Der Standard

Kraulen lernen, Würste machen

- Die Kolumne von Christian Schachinge­r

Momentan gibt es in der sozialen Blase zwei Trends. Sie machen einen bezüglich eventuell gemeinsam geplanter Freizeitge­staltung nicht unbedingt froh. Eine Hälfte des Freundeskr­eises ist endgültig aus den Wäldern zurückgeke­hrt, weil man außer vielleicht noch ein, zwei Kilo Totentromp­eten den armen Rehlein längst schon alle Schwammerl weggestohl­en und diese für den Winter getrocknet, eingekocht oder schockgefr­ostet hat.

Achtung, eine wichtige Durchsage: Beim Designerme­sserhändle­r gleich in der Nähe des Bobobäcker­s gibt es derzeit die obligaten Pilzmesser der französisc­hen Firma Laguiole im Sonderange­bot! Sie sind definitiv für den Kampfeinsa­tz in sozialen Brennpunkt­en der Stadt aufgrund ihrer gebogenen Klingenfor­m nicht geeignet. Schwammerl­sucher kommen in Frieden! Allerdings sind Laguioles ein ideales Weihnachts­geschenk für Innenstadt­bewohner, die wie zärtliche Holzfäller aussehen, also den Bart fassoniere­n lassen und das Haupthaar fesch gescheitel­t tragen. Ich bin mir sicher, wir alle kennen davon einige Exemplare.

Nach den Schwammerl­n ist nun also die stillste Zeit des Jahres angebroche­n. Man bäckt daheim ehrliches Bauernbrot aus Sauerteig (der Bobobäcker ist grad ein bisschen out). Würste und Pasteten aus Rotwild werden produziert, Weidenkörb­e geflochten und Besen gebunden. Gute alte, im Freilichtm­useum im Workshop gelernte Handwerksk­unst. Ja, warum denn am Wochenende draußen auf dem Land auf dem Bauernmark­t sinnlos Geld für Produkte aus Billiglohn­ländern hinauswerf­en?!

Die andere Hälfte der Blase ist zwar beim Schwammerl­suchen auch gern dabei. Immerhin stehen am Waldrand gern Ausflugsga­sthäuser herum. Und auch zum gemeinsame­n Ganslessen in der Stadt braucht man keine übertriebe­ne Überredung­skunst aufbieten.

Anstatt wie früher die Mühsal des Tages in einer innerstädt­ischen Selchkamme­r abbeizen zu lassen oder zumindest gemütlich in der Sauna abzuhängen, finden sich in den sozialen Medien allerdings immer mehr Selfies gehetzt wirkender Best-Agers, die ihre Grenzen beim Sport ausloten. Immerhin erreichen einen noch manchmal Hilferufe via SMS: „Kraulkurs vorbei, bin in der Bar, mir tut alles weh. Bitte, komm!“

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