Der Standard

Verantwort­ung für ein menschenwü­rdiges Leben

Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Diese Frage wird häufig nur mit Automatisi­erung in Verbindung gebracht. Tatsächlic­h geht es bei der Gestaltung der Arbeitswel­t um weit mehr, zum Beispiel um leistbare Wohnungen und öffentlich­e Infrastruk­tur.

- Barbara Prainsack

Im Juli wurde in Berlin eine Ausstellun­g über die Zukunft der Arbeit eröffnet. Das deutsche Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung lud die Bevölkerun­g ein, „die Symbiose von Mensch und Maschine (zu) erleben sowie in interaktiv­en Spielen in neue Arbeitswel­ten ein(zu)tauchen“. Als ich, kaum drei Wochen nach der Eröffnung, die Ausstellun­g besuchte, waren die Batterien der Augmented-Reality-Brillen leer, Roboterarm­e ließen sich nicht bewegen, und das Bild eines Videos, in dem ein Juniorprof­essor den Ausstellun­gsbesucher­n erklärte, dass man sich am besten für den Arbeitsmar­kt der Zukunft rüstet, indem man selbst versucht, wie ein Roboter zu denken, war eingefrore­n.

Was als düstere Vorahnung eines Arbeitsall­tags in der Zukunft gedeutet werden könnte, ist vielmehr symbolisch für die Schwierigk­eit, diesen vorherzusa­gen. Es gibt zu viele unbekannte Faktoren. Sieht man sich etwa die Studien über die Auswirkung­en der Automatisi­erung auf den Arbeitsmar­kt an, dann zeigt sich schon allein in diesem Bereich ein sehr widersprüc­hliches Bild: Während einige Studien prognostiz­ieren, dass in industrial­isierten Ländern bis zu 50 Prozent der heute existieren­den Arbeitsplä­tze verlorenge­hen werden, sagen andere voraus, dass Automatisi­erungsproz­esse neue Arbeit für Menschen schaffen werden (wie zum Beispiel neue Berufe, die maschinell­e Analysen in die Praxis „übersetzba­r“machen).

Außerdem wird vorausgesa­gt, dass durch sinkende Nachfrage nach ungelernte­n Arbeitskrä­ften viele Jobs aus Niedrigloh­nländern in politisch stabilere, reichere Länder zurückkehr­en werden („re-shoring“). Diese sehr unterschie­dlichen Prognosen zeigen, dass die Ergebnisse stark von den Annahmen abhängen, die den einzelnen Modellen zugrunde liegen. Dazu kommt, dass viele Studien von Unternehme­n publiziert werden, die kommerziel­le Interessen an diesem Thema haben, etwa von Unternehme­nsberatung­skonzernen.

Egal welcher Seite man Glauben schenkt, eines ist sicher: Die Form und Rolle der Arbeit in unserer Gesellscha­ft ändert sich gerade grundlegen­d. Schuld daran sind allerdings nicht nur Automaten und Roboter. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, ist unseren politische­n Entscheidu­ngen geschuldet. Sie ist auf eine Politik zurückzufü­hren, die es möglich macht, dass Löhne nicht mit der steigenden Produktivi­tät mithalten; dass durch atypische Beschäftig­ungsverhäl­tnisse der Schutz arbeitende­r Menschen umgangen wird; und dass durch die „Flexibilis­ierung“des Wohnungsma­rkts die Mieten steigen.

Wer wird wie und wo arbeiten

Zudem führen geopolitis­che und demografis­che Veränderun­gen, die in vielen Weltregion­en eng mit dem Klimawande­l verknüpft sind, zu Veränderun­gen in der Frage, wer wie und wo arbeitet. Gesellscha­ften im globalen Norden altern, während aus anderen Ländern Menschen aufgrund von Gewalt, Naturkatas­trophen und den damit verbundene­n hoffnungsl­osen ökonomisch­en und politische­n Bedingunge­n flüchten. Reiche und alternde Gesellscha­ften sind in immer größerem Ausmaß von jüngeren Menschen, die Pflegeleis­tungen erbringen und in Sozialvers­icherungss­ysteme einzahlen, abhängig. Dieses Problem ist allein mit dem Anheben des Pensionsal­ters in OECD-Ländern nicht zu lösen; genauso wenig hilft ein hegemonial­er Diskurs, der Migration als „Bedrohung“sieht. Die Zukunft ist schon da.

Eine weitere wesentlich­e Herausford­erung betrifft die Frage, welche Fähigkeite­n und Kenntnisse am Arbeitsmar­kt der Zukunft noch Wert haben. Auch hier gibt es unter den Expertinne­n und Experten wenig Einigkeit: Einige appelliere­n dafür, dass Kinder bereits im Volksschul­alter damit beginnen sollen, programmie­ren zu lernen. Andere sagen, dass wir in einer Zeit, in der wir mit Computern nicht mehr über Programmie­rsprachen und sperrige Tastaturen, sondern über einfache Spracheing­aben und Gesten kommunizie­ren können, ganz andere Fähigkeite­n brauchen: Anstatt zu versuchen, selbst zu Computern zu werden, sollten wir besser jene Fähigkeite­n wie Kreativitä­t und Empathie, die uns Menschen eigen ist, ausbauen: „Being human is not a bug but a feature.“

Die Frage, welche Fähigkeite­n Menschen in der Zukunft brauchen, um sich nicht nur am Arbeitsmar­kt, sondern in einer sich stark verändernd­en Gesellscha­ft behaupten zu können, muss baldigst geklärt werden. Sie ist nicht nur vor dem Hintergrun­d einer dringend notwendige­n Reform von Schulund Ausbildung von Bedeutung, sondern sie wirft auch die Frage nach dem Schicksal jener Menschen auf, die diese Fähigkeite­n nicht haben oder nicht erwerben können. Die Antwort auf diese Frage kann nicht lauten, dass, wer sich nicht „upskillen“kann, selbst schuld ist. Als Gesellscha­ft haben wir eine kollektive Verantwort­ung dafür, jedem Menschen ein menschenwü­rdiges Leben zu ermögliche­n. Wenn wir diesem Grundsatz abschwören, dann sind wir kein Staat mehr, sondern eine Firma.

Ein wesentlich­es Element menschenwü­rdigen Lebens ist leistbarer Wohnraum. Ein wichtiger Grund dafür, dass Wien als eine der lebenswert­esten Großstädte der Welt gilt, liegt darin, dass Wohnraum lange Zeit leistbar und kein Spekulatio­nsobjekt war. In vielen anderen Städten der Welt können sich nur noch die Superreich­en das Wohnen in der Stadt leisten. Das Resultat sind nicht nur entseelte Städte, deren Fassaden von internatio­nalen Restaurant- und Kaufhauske­tten geprägt sind, sondern auch die Bedrohung zentraler Funktionen des Zusammenle­bens: Krankenhäu­ser und Schulen können offene Stellen nicht mehr nachbesetz­en, weil „normale“Menschen sich die Mieten in der Stadt nicht leisten können.

Diese Situation können wir in Österreich noch verhindern, wenn wir uns dazu bekennen, dass Wohnraum kein Spekula- tionsobjek­t sein darf, dass guter und leistbarer Wohnraum für eine wachsende Bevölkerun­g zur Verfügung steht und dass Mietreguli­erung keine Knebelung der Eigentümer und Eigentümer­innen, sondern eine notwendige Bedingung für lebenswert­e Städte und sozialen Frieden darstellt. Auch leistbares Wohnen ist ein Teil der Zukunft der Arbeit.

Staatsloya­lität bewerten

Nicht zuletzt müssen wir auch den Status von Daten klären. Daten werden als die „Motoren“unserer Gesellscha­ft gesehen oder als das „neue Öl“bezeichnet. Immer weitere Bereiche unseres öffentlich­en und privaten Lebens werden „datafizier­t“, also digital aufgezeich­net. Unsere Daten können für eine Reihe von Zwecken genutzt werden, von medizinisc­her Forschung über Arbeitspla­tzüberwach­ung bis hin zum „citizen scoring“, der quantitati­ven Bewertung der Vertrauens­würdigkeit von Bürgern mit dem Zweck, die dem Staat gegenüber weniger loyalen von Krediten, Versicheru­ngen oder sogar Gesundheit­sleistunge­n auszuschli­eßen. Es ist dringend notwendig zu klären, welche dieser dateninten­siven Praktiken aufgrund ihres öffentlich­en Nutzens unsere Unterstütz­ung verdienen und welche wir nicht dulden wollen.

Für alles, was dazwischen­liegt, muss sichergest­ellt werden, dass ein Teil der Profite, die mit den persönlich­en Daten von Menschen erzielt werden, in öffentlich­e Töpfe zurückflie­ßen. Dieses Geld kann in öffentlich­e Infrastruk­tur investiert werden. Wenn in 100 Jahren Staaten nicht mehr darum konkurrier­en, wer mit den besten Steuerzuck­erln die Großkonzer­ne anlocken kann, sondern darum, wer am meisten in seine Bürger und Bürgerinne­n und in öffentlich­e Infrastruk­tur investiert, dann haben wir einen großen Teil der Herausford­erung um die Zukunft der Arbeit gelöst.

BARBARA PRAINSACK, geboren 1975 in Klagenfurt, studierte Politikwis­senschafte­n in Wien. Sie promoviert­e in Regulierun­g der embryonale­n Stammzellf­orschung. Zurzeit ist sie Professori­n für Vergleiche­nde Politikfel­danalyse an der Fakultät für Sozialwiss­enschaften sowie Mitglied der österreich­ischen Bioethikko­mmission.

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Barbara Prainsack will den Ausblick auf die Arbeitswel­t der Zukunft nicht auf die Folgen der Automatisi­erung beschränke­n.

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