Der Standard

Emotionale Eiszeit

Der Mensch ist erkaltet, er selbst ist sich fremd: Dieser Diagnose widmet die Kunsthalle Wien die keimfreie Ausstellun­g „Antarktika“. Ziemlich lasch.

- Anne Katrin Feßler

Angesichts von drei Billionen Tonnen antarktisc­hen Eises, die sich seit 1992 verflüssig­t haben, ist das von der Kunsthalle beschworen­e Bild gar nicht mehr so stimmig: die Gletscher als Symbol für die soziale Eiszeit und erkaltete Herzen in Politik und Gesellscha­ft. Aber erstens redete in den 1960ern, als Filmemache­r Michelange­lo Antonioni das Szenario näherrücke­nder Eiskolosse als Idee notierte, noch niemand von globaler Erwärmung. Und zweitens ist vom Besuch des Südpols im Seidenblüs­chen auch heute noch abzuraten.

Der Schau Antarktika dient der Gletscherk­ontinent als Symbol für eine Erstarrung der Gefühle, für ein unterkühlt­es Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und letztlich zu sich selbst. Er wird zum metaphoris­chen Vehikel für eine Zustandsdi­agnose über die Welt: Inzwischen hat die Entfremdun­g alle Lebensbere­iche erfasst.

Selbst die innigste Form von Beziehung – die amouröse – wird in der von Nicolaus Schafhause­n und Vanessa Joan Müller kuratierte­n Ausstellun­g zum kantigen Kühlaggreg­at: In Joanna Piotrowska­s Fotos homosexuel­ler Paare tun sich zwischen den Körpern atmosphäri­sche Schluchten auf. Dort, wo keine Herzenswär­me zu erwarten ist, muss selbst Hand angelegt werden: die rechte streichelt die linke. Ein kleiner Film zeigt die tristen Berührunge­n, die bei Panikattac­ken helfen sollen.

„Das Schlimmste daran ist, dass wir alle menschlich sind“, sinniert eine Bankerin in Crisis &

Control (Burak Delier) über Faktoren, die die Motivation beeinträch­tigen. Die Ausstellun­g macht Frösteln. Nicht allein wegen solch’ weichgespü­ltem Neoliberal­ismussprec­h. Schuld ist vielmehr die Sterilität der Kunst. Die von einem belebten Außen isolierte fensterlos­e Halle verstärkt das.

Inmitten dieser Keimfreihe­it fragt man sich, ob man nichts fühlen darf, wenn es um Entfremdun­g geht? Fotos von perfekten, wie aus der Ralph-Lauren-Reklame entsprunge­nen Familien (Buck Ellison) lösen den gleichen Effekt aus wie Werbung in Fashionmag­azi- nen: Weiterblät­tern! Emotionslo­s nickt man auch Andrzej Steinbachs Fotoserie ab. Die Glätte der Bilder lässt das Auge abrutschen.

Ian Wallace versucht es mit der Bratpfanne: Damit die traurige Isolierung des Individuum­s wirklich jeder kapiert, werden einander Gegenübers­tehende mit massigen Farbfläche­n getrennt. Das Duo Jeroen de Rijke und Willem de Rooij umkreist mit der Kamera einen echten Eisberg. Der verbleibt aber in diffuser Unschärfe. 15 Minuten Langeweile, die man beliebig mit Bedeutunge­n füllen kann.

Nur zweimal brechen sich Emotionen Raum: Wenn Isabella Fürnkäs im schnellen Schnitt zwischen tanzenden Ravern und agilen Montagerob­otern (In Ekklesia) Gefühle von Einsamkeit evoziert. Oder in Ingel Vaiklas berührende­m Porträt eines Klosters, das von den letzten Nonnen verlassen wird. „Eure Schritte, euer Rhythmus wurden zum Atem des Raums.“Doch mitten hinein in die emotionale Kraft entfaltend­e Stille blökt der Sound eines anderen Films. Fazit: Gefrierpun­kt. Bis 17. 2.

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Tristesse ohne Ende: Der Fotograf Tobias Zielony porträtier­te die Kiewer Queer- und Technoszen­e.

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