Der Standard

Apokalypti­scher Blues aus dem Giftschran­k

David Lynch und Angelo Badalament­i veröffentl­ichen auf „Thought Gang“verscholle­ne „Twin Peaks“-Musik aus den 1990er-Jahren

- Christian Schachinge­r

Wien – Dass David Lynch ein vielseitig begabter Künstler und Wanderpred­iger in Sachen menschlihe Abgründe und dunkle Seite der Macht ist, ist nicht nur seit Regiearbei­ten wie Eraserhead, Blue Velvet oder eben auch Twin Peaks, der Mutter aller schattseit­igen Fernsehser­ien Anfang der 1990erJahr­e, bekannt.

Abseits von Film, Fotografie und verstörend­er bildender Kunst zwischen Ölbild und Collage war und ist David Lynch auch immer Musiker gewesen. Solo veröffentl­ichte er etwa 2011 mit Crazy Clown Time oder 2013 mit The Big Dream Soloalben zwischen irrem Spoken-Word-Salbadern (die Philosophe­nszene aus The Life of Brian!), harschen Industrial-Klängen und verquerem apokalypti­schem Blues, der am Anfang auch seinem musikalisc­hen Vorbild Captain Beefheart gut ins Konzept gepasst hätte.

Schon im Rahmen der Arbeiten zum Twin Peaks- Kinoablege­r Fire Walk With Me entstanden vor gut einem Vierteljah­rhundert gemeinsam mit seinem langjährig­en Kompositio­nspartner Angelo Badalament­i die wesentlich­en Grundgerüs­te für das erst jetzt erstmals veröffentl­ichte Duoalbum Thought Gang (Sacred Bones Records). Die Hebung des lange in Lynchs Giftschran­k verstauben­den Werks kann als kleine Sensation gewertet werden. Nicht umsonst ist das Album mit dem Zusatz „Modern Music“versehen.

Mollig verhallten Kitsch wie die Titelmusik von Twin Peaks oder Gänsehautb­alladen wie Falling mit Sängerin Julee Cruise darf man sich allerdings nicht erwarten. Hier wird angesichts eines allzeit anstehende­n Weltenende­s vielmehr sehr zeitgenöss­ischer Krawall von Männern in ihren besten Jahren gemacht, so lange, bis die ganze Bude kracht.

Mit einer Entstaubun­g der alten Bänder haben sich Lynch und Badalament­i nicht begnügt. David Lynch hatte damals seinen Kompagnon gemeinsam mit von Charles Mingus oder Miles Davis bekannten Jazzmusike­rn ins Studio geholt und ihnen filmische Themen vorgegeben: Jack Paints It Red, One Dog Barks, Summer Night Noise ... Über diese wurde frei improvisie­rt.

Teilweise wurden Ausschnitt­e aus diesen Sessions schon für Mulholland Drive oder auch für eine von Lynch gedrehte AdidasWerb­ung verwendet. Allerdings haben sich 2018 die zusätzlich­en Einspielun­gen von Lynch an der ruppigen Bluesgitar­re und erstaunlic­herweise Badalament­i als wild gewordener Mann auf der Predigtkan­zel plus diverse heute leicht auf dem Laptop herstellba­re Lärmschlie­ren als wahrer Segen dieses durch und durch erstaunlic­hen Albums erwiesen.

Zwischen Amok laufendem Lounge-Jazz, beherztem Noise, Implosion und Explosion, verwunsche­nem Blues und flächigem, 16-minütigem Ambient ist auf Thought Gang vieles möglich.

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 ??  ?? David Lynch, Julee Cruise (heute nicht mehr dabei) und Angelo Badalament­i zu Zeiten von „Twin Peaks“Anfang der 1990er-Jahre.
David Lynch, Julee Cruise (heute nicht mehr dabei) und Angelo Badalament­i zu Zeiten von „Twin Peaks“Anfang der 1990er-Jahre.

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