Emotionale Eiszeit
Der Mensch ist erkaltet, er selbst ist sich fremd: Dieser Diagnose widmet die Kunsthalle Wien die keimfreie Ausstellung „Antarktika“. Ziemlich lasch.
Angesichts von drei Billionen Tonnen antarktischen Eises, die sich seit 1992 verflüssigt haben, ist das von der Kunsthalle beschworene Bild gar nicht mehr so stimmig: die Gletscher als Symbol für die soziale Eiszeit und erkaltete Herzen in Politik und Gesellschaft. Aber erstens redete in den 1960ern, als Filmemacher Michelangelo Antonioni das Szenario näherrückender Eiskolosse als Idee notierte, noch niemand von globaler Erwärmung. Und zweitens ist vom Besuch des Südpols im Seidenblüschen auch heute noch abzuraten.
Der Schau Antarktika dient der Gletscherkontinent als Symbol für eine Erstarrung der Gefühle, für ein unterkühltes Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt und letztlich zu sich selbst. Er wird zum metaphorischen Vehikel für eine Zustandsdiagnose über die Welt: Inzwischen hat die Entfremdung alle Lebensbereiche erfasst.
Selbst die innigste Form von Beziehung – die amouröse – wird in der von Nicolaus Schafhausen und Vanessa Joan Müller kuratierten Ausstellung zum kantigen Kühlaggregat: In Joanna Piotrowskas Fotos homosexueller Paare tun sich zwischen den Körpern atmosphärische Schluchten auf. Dort, wo keine Herzenswärme zu erwarten ist, muss selbst Hand angelegt werden: die rechte streichelt die linke. Ein kleiner Film zeigt die tristen Berührungen, die bei Panikattacken helfen sollen.
„Das Schlimmste daran ist, dass wir alle menschlich sind“, sinniert eine Bankerin in Crisis &
Control (Burak Delier) über Faktoren, die die Motivation beeinträchtigen. Die Ausstellung macht Frösteln. Nicht allein wegen solch’ weichgespültem Neoliberalismussprech. Schuld ist vielmehr die Sterilität der Kunst. Die von einem belebten Außen isolierte fensterlose Halle verstärkt das.
Inmitten dieser Keimfreiheit fragt man sich, ob man nichts fühlen darf, wenn es um Entfremdung geht? Fotos von perfekten, wie aus der Ralph-Lauren-Reklame entsprungenen Familien (Buck Ellison) lösen den gleichen Effekt aus wie Werbung in Fashionmagazi- nen: Weiterblättern! Emotionslos nickt man auch Andrzej Steinbachs Fotoserie ab. Die Glätte der Bilder lässt das Auge abrutschen.
Ian Wallace versucht es mit der Bratpfanne: Damit die traurige Isolierung des Individuums wirklich jeder kapiert, werden einander Gegenüberstehende mit massigen Farbflächen getrennt. Das Duo Jeroen de Rijke und Willem de Rooij umkreist mit der Kamera einen echten Eisberg. Der verbleibt aber in diffuser Unschärfe. 15 Minuten Langeweile, die man beliebig mit Bedeutungen füllen kann.
Nur zweimal brechen sich Emotionen Raum: Wenn Isabella Fürnkäs im schnellen Schnitt zwischen tanzenden Ravern und agilen Montagerobotern (In Ekklesia) Gefühle von Einsamkeit evoziert. Oder in Ingel Vaiklas berührendem Porträt eines Klosters, das von den letzten Nonnen verlassen wird. „Eure Schritte, euer Rhythmus wurden zum Atem des Raums.“Doch mitten hinein in die emotionale Kraft entfaltende Stille blökt der Sound eines anderen Films. Fazit: Gefrierpunkt. Bis 17. 2.