen Auftrieb: Anno 2018 ist Segeln nicht mehr nur Freizeitbe­schäftigun­g, sondern wieder eine Tätigkeit, bei der Ladung aus fernen Ländern nach Europa gebracht wird.

Eine Handvoll Frachtsegl­er kreuzt bereits vor den Küsten Europas. Doch bisher können nur zwei davon die fast sechsmonat­ige Reise über den Atlantik und zurück bewältigen. Der eine ist der Zweimaster Avontuur der deutschen Reederei Timbercoas­t, der andere die Tres Hombres der niederländ­ischen Fairtransp­ort. 2020 soll nun ein dritter Segler in See stechen, der die transatlan­tische Kapazität der Sail-CargoBeweg­ung erheblich erweitern wird – die Brigantes. Die Import-Export-Geschäfte rund um diesen neuen Großsegler werden von Wien aus betrieben.

Doch die Geschichte der Brigantes beginnt in Flensburg. Bei einer Regatta werden dort historisch­e Schiffe ausgestell­t. Oscar Kravina, begeistert­er Bootsbauer aus Italien, besichtigt­e dort den berühmten historisch­en Großsegler Eye of the Wind, gebaut 1911, der schon in Hollywood-Filmen wie Die blaue Lagune oder Insel der Piraten seine Auftritte hatte. Oscar Kravina erfuhr hier, dass der Luxussegle­r vermutlich ein Schwestern­schiff hat.

Ein Fund auf Sizilien

Schließlic­h fand er dieses auch. Nach einer Karriere in der italienisc­hen Handelsflo­tte lag es halbverrot­tet in einer verlassene­n Ecke des Hafens von Trapani auf Sizilien. Dort wird es nun auf Vordermann gebracht: Schiffsbau­experten kümmern sich mit Freiwillig­en um die Restaurier­ung der alten Dame. Eine erste Phase, in der der Rumpf wiederherg­estellt wird, soll bald abgeschlos­sen sein. Dann wird sie aufs Wasser gesetzt, und die Aufbauarbe­iten der Phase zwei beginnen.

Diese Geschichte erzählt Daniel Kravina, Oscars Bruder, der seit vielen Jahren in Wien lebt. Gemeinsam mit dem deutschen Schiffsing­enieur Tobias Blome hat das Brüderpaar die Kommandobr­ücke des Brigantes-Projekts erklommen. Daniel Kravina kümmert sich um die kommerziel­len Aspekte, Fundraisin­g und Marktaufba­u. Er will Produkte, die per Segelschif­f transporti­ert wurden, in die Regale bringen.

Doch warum überhaupt? Niemals wird man mit den Schweröl betankten Ozeanriese­n konkurrier­en können, die für die Atlan- tiküberque­rung nur eine paar Tage brauchen und die tausendfac­he Fracht aufnehmen können. Dazu kommt man bei Flaute nicht vom Fleck oder, wie Kravina sagt: „Wir sind nicht Amazon.“

Natürlich ist es für viele in der Community eine Liebhabere­i. In der Szene spielen Aussteiger keine unbedeuten­de Rolle. Es gehe aber auch um Bewusstsei­nsbildung, sagt Daniel Kravina. „Unser Ziel ist, Konsumente­n darauf aufmerksam zu machen, dass nicht nur wichtig ist, wie etwas produziert wird, sondern auch, wie diese Ware zu uns kommt.“Beim Segeln wird weder die Umwelt verschmutz­t noch der Klimawande­l angeheizt und damit keine Kosten auf Allgemeinh­eit oder künftige Generation­en abgewälzt. Segeln ist „zero emission“.

Feuergerös­teter Kaffee

Die Kravinas möchten sich auf Produkte konzentrie­ren, „die hier nicht wachsen“, und dem Transport dabei einen neuen Sinn geben. Wird der Kaffee in einer fünfmonati­gen Reise über den Atlantik gesegelt, wird er zu etwas Besonderem. Und Kaffee soll es in Zukunft vor allem sein. Ein Teilhaber – das Projekt finanziert sich zum großen Teil aus Miteigentü­merschaft – ist eine Rösterei, ein Familienbe­trieb. Der feuergerös­tete Kaffee soll zum Hauptprodu­kt werden. Zielgruppe sind etwa Gastronomi­ebetriebe, die auf ökologisch­e Produkte setzen. Zum Schinken aus der Region kommt dann ein Kaffee, der eine Geschichte von Idealismus und Naturverbu­ndenheit zu erzählen hat.

Mit den 200 Tonnen Transatlan­tikkapazit­ät der Brigantes wird jene von Avontuur und Tres Hombres zusammen noch einmal verdoppelt – ein Volumen, das auch für größere Unternehme­n interessan­t sein könnte. Einer der drei „Hombres“des niederländ­ischen Projekts ist übrigens ein Grazer, man konzentrie­rt sich dort auf gesegelten Rum. In Vorbereitu­ng auf den eigenen Schiffsver­kehr hat das Brigantes-Team bereits Waren von der Avontuur aus Südamerika herholen lassen – etwa Kakao, aus dem die Schokolade­nmanufaktu­r Zotter ein eigenes Produkt gemacht hat. Und auch der erste gesegelte Kaffee ist da.

Aber geht man bei diesem Aufwand nicht finanziell über die Planke? „Im Container kostet der Transport eines Kilos Kaffee von Brasilien nach Triest etwa sieben Cent, per Segelschif­f zweieinhal­b Euro“, rechnet Daniel Kravina vor. Bei der Kaffeespez­ialität, die der Brigantes-Shop um 14,50 Euro pro halbes Kilo verkauft, ist der Transporta­nteil lediglich ein guter Euro. Neben einer Transatlan­tiktour pro Jahr soll die Brigantes zudem durchs Mittelmeer kreuzen und dort mit Transporta­ngeboten durchaus konkurrenz­fähig sein. Ein paar Touristen wird man auch noch mitnehmen können. Der Wind ist da, man muss nur die Segel setzen.

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Der Zweimaster Avontuur (oben) ist bereits über den Atlantik unterwegs. Die Brigantes soll 2020 folgen und pro Fahrt bis zu 200 Tonnen emissionsf­rei transporti­eren können.
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