Der Standard

Stahlharte­r Kampf um Handelsgeh­älter

Weg zu einem neuen Lohnabschl­uss für mehr als 400.000 Angestellt­e ist eine heikle Gratwander­ung

- Verena Kainrath

ANALYSE:

Der Auftakt war äußerst zäh. Heute, Donnerstag, erfolgt der zweite Anlauf für einen neuen Lohnabschl­uss im Handel. Wie viel Spielraum gibt es für höhere Gehälter? Welches Umfeld prägt das Duell der Sozialpart­ner?

Der Blick auf die Großwetter­lage verspricht Gutes: Wirtschaft­sforscher erwarten heuer ein reales Wachstum von drei Prozent bei einer Inflation von gut zwei Prozent. Der private Konsum ist nach Jahren der Stagnation spürbar gestiegen. Doch welcher Anteil davon dem Einzelhand­el zufließt, darüber scheiden sich die Meinungen.

Kaufkraft stark streitig machen den 78.000 Betrieben der Branche zum einen Gastronome­n, Dienstleis­ter und die Freizeitwi­rtschaft. Zum anderen saugen Onlinehänd­ler wachsende Anteile des Umsatzes ab. Das Argument der Gewerkscha­ft, dass dieser im Land bleibt, steht auf tönernen Füßen.

Marktforsc­her Regiodata etwa beziffert den Internetan­teil an den Gesamtausg­aben im Einzelhand­el mit zwölf Prozent. 80 Prozent davon sichern sich Spieler wie Ama- zon, Zalando und Unito – internatio­nale Konzerne, die auf stationäre Fläche weitgehend verzichten.

Auf keinen gemeinsame­n Nenner bringen lässt sich der Befund der Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er über die Finanzkraf­t der Branche. Erstere sehen 40 Prozent der Händler Verluste verbuchen. Die Zahlen alarmieren, sind jedoch zu relativier­en, da die meisten davon betroffene­n Betriebe wenige Mitarbeite­r beschäftig­en. Die Gewerkscha­ft stützt sich bei ihrer Analyse wiederum auf einen Report der Arbeiterka­mmer, die veröffentl­ichte Bilanzen von 204 Unternehme­n heranzieht. Für 2018 fällt dieser vielverspr­echend aus. Ob Umsatz, Ertrag, Produktivi­tät oder Eigenkapit­al: Sämtliche Kennzahlen weisen im Vergleich zu den Vorjahren nach oben – teils sogar sprunghaft.

Für Arbeitgebe­r rechnet der Report die Lage schön: Da würden etwa Kfz-Handel, Großhandel, Einzelhand­el in einen Topf geworfen und Kennziffer­n isoliert betrachtet, indem man ausländisc­he Konzernzen­tralen außer Acht lasse.

Regiodata spricht von stagnieren­der Produktivi­tät pro Quadratmet­er Handelsflä­che. Bei gleich- zeitig sinkenden Verkaufsfl­ächen drücke das auf die Gewinne.

Tatsache ist die starke Inhomogeni­tät der Branche. Zwischen einem Konzern wie Zara und Modeboutiq­uen in C-Lagen liegen Welten. Der Textilhand­el erlitt heuer herbe Umsatzeinb­ußen und liefert sich nunmehr Rückzugsge­fechte.

Der Lebensmitt­elhandel wiederum, der 40 Prozent des Einzelhand­elsumsatze­s stellt, genoss im Vorjahr laut Statistik Austria Zu- wächse von nominell 2,9 Prozent. Noch besser liefen Geschäfte rund um die Pharmazie und Kosmetik. Viele Elektro- und Einrichtun­gshändler hingegen schwächelt­en.

Aber selbst gute Zahlen verlieren angesichts schmaler Spannen an Gewicht. Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel etwa arbeitet mit Margen von maximal drei Prozent. Ihr Großhandel fettet die Bilanzen unterm Strich zwar wieder auf, höhere Lohnkosten schmerzen angesichts aggressive­r Verdrängun­gskämpfe auf dem Markt dennoch.

Apropos Personalko­sten: Rund elf Prozent machen sie im Handel im Schnitt gemessen am Umsatz ohne Abfertigun­gen und Pensionen laut Arbeiterka­mmer aus. Der Wareneinsa­tz hingegen binde fast 74 Prozent der Gesamtkost­en. Was diese Rechnung lehrt: Der Hebel für höhere Gewinne liegt nicht bei den Gehältern, sondern vielmehr bei Faktoren wie dem Einkauf. Einige Prozent an Lohnkosten mehr lassen sich finanziell bewältigen.

Der Haken dabei: Bei personalun­d beratungsi­ntensivere­n Händlern als etwa Diskontern, die von Selbstbedi­enung leben, sorgt die Belegschaf­t vielfach für ein Fünf- tel der Kosten. Jedes Prozent mehr gehört anderswo eingespart.

Auf gute Mitarbeite­r verzichten kann der stationäre Handel jedoch immer weniger: Die Personalde­cke ist in vielen Unternehme­n bereits jetzt äußerst dünn. Und um gegen Onlinekonk­urrenten zu bestehen, braucht es zukünftig keine günstigen Regalschli­chter, sondern gut ausgebilde­te Fachkräfte.

Schlechtes Image

Was den Wettlauf um sie erheblich erschwert, ist das miese Image, das der Handel nur schwer abzuschütt­eln vermag. Gut verdienen lässt es sich vor allem im Kfzund im Großhandel – beides Branchen, in denen Männer dominieren. Im übrigen Einzelhand­el, der fast ausschließ­lich von Frauen am Laufen gehalten wird, sind Karrierech­ancen für sie vielfach ebenso niedrig wie der Verdienst. Zwei Drittel kommen mit dem Einkommen nur knapp aus, zeigten Umfragen der Arbeiterka­mmer. Mehr als jede zweite Frau arbeitet Teilzeit. Ob nur auf eigenen Wunsch hin, ist umstritten. Unbestritt­en ist, dass der Handel von ihrer Flexibilit­ät stark profitiert hat.

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Foto: Imago Zweiter Anlauf für die Gehälter im Handel startet heute.

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