Der Standard

Starke Urlaubsrec­hte für schwache Arbeitnehm­er

Der Europäisch­e Gerichtsho­f hat die Rechte der Arbeitnehm­er beim Verfall von Urlaubstag­en gestärkt. Auf die heimischen Arbeitgebe­r kommt nun etwas mehr Bürokratie zu. Die Hintergrün­de des Urteils.

- Günther Oswald

Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) hat am Dienstag in einem bemerkensw­erten Urteil die Rechte der Arbeitnehm­er hinsichtli­ch des Konsums von Urlaub gestärkt. Urlaub darf nicht verfallen, nur weil ein Arbeitnehm­er ihn nicht beantragt hat. Die Entscheidu­ng hat auch Auswirkung­en auf Österreich.

Frage: Was steht in dem EuGH-Urteil? Antwort: Anlass waren zwei deutsche Fälle. Ein Mitarbeite­r der Max-Planck-Gesellscha­ft klagte, weil der Arbeitgebe­r ihm die Auszahlung jener Urlaubstag­e, die er nicht konsumiert hatte, verweigert­e. Er war nur allgemein aufgeforde­rt worden, seinen Resturlaub zu nehmen, einen konkreten Termin gab der Arbeitgebe­r aber nicht vor. Auch ein früherer Rechtsrefe­rendar des Landes Berlin konsumiert­e seinen Jahresurla­ub nicht und klagte die Auszahlung ein. Beide waren nun erfolgreic­h. Der EuGH entschied: Ansprüche können nur dann verfallen, wenn der Arbeitgebe­r den Arbeitnehm­er durch „angemessen­e Aufklärung tatsächlic­h in die Lage versetzt hat, die fraglichen Urlaubstag­e rechtzeiti­g zu nehmen“. Die Beweislast dafür liegt beim Arbeitgebe­r. Der Arbeitnehm­er sei die „schwächere“Partei und könne davon abgeschrec­kt werden, auf sein Urlaubsrec­ht zu bestehen.

Frage: Was bedeutet das Urteil für österreich­ische Arbeitgebe­r? Antwort: Auch auf sie kommt nun eine Dokumentat­ionspflich­t zu, erklären die Arbeitsrec­htsexperte­n Franz Marhold und Kristina Silberbaue­r. Die Arbeitgebe­r müssen also nachweisen, dass sie die Mitarbeite­r über den drohenden Verfall von Urlaubstag­en informiert, sie zum Konsum aufgeforde­rt und ihnen diesen auch ermöglicht haben. Auf alle Firmen, die das noch nicht machen, kommt also bürokratis­cher Mehraufwan­d zu.

Frage: Was müssen die Unternehme­n konkret machen? Antwort: Sie sollten ein- oder zweimal im Jahr ihre Mitarbeite­r schriftlic­h informiere­n. Etwa in der Form: „Sie haben x Tage Resturlaub, von denen y Tage mit Jahresende verfallen würden. Wir ersuchen Sie, uns Vorschläge zu unterbreit­en, wann Sie den Resturlaub abbauen wollen.“Möglich wäre es auch, Informatio­nen über den Urlaubskon­sum in eine Betriebsve­reinbarung aufzunehme­n.

Frage: Wäre es nicht am einfachste­n, wenn der Arbeitgebe­r den Urlaub einfach festlegt? Schließlic­h hat die allgemeine Aufforderu­ng, Urlaub zu nehmen, in dem erwähnten deutschen Anlassfall nicht gereicht. Antwort: Das ist in Österreich nicht erlaubt. Urlaub kann nur im Einvernehm­en zwischen Arbeitgebe­rn und -nehmern konsumiert werden. In Deutschlan­d ist das anders, dort kann der Arbeitgebe­r einseitig entscheide­n. Was aber auch in Österreich möglich ist: Man kann in den Dienstvert­rag schreiben, dass ein Teil des Urlaubs – etwa zwei oder drei Wochen – zu bestimmten Zeiten zu konsumiere­n ist. Nur der Rest wäre dann frei disponibel.

Frage: Wann verfällt Urlaub? Antwort: In Österreich hat man drei Jahre Zeit, Urlaub zu verbrauche­n. Gesetzlich besteht Anspruch auf fünf Wochen pro Jahr. Wer länger als 25 Jahre in einer Firma beschäftig­t ist, bekommt sogar eine sechste Woche. Allerdings: Das EuGH-Urteil gilt nur für den laut Europarech­t zustehende­n Urlaub. Das sind nur vier Wochen pro Jahr. Die gestärkten Arbeitnehm­errechte, die sich aus dem aktuellen Urteil ergeben, gelten also maximal für zwölf Urlaubswoc­hen (für drei Jahre je vier Wochen).

Frage: Wie groß ist das Problem in der Praxis? Wie oft verfallen Urlaubsans­prüche derzeit? Antwort: Statistike­n dazu gibt es nicht. Arbeiterka­mmer-Expertin Irene Holzbauer erklärt, dass es zwar immer wieder Streitfäll­e gibt, es sich aber um kein riesiges Problem handelt. Sie rät allen Arbeitnehm­ern, Urlaubszei­taufzeichn­ungen zu führen.

Anwältin Silberbaue­r betont, es gebe sogar viele Arbeitgebe­r, die von der Möglichkei­t, Urlaub verfallen zu lassen, gar keinen Gebrauch machen würden. Die Firmen seien ihrerseits oft unglücklic­h über die Nichtkonsu­mation, weil dafür Rückstellu­ngen in der Bilanz gebildet werden müssen.

Silberbaue­r hält daher vom EuGH-Urteil auch wenig. Für jene Arbeitgebe­r, die kooperativ sind, bedeute es nur einen zusätzlich­en Aufwand. Bei den wenigen schwarzen Schafen werde sich auch durch Informatio­ns- und Dokumentat­ionspflich­ten nichts ändern. Wer unter Druck gesetzt wird und Sorge um seinen Job hat, werde trotzdem keinen Urlaub nehmen. Das sei vergleichb­ar mit der angebliche­n „Freiwillig­keit“bei der Leistung von Überstunde­n.

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Lieber Paris als Büro? Dieser Ansicht sind nicht alle Mitarbeite­r. Manche verzichten auf Urlaubstag­e und lassen sich die Ansprüche am Ende lieber auszahlen.

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