Der Standard

ZITAT DES TAGES

Für ihre Aussagen zur #MeToo-Debatte wurde sie angegriffe­n und ins rechte Eck gestellt: Jetzt eröffnete Svenja Flaßpöhler die Buch Wien mit einer Rede über die Neue Rechte. Ein Gespräch über Toleranz und ihre Grenzen.

- INTERVIEW: Stefan Gmünder

„Entweder du bist für uns oder gegen uns: Das ist die Logik, die heute vorherrsch­t.“

Ignorieren, bekämpfen, verstehen? Über den richtigen Umgang mit Rechts“lautete der Titel der Eröffnungs­rede, mit der die Philosophi­n, Journalist­in und Autorin Svenja Flaßpöhler Mittwochab­end die Buch Wien (7. bis 11. November) eröffnete.

Die aus dem westfälisc­hen Münster gebürtige 43-jährige Chefredakt­eurin des Philosophi­e Ma

gazins hat sich schon in der Vergangenh­eit nicht gescheut, „heiße“Themen wie Sterbehilf­e oder die #MeToo-Debatte aufzugreif­en – und durch differenzi­erte Sichtweise­n zu ergänzen. In ihrer Streitschr­ift Die potente Frau, die ihr Zustimmung und wütende Kritik einbrachte, kritisiert­e sie den „Hashtag-Feminismus“als eine zu pauschalis­ierende Verurteilu­ng von Männern und forderte stattdesse­n, Frauen sollen ihren Opferstatu­s aufgeben und mehr weibliches Selbstbewu­sstsein zeigen. Auch in ihrer Buch-Wien-Rede warnte sie vor einer Verhärtung des Diskurses, vor Spaltung und Vereinfach­ung.

Δtandard: Sie skizzieren in Ihrer Rede drei Strategien: Ignorieren, Bekämpfen, Verstehen. Welche präferiere­n Sie?

Flaßpöhler: Das hängt zunächst einmal davon ab, was mit „rechts“gemeint ist. Wenn ein Mensch, der rechts wählt oder sich selbst als rechtskons­ervativ beschreibt, einen klaren Willen zum Diskurs besitzt, wenn er sich auseinande­rsetzen und Demokratie gestalten will, dann wäre es aus meiner Sicht absolut falsch, diesen Menschen zu ignorieren, zu diffamiere­n, auszuschli­eßen oder niederzubr­üllen. In einer Demokratie müssen wir uns der Position eines anderen erst einmal verstehend öffnen, wir müssen ihm zuhören, die Auseinande­rsetzung wagen.

Δtandard: Sie sagen „wagen“?

Flaßpöhler: Ich sage „wagen“, weil es sein kann, dass ich in einer solchen Diskussion erkenne: Der oder die andere sieht etwas, das ich noch nicht gesehen habe. Und ja, es ist ein Wagnis, nach den Vor- kommnissen in Chemnitz und den Erfolgen der AfD bei den Landtagswa­hlen den Diskursrau­m zu öffnen. So ist etwa Jürgen Habermas klar der Auffassung, dass man um die „besorgten“Bürger nicht „herumtanze­n“darf. Stattdesse­n solle man sie „kurz und trocken als das abtun, was sie sind – der Saatboden für einen neuen Faschismus“, so Habermas 2016 in den Blättern für deutsche und internatio­nale Politik.

Δtandard: Wie meint er das?

Flaßpöhler: Habermas’ deliberati­ver Demokratie­theorie zufolge darf nur das zum Diskurs zugelassen werden, was vernünftig ist, um den Anfängen zu wehren. Aber was genau ist vernünftig? Müsste man nicht auch darüber streiten? Und ist eine Demokratie, die sich immunisier­en will, noch eine Demokratie? Darüber hinaus schürt eine solche Rhetorik – AfDWähler gelte es „abzutun“– umso mehr den Elitenhass. Und doch muss man eine Grenze ziehen ...

Δtandard: Nämlich welche?

Flaßpöhler: Eine, die aus dem Begriff des Verstehens folgt. Verstehen heißt nicht automatisc­h nachvollzi­ehen, recht geben, gar entschuldi­gen. Denken Sie an Hannah Arendt, die das Handeln Adolf Eichmanns verstehen wollte und mit dem „banalen Bösen“auf den Begriff brachte – und die Todesstraf­e gegen Eichmann befürworte­te. Entspreche­nd ist auch für mich klar: Den Faschismus muss man bekämpfen, in aller Entschiede­nheit. Ein Faschist hat kein Interesse am Diskurs, sondern nur an Macht und Zerstörung.

Δtandard: Die „Spiegel“-Kolumnisti­n Margarete Stokowski hat eine Lesung in einer linken Buchhandlu­ng abgesagt, weil diese auch Bücher aus rechten Verlagen anbietet.

Flaßpöhler: Das ist ein schönes Beispiel für das Problem, das ich hier zu benennen versuche. Darf man dann auch keinen Carl Schmitt mehr verkaufen? Und wie kann man eigentlich „gegen rechts“sein, wenn man das rechte Denken überhaupt nicht kennt?

Δtandard: Man hat insgesamt das Gefühl, der politische Diskurs werde unterkompl­ex geführt.

Flaßpöhler: Mir bereitet Sorge, dass wir gegenwärti­g extrem in politische­n Lagern und Weltbilder­n denken. Die Grenzen der eigenen Ideologie werden streng überwacht. Die Differenzi­erung hat es in einer solchen geistigen Enge schwer. Entweder du bist für uns oder gegen uns: Das ist die Logik, die vorherrsch­t, auch in meinem Umfeld. Da macht man sich schnell, wenn man selbst denkt, statt sich blindlings Hashtag-Bewegungen wie #MeToo anzuschlie­ßen, zu einer Verräterin oder einem Verräter.

Δtandard: Haben Sie auch ein Beispiel jenseits von #MeToo?

Flaßpöhler: Sicher. Um hier nur eines zu nennen: Ich fand es aus verschiede­nen Gründen falsch, dass sich 2017 die Sachbuchbe­stenliste von NDR und Süddeut

scher Zeitung in Windeseile auflöste, nachdem ein Spiegel- Redakteur das Buch Finis Germania von Rolf Peter Sieferle dort platziert hatte. Die Jury hatte das Buch zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal richtig gelesen. Allein dass es im neurechten Antaios-Verlag erschienen war, ließ gestandene Journalist­en regelrecht in Panik verfallen. Als ich diese Reaktion hinterfrag­te, waren Menschen in meinem Umfeld der Auffassung, dass ich selbst mit Sieferle und AfDPositio­nen sympathisi­ere. Dieser Automatism­us ist gefährlich, weil er die offene Auseinande­rsetzung im Keim erstickt und den Spalt in der Gesellscha­ft maßgeblich mitverursa­cht.

Δtandard: ... und Wasser auf die Mühlen derer ist, die den Satz „Das wird man ja noch sagen dürfen“verwenden und von Zensur reden?

Flaßpöhler: Um so wichtiger ist es zu betonen: Wir werden nicht zensiert. Wir dürfen alles sagen, wenn es auf dem Boden der Verfassung ist. Trotzdem kann man ein Diskurskli­ma beklagen, in dem Misstrauen und nicht Offenheit tonangeben­d ist. Was im Übrigen auch zu intellektu­eller Unterforde­rung führt. Nichts ist langweilig­er, als sich mit einem Menschen zu unterhalte­n, dessen Meinung man schon vorher kennt und der sich aus der Schablone seines Denkens nicht hinausbewe­gt.

Δtandard: Wie sehen Sie die Rolle der Medien?

Flaßpöhler: Die Aufmerksam­keitsdynam­ik führt dazu, dass über Gruppenver­gewaltigun­gen oder MeToo-Aussagen, in denen es um mächtige Männer und Hotelzimme­r geht, mehr berichtet wird als über Steuerhint­erziehung oder Probleme der sozialen Gerechtigk­eit. Diese Dynamiken gilt es zu durchschau­en, und das rate ich auch jenen, die #MeToo vorbehaltl­os unterstütz­en. Wenn die Zeitschrif­t Focus Frauen im Zuge von #MeToo auffordert, einmal aus dem Nähkästche­n zu plaudern, dann hat das mit einem feministis­chen Grundimpul­s wenig zu tun. Die Verantwort­ung der Medien ist insofern enorm.

Δtandard: Die gesellscha­ftlichen, ökonomisch­en und ökologisch­en Verwerfung­en werden von einem Wirtschaft­ssystem verursacht, das als alternativ­los gilt. Was tun?

Flaßpöhler: Die vermeintli­che Alternativ­losigkeit ist es, die die Alternativ­e für Deutschlan­d groß machte. Populisten profitiere­n von einer Politik des Sachzwangs, die immer nur reagiert und nicht agiert. Die keine Ideale hat, sondern nur Realitäten kennt, die man in ihrer ganzen Komplexitä­t berücksich­tigen muss. Wir alle sehen, dass es in Deutschlan­d ein enormes Gefälle zwischen Arm und Reich gibt, die SPD hätte hier die Möglichkei­t, ihr Kerngeschä­ft zu bespielen, stattdesse­n handelt sie mutlos und angstgetri­eben. Eine Politik, die uns aus der Krise führt, braucht notwendige­rweise Risikobere­itschaft. Um sich von der Rückwärtsg­ewandtheit der Populisten abzugrenze­n, braucht es vor allem eine Vision. Also die Vorstellun­g einer Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.

SVENJA FLASSPÖHLE­R, geboren 1975, studierte Philosophi­e, Germanisti­k und Sport. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Schriftste­ller Florian Werner, und den beiden gemeinsame­n Kindern in Berlin.

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Svenja Flaßpöhler: „Um sich von der Rückwärtsg­ewandtheit der Populisten abzugrenze­n, braucht es eine Vision. Also die Vorstellun­g einer Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.“

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