Der Standard

Mit John Cage am Rouletteti­sch der Töne

Im Konzerthau­s wurde dem Musikzufal­l gehuldigt

- Ljubiša Tošić

Komponist und Musikphilo­soph John Cage entwarf gerne flexible Musikräume, versetzte Publikum originell in Bewegung und ließ selbiges während Klangperfo­rmances innehalten. So formte er soziale Hörskulptu­ren. Es ist denn auch in seinem Sinne, wenn das Konzerthau­s bei Wien Modern ungewohnt und großzügig viel Auslaufpla­tz einräumt. Die mobilen Gruppen der Interessie­rten, die von Hörstation zu Hörstation wandern, finden sich zunächst in einem nahezu stuhlfreie­n großen Saal wieder.

Mittendrin steht ein Rouletteti­sch, auf dem Cages Kompositio­n, Variation IV, angebahnt wird. Im Frack strahlt Festivaldr­amaturg Bernhard Günther und hebt die Partitur, um deren Besonderhe­it zu demonstrie­ren. Sie besteht aus ein paar Sätzen, Variation IV enthält keine Klänge. Sie ist eine durch Zufallsope­rationen geprägte Handlungsa­nweisung, wann und wo Musik erklingen könnte. Welche Musik auch immer.

Die Musikkugel rollt

Im Konzerthau­s (das auch den Schubertsa­al, Foyer und Pausenräum­e adaptiert hat) wird Cages Rahmen mit dem Klassiker der Moderne Luciano Berio „befüllt“: Studierend­e der Musik und Kunst Privatuniv­ersität interpreti­eren jene Reihe von 14 Solostücke­n, die zu Sequenze gebündelt wur- den. Wo und wann sie ertönen, entscheide­t hier der Zufall, der einerseits dem Rouletteti­sch überantwor­tet wurde. Anderersei­ts entscheide­t ein Plan der Konzertloc­ations, auf den Folienschn­ipsel fallen gelassen werden.

Ins Lokal mit Cage

Das ist vereinfach­t ausgedrück­t. Die aleatorisc­he Entscheidu­ng lässt jedenfalls Flora Marlene Geißelbrec­ht im Großen Saal mit Sequenza VI für Viola beginnen. Impulsiv, konsequent wild klingt das, während aus dem Schubertsa­al bald – durch die Distanz – malerisch anmutende Klavierklä­nge herübersch­wingen (Petar Kostov mit Sequenza IV). Harfenisti­n Veronica Klavzar hat später tatsächlic­h tendenziel­l diskrete Arpeggiost­rukturen umzusetzen (Sequenza II). Sie tut es pointiert.

Ein paar Stufen tiefer über dem Foyer Anna Overbeck mit Sequenza III: Ein Sopran durchlebt hier ariose Stimmungen, die mit lautmaleri­schen Dramamonol­ogen garniert werden. Szene eines aufgewühlt­en Selbstgesp­rächs, das hier auf Ideen von Cage trifft.

Den Moderator des Zufalls trifft man bei Wien Modern auch im Café Cage: Pianist Marino Formenti wird (26. 11. im Ungar Grill, 27. 11. im Zweistern Café Bar Bistro, abends) dessen Klaviermus­ik spielen. Andächtige Stille fordert er nicht. Der obligate Gastrobetr­ieb darf gewohnt dezibelfre­udig weitergehe­n. Dessen Sound hätte Cage ja auch für Musik gehalten. p www.wienmodern.at

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