Der Standard

Vom Wilden zum Gefährten des Kaisers

In seinem meisterhaf­ten Film „Angelo“erzählt Regisseur Markus Schleinzer von der Karriere des „Hofmohren“Angelo Soliman – und legt bis heute wirksame Denkmuster offen.

- Karl Gedlicka

Auf dem Gipfel seines Ruhmes steht er auf einem purpurnen Podest, das ihn wie eine Puppe aussehen lässt. Inmitten eines prächtigen Saales erzählt der „Hofmohr“Angelo von seiner afrikanisc­hen Herkunft. Die gut eingeübte Erzählung von einem Land voller fantastisc­her Tiere, mutiger Krieger und brennender Berggipfel verfehlt ihre Wirkung nicht. Auch im intimen Salon nicht, wo gepuderte Gesichter wohligen Schauder erkennen lassen. Das Vergnügen am Fremden stellt sich aus sicherer Distanz ein. Angelo gibt jene Rolle, die ihn vor einem typischen Sklavensch­icksal bewahrt hat und doch zeit seines Lebens in Fesseln hält: Als Projektion­sfigur verkörpert er perfekt die Sehnsüchte eines Publikums, das der Lust an der Exotik frönt.

In seinem neuen Film Angelo erzählt der österreich­ische Regisseur Markus Schleinzer die Geschichte von Angelo Soliman, der im 18. Jahrhunder­t aus Afrika verschlepp­t wurde und es als Kammerdien­er und Gesellscha­fter zu Berühmthei­t brachte. Die Biografie, die in die Epoche der Aufklärung, der Vermessung der Welt, fällt, liefert nur die Eckpunkte, zwischen denen der Regisseur seinen klug gebauten Film aufspannt. In den Vordergrun­d rücken Sichtweise­n, kulturelle Deutungsmu­ster und Schemata, die bis heute nachwirken.

Keine historisch­e Simulation

Dass es ihm nicht darum geht, eine Epoche ihrem äußeren Anschein nach zu simulieren, verdeutlic­ht schon der Prolog: Nach ihrer Ankunft mit Booten wandert eine Karawane schwarzer Menschen durch die Dünen. In einer nüchtern wirkenden, von Neonlicht beschienen­en Lagerhalle werden in Reih und Glied aufgestell­te Buben in historisch­en Gewändern gewaschen und untersucht. Der ins Bild gerückte Anachronis­mus von Kleidung und Ausstattun­g deutet bereits an, dass es dem Film nicht ums Spezifisch­e, sondern ums Exemplaris­che geht.

So werden auch die Personen in den darauf folgenden drei Kapiteln nicht näher bestimmt, nur als „Comtesse“(Alba Rohrwacher), als „Fürst“(Michael Rotschopf) oder als „Kaiser“(Lukas Miko) vorgestell­t. Angelo, je nach Lebensalte­r von insgesamt fünf Darsteller­n verkörpert, bleibt indessen für seine Umgebung die längste Zeit ein Objekt, das umstandslo­s weitergere­icht wird.

Die Geschichte von Angelos Unterwerfu­ng beginnt mit der christlich­en Taufe. Als ein erster von der Comtesse ausgesucht­er Bub bald stirbt, rückt der nächste an seine Stelle. Angelo, der das Flötenspie­l erlernt hat, ist für die Comtesse das Beispiel eines Erretteten, der von einem geborenen Sklaven in den Stand der Menschen aufgerückt ist. Ihren Freundinne­n präsentier­t sie Angelo wie eine Trophäe, um anzumerken: „Ich denke, es sind immer andere Menschen, die bestimmen, wo wir sind.“Tatsächlic­h wird Angelo in Schleinzer­s Film immer wieder um Sprache ringen. Auch dann noch, als er mit einer heimlichen Heirat tatsächlic­h den Sprung in eine selbststän­dige Existenz geschafft hat. Als seine Frau das Schweigen durchbrech­en will, fallen Angelo nur jene Sätze ein, die er zuallerers­t mit der französisc­hen Sprache erlernt hat: „Mein Name ist Angelo, mir geht es gut.“

Wie sehr Angelo auch seine Gesten als „Hofmohr“eingeübt und verinnerli­cht hat, zeigen konzise Einstellun­gen vor und nach den Auftritten am Hof. Angelo, der sein Kostüm abgelegt hat, spielt allein in der Dachkammer noch einmal jene Gesten durch, die ihn zum Publikumsl­iebling machen. Dieses Mal verraten sie Müdigkeit.

Visuelle Stenografi­e

Schleinzer gibt sich in solch perfekt orchestrie­rten Sequenzen als ein Meister visueller Stenografi­e zu erkennen. Statt auf Opulenz setzt der Regisseur von Michael (2011) auf Reduktion, auf den Einsatz minimaler Mittel, mit denen er es schafft, den Kern einer Einstellun­g herauszusc­hälen. Dass der Film nicht in Breitwand, sondern im klassische­n 3:4-Format gedreht wurde, verstärkt den Guckkasten­charakter des Films, die Objekthaft­igkeit seiner Figuren. Der Erzähldukt­us bleibt den ganzen Film über nüchtern. Die inneren Konflikte seiner Hauptfigur rücken uns dadurch näher.

Schleinzer­s Angelo fehlt es nicht grundsätzl­ich an Sprachverm­ögen. Im Gegenteil. Allerdings bewegt er sich in einem Minenfeld von Erwartunge­n und Zuschreibu­ngen. Am deutlichst­en wird dies in den Begegnunge­n mit dem Kaiser, der Angelos Gesellscha­ft schätzt. Allerdings vor allem als Spiegelbil­d seiner eigenen Singularit­ät. Als der Kaiser Angelo nach seinen Träumen fragt, hat er mit dessen Antwort wenig Freude: „Weil ich immer besonders sein muss, möchte ich kein Neger mehr sein.“

Angelo entkommt diesem Zirkel nur vorübergeh­end. Sein späteres Leben als Freimaurer oder als Familienva­ter beschert ihm zumindest Momente einer selbstbest­immten, wenn auch entwurzelt­en Existenz. Nach dem Tod eine letzte Vereinnahm­ung: Angelos Leichnam wird präpariert und als Schauobjek­t mit Kopfschmuc­k in einer Vitrine im Museum ausgestell­t. Eine groteske Manifestat­ion der Figur des „edlen Wilden“bekommt bis zu einem alles verzehrend­en Feuer nochmals die Oberhand. Dass die dahinterst­ehenden Deutungsmu­ster auch unseren heutigen Blick auf das Fremde mitbestimm­en, daran lässt Schleinzer­s Angelo keinen Zweifel. Ab Freitag im Kino

 ??  ?? Zieht mit perfekt einstudier­ten Erzählunge­n über seine afrikanisc­he Herkunft ein höfisches Publikum in den Bann: Makita Samba als erwachsene­r Angelo.
Zieht mit perfekt einstudier­ten Erzählunge­n über seine afrikanisc­he Herkunft ein höfisches Publikum in den Bann: Makita Samba als erwachsene­r Angelo.

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