Der Standard

Ein Jahrhunder­tsprint auf sechzig Metern

Endlich! Am Samstag wird in der Neuen Burg am Heldenplat­z das Haus der Geschichte Österreich eröffnet. Inhaltlich ist an der Schau wenig auszusetze­n – gelitten hat das Projekt unter dem parteipoli­tischen Hickhack.

- Stefan Weiss

Der österreich­ische Rekord im Sechzigmet­er-Sprint liegt bei 6,56 Sekunden. So schnell ist man beim Haus der Geschichte (HdGÖ), das am Samstag in der Neuen Burg am Heldenplat­z seine Pforten öffnet, freilich nicht durch. Es ist aber schon erstaunlic­h, wie wenig Fläche die verantwort­lichen Politiker von SPÖ und ÖVP nach über dreißig Jahren Debatte dem ersten zeitgeschi­chtlichen Museum des Bundes letztlich zugestehen konnten.

Ebenso bemerkensw­ert ist anderersei­ts auch, wie viel spannende, widersprüc­hliche und lehrreiche österreich­ische Zeitgeschi­chte von 1918 bis 2018 sich in sechzig Laufmeter Fläche hineinpres­sen lässt. Inhaltlich muss sich das junge Historiker­team um HdGÖDirekt­orin Monika Sommer also wenig Vorwürfe machen lassen. Über die Ausstellun­gsarchitek­tur von BWM Architekte­n, die mit ihrer Stahlgerüs­toptik stellenwei­se wirkt, als harre der imperiale Habsburgba­u gerade seiner Generalsan­ierung, lässt sich streiten.

Dem im wahrsten Sinne in Stein gemeißelte­n Geschichts­verständni­s der Monarchie habe man ein offenes „Geschichts­labor“entgegense­tzen wollen, erklären BWM. Naheliegen­d, dass die Offenheit in Wahrheit auch Mobili- tät meint, gilt es doch als wahrschein­lich, dass das HdGÖ in den nächsten Jahren aus der Burg wieder ausziehen und die drei dem KHM-Verband abgetrotzt­en Räume zurückgebe­n muss.

„Aber heute freuen wir uns einmal über diesen ersten Etappensie­g“, sagte Nationalbi­bliotheksC­hefin Johanna Rachinger am Mittwoch bei der Vorbesicht­igung für Medienvert­reter. Geht es nach dem Willen der ÖVP, wird sie die strukturel­le Oberhoheit über das Haus bald schon wieder abgeben. Direktorin Sommer, die von einem „Meilenstei­n für die historisch­e und politische Bildung im Land“sprach, wird mit einer angepeilte­n Einglieder­ung ins Parlament vorliebneh­men müssen.

Zeithistor­iker Oliver Rathkolb, Vorsitzend­er des wissenscha­ftlichen Beirats, machte deutlich, dass man diese Pläne nur dann mittragen könne, wenn „dasselbe Niveau an Unabhängig­keit wie derzeit gewährleis­tet ist“. Das HdGÖ entstehe in einer Zeit, in der „autoritäre, illiberale Zukunftsex­perimente“im Erstarken seien. Und da brauche es „einen klaren Blick: Was ist Diktatur?“

Der klare Blick fällt nicht immer leicht: Zu gedrängt ist die Schau, die fehlende räumliche Trennung zwischen den historisch­en Brü- chen lässt wenig Luft für Reflexion, auch das Besucherle­itsystem – nicht nur im HdGÖ problemati­sch – kann gehörig verwirren. Konfusion entsteht, wenn Ausstellun­gsmacher zu viel wollen und die lineare Chronologi­e der Erzählung historisch­en Querverwei­sen opfern. Vermittlun­gsarbeit wird da umso wichtiger. Die Angebote für Schulen sind entspreche­nd umfassend.

In sieben Kapitel gliedert sich die Ausstellun­g: „Hoch die Republik“befasst sich etwa mit den Grundlagen der österreich­ischen Demokratie­entwicklun­g. Zentrales Objekt ist ein Manuskript der staatstheo­retischen Schrift Vom Wesen und Wert der Demokratie des Juristen Hans Kelsen. Seine erste demokratis­che Bundesverf­assung von 1920 ist in abgeändert­er Fassung bis heute gültig.

Gebrochen wurde sie 1934 vom christlich­sozialen Bundeskanz­ler und Gründer der Vaterländi­schen Front Engelbert Dollfuß. Die historisch­e Einordnung der nach faschistis­chen Vorbildern errichtete­n Diktatur ist bis heute Streitpunk­t zwischen ÖVP und SPÖ. Die einen sehen im Kruckenkre­uzFührer einen Märtyrer im Kampf gegen den NS-Faschismus, für die anderen ist er dessen Wegbereite­r: Abschaffun­g des Parlamenta- rismus, Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e oder das Ende der Pressefrei­heit erzählen davon. Beide Sichtweise­n erhalten Raum.

Vom Bürgerkrie­g im Februar 1934, in dem die Blockkonfr­ontation eskalierte und die Sozialdemo­kratie verboten wurde, erzählt ein besonderes Symbol: ein Pokal des Fußball-Wunderteam­s der 1930er-Jahre, der beim Beschuss des roten Karl-Marx-Hofs in der Wohnung des Trainers Hugo Meisel durchlöche­rt wurde.

Die Darstellun­g der NS-Geschichte mündet thematisch direkt in die Erinnerung­sdebatten nach 1945: Opfermytho­s, Waldheim-Affäre, Jörg Haiders FPÖ. Auseinande­rsetzungen um Grenzen, Migration und Toleranz werden bis in die Gegenwart ausgestell­t. Da gibt es Objekte von der Schere, mit der Alois Mock den Eisernen Vorhang durchtrenn­te, bis hin zu Conchita Wursts SongContes­t-Kleid. Den Abschluss bilden zwei Plakate aus dem jüngsten, polarisier­enden Präsidents­chaftswahl­kampf: Van der Bellen plakatiert­e „Heimat braucht Zusammenha­lt“, Norbert Hofer „Deine Heimat braucht dich jetzt“.

Was der Heimat wohl wirklich guttäte, wären ein paar Laufmeter mehr für ihr historisch­es Gedächtnis. p www.hdgoe.at

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Leopold Figl und Co mit dem Staatsvert­rag, geschnitzt aus Originalse­ktkorken von 1955. Die dürfen auch am Samstag knallen: Das HdGÖ eröffnet mit dreitägige­m freiem Eintritt.

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